Der Medienspiegel
Liebe Hörerinnen und Hörer, auch heute begrüßen wir Sie wieder recht herzlich zu einer weiteren Sendung des Medienspiegels von Radio Prag. Wir - das sind auch diesmal Silja Schultheis und Robert Schuster.
Dass der Wahltermin in Tschechien näher rückt, bekommen langsam aber sicher nicht nur die Wähler zu spüren, deren Briefkästen sich mit Flugblättern und anderem Wahlkampfmaterial füllen, sondern auch die Vertreter der schreibenden Zunft, sprich die Journalisten. Die Versuche der Politiker und ihrer Beraterstäbe, die Redaktionsarbeit zu beeinflussen, greifen dabei aber nicht immer auf raffinierte und verdeckte Methoden zurück. Zunehmend wird versucht auch direkten Druck auf ihre Berichterstattung auszuüben. Jüngstes Beispiel dafür ist etwa der Vorstoß des tschechischen Kulturministers Pavel Dostál, der in der vergangenen Woche zu einem Frontalangriff auf die größten tschechischen Qualitätszeitungen ansetzte. Anlass dazu gab ihm die angeblich zu "wenig patriotische" Berichterstattung der tschechischen Printmedien in Bezug auf die deutsch-tschechischen Beziehungen und die besonders kontroversen Fragen, wie die Vertreibung der Sudetendeutschen oder die s.g. Bene-Dekrete. In einem Gespräch mit der amtlichen tschechischen Nachrichtenagentur ÈTK meinte Dostál gleichzeitig auch den Grund dafür zu wissen: Tageszeitungen wie die Mladá fronta Dnes, Lidové noviny und jene regionalen Zeitungstitel, welche vom Verlagshaus Vltava-Labe-Press herausgegeben werden, befinden sich in der Hand von deutschen Eigentümern. Und diese, so der Minister weiter, üben auf die Redakteure entsprechenden Druck aus.
Die Prager Regierung setzte dann auch gleich ein Zeichen besonderer Art, indem sie auf ihrer letzten Sitzung die Herausgabe eines Buches mit dem Titel "Die Sudeten - ein immer noch lebendiges Problem?" beschloss. Die Schrift, an deren Ausarbeitung sich laut Dostál namhafte tschechische Historiker beteiligen sollen, soll laut dem Kabinett eben ein Gegenpunkt zu der angeblich allzu pro-deutschen Berichterstattung der großen heimischen Gazetten bilden. Sie wird in einer Gesamtauflage von 40 000 Exemplaren gedruckt und dann gratis verteilt.
Kein Wunder, dass die jüngsten Schritte der Regierung ausführlich in den Zeitungen kommentiert wurden. Stellung bezog etwa Martin Komárek am Freitag in der auflagenstärksten Tageszeitung Mladá fronta Dnes, welche von Dostál ebenfalls kritisiert wurde. In seinem redaktionellen Kommentar unter dem Titel "Dostáls Jirásek" befasst er sich eingangs mit dem Geschichtsbild der tschechischen Minister, welches seiner Meinung nach offenbar immer noch von der schwarz-weiß Darstellung des deutsch-tschechischen Zusammenlebens ausgeht, wie es im Werk des lange Jahre populären tschechischen Belletristen Alois Jirásek steht, dessen Bücher vor 1989 zur Pflichtlektüre an tschechischen Schulen gehörten:
"Aus den Aussagen Minister Dostáls und seines Vorgesetzten, Premiers Milo Zeman, geht hervor, dass ein Mythos Jiráseks weiterlebt: Demnach sind die Tschechen immer schön, blauäugig, ehrlich und selbstlos, die Germanen hingegen düster, buckelig, geizig und verlogen. Wer also die gemeinsame Geschichte dieser beiden Völker mit der Brille Jiráseks lesen möchte, der wird an dem Buch gefallen finden."
Weiter meint Martin Komárek, dass die öffentliche Debatte zu der gemeinsamen Vergangenheit, die gegenwärtig geführt wird, auf diese Weise nicht einfach unterbunden werden kann. Anstatt ein völlig entbehrliches Buch zusammenschreiben zu lassen, sollte die Regierung seiner Meinung nach endlich einen ehrlichen Weg finden, wie sich für die unschuldigen Opfer der Vertreibung der Sudetendeutschen entschuldigen sollte.
