Krise bei TV NOVA
Dass es in Tschechien eine der erfolgreichsten privaten TV-Anstalten Mitteleuropas gibt, wissen Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, vielleicht schon aus der einen oder anderen vorangehenden Sendungen unseres Medienspiegels. TV NOVA, so heißt die Anstalt, die vor acht Jahren zum erstenmal auf Sendung ging, sofort zum Erfolg wurde und auch heute noch traumhafte Einschaltquoten aufweist. Gemäß einer vor kurzem veröffentlichten repräsentativen Umfrage schalten sich täglich ungefähr 2/3 der tschechischen Fernsehzuschauer zumindest für einige Minuten bei NOVA ein.
Genau vor einer Woche kam es jedoch bei NOVA zu einem kleinen Erdbeben: Der charismatische Chef des Senders, Vladimir Zelezny, der seit der Aufnahme des Sendebetriebs an der Spitze dieses Mediums stand, wurde seines Amtes enthoben. Mit diesem Entschluss der wichtigsten Gesellschafter endete eine seit mehreren Wochen andauernde Krise in der Führungsetage des Erfolgsunternehmens. Zelezny war schon vor 3 Jahren in einer ähnlichen Situation, als er in Clinch mit dem damaligen amerikanischen Eigentümer des Fernsehkanals geriet, damals jedoch konnte er sein Lebenswerk retten, indem er das notwendige Geld woanders auftrieb und die Amerikaner austrickste. Diesmal scheint jedoch sein Abgang vom Sender definitiv zu sein.
Wir meinen, dass diese Ereignisse Grund genug dafür sind, dass wir uns in der heutigen Sendung etwas näher mit dem Phänomen NOVA beschäftigen. Zunächst schauen wir - wie gewohnt - auf die Kommentarseiten einiger tschechischer Zeitungen. Die wichtigste Frage, die dabei fast alle Kommentatoren stellen, ist die nach der weiteren Zukunft der Anstalt ohne deren bisherigen Macher Zelezny. So meinte etwa Jan Potucek in Lidove noviny bereits in der Überschrift seines Kommentars lapidar: NOVA ist nicht Zelezny und schrieb dazu folgendes:
"Die Probleme Zeleznys und vor allem die zahlreichen Gerichtsprozesse, die er gegen die früheren amerikanischen Eigentümer geführt hatte, wurden für das ganze Unternehmen zu einer immer größeren Belastung. Gerade jetzt, wo hinter offener Hand zugegeben wird, dass NOVA auf der Suche nach einem strategischen Investor aus dem Ausland sei."
In eine andere Richtung ging vergangene Woche ein Kommentar von Jan Jandourek in der Zeitung Mlada fronta Dnes. Sein Kommentar trägt den Titel "Der Fall von Zeleznys Eisernem Vorhang" und befasst sich mit dem politischen Einfluss von NOVA und den Versuchen Zeleznys, diesen Einfluss vor allem vor dem geplanten Referendum zum EU-Beitritt des Landes geltend zu machen:
"Vielleicht wird aber jetzt, nach Zeleznys Abgang, doch etwas anders. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in seinem Medium einen neuen eisernen Vorhang herunterlässt, der uns vor der EU schützen würde, ist nun etwas geringer als vorher. In Hinblick darauf, dass die tschechische Volksabstimmung über den EU-Beitritt des Landes sehr knapp ausfallen kann, könnte das Wegfallen der regelmäßigen Anti-EU-Agitation in Zeleznys Sender für das Endergebnis eine wichtige Rolle spielen."
Schon seit dem ersten Sendetag von TV NOVA ist diese Fernsehanstalt und ihre Wirkung auf die Zuschauer auch ein häufiges Objekt für Analysen von verschiedenen Medienfachleuten und Soziologen. Die Frage, die dabei stets gestellt wird, ist die nach den Gründen für diesen großen