Zu diesem Thema findet sich in der von Dostál ebenfalls an den Pranger gestellten Zeitung Lidové noviny ein Kommentar von Petruka ustrová. Sie stellt unter dem Titel "Ein bedenkliches Vorhaben der Regierung" zunächst fest, dass das geplante Buch der Regierung zur Geschichte des deutsch-tschechischen Zusammenlebens stark an die Zeit des Kommunismus erinnert, wo die Regierung ebenfalls vorgeschrieben hatte, was man über ein bestimmtes Thema denken sollte. Gegen Ende ihres Beitrags stellt sie einige wichtige Fragen:
"Warum soll die Geschichtserläuterung in dem geplanten Buch erst mit dem Jahr 1848 beginnen, wenn Deutsche und Tschechen bereits mehrere Jahrhunderte vorher miteinander lebten? Welche Historiker sollen zu den Autoren gehören? Sollen es nur diejenigen sein, welche den Standpunkt der Regierung vertreten oder dürfen dort auch diejenigen zu Wort kommen, die die Regierung kritisieren? Es ist doch lange bekannt, dass die tschechische Historikergemeinde in Bezug auf die sudetendeutsche Frage unterschiedliche Standpunkte einnimmt. Und warum soll jetzt auf einmal gratis ein Buch verteilt werden, wenn die Frage des jahrhundertelangen Verhältnisses zwischen Tschechen und Deutschen schon längst in den Geschichtsbücher hätte behandelt werden sollen?"
Das Vorpreschen Dostáls und der Regierung hat gezeigt, dass die Politiker nichts unversucht lassen gerade in der Vorwahlzeit auf die parteiunabhängige Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Radio Prag fragte deshalb den Chefkommentator von Lidové noviny, Petr Fischer, ob er und seine Kollegen in den anderen Redaktionen dem politischen Druck standhalten können:
"Ob es die Medien schaffen werden, dem immensen Druck, dem sie in der Vorwahlzeit ausgesetzt werden, standzuhalten, wird sich natürlich erst noch zeigen müssen. Ich muss schon gestehen, dass wir schon jetzt sehr hellhörig sind und jede Form von politischem Druck bereits im Ansatz unterbinden wollen."
Bereits in den letzten tschechischen Wahlkämpfen ist jedoch den Zeitungen eine weitere wichtige Rolle zugekommen: Neben dem üblichen kommentieren des politischen Geschehens waren gerade großen Zeitungen auch ein wichtiges Korrektiv, was den Wahlkampfstil der Parteien anging. So wollte etwa vor drei Jahren, bei einer Nachwahl zum Senat, die rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) von Václav Klaus wenige Tage vor den Wahlen in den großen überregionalen Zeitungen ein kontroverses Inserat mit persönlichen Angriffen gegen den Hauptkonkurrenten des ODS-Kandidaten schalten. Die Lidové noviny, ähnlich wie die Mladá fronta Dnes, weigerten sich damals diese Werbung abzudrucken und wurden damals der Zensur bezichtigt. Würden sich die Zeitungen heute ähnlich wie damals verhalten?, fragten wir abschließend Petr Fischer:
Falls eine ähnliche Anzeige auftauchen sollte, meine ich, dass die Zeitungen ähnlich reagieren würden. Ganz besonders wichtig scheint mir die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien, weil vom Gesetz her sind diese verpflichtet allen Parteien, nicht nur den großen, Raum zu gewähren. Aber ehrlich gesagt, wenn ich mir dann diese Sendungen im Fernsehen anschaue, so habe ich so ein komisches Gefühl, dass die Politiker, die da zu Wort kommen, egal von welcher Partei, immer irgendwie gleich sind - in ihren Äußerungen und auch in dem, wie sie sich wenden und drehen und keine klaren Antworten geben.
Verehrte Hörerinnen und Hörer, damit sind wir leider wieder am Ende unserer heutigen Sendung angelangt. Für Ihre Aufmerksamkeit bedanken und vom Mikrophon verabschieden sich Silja Schultheis und Robert Schuster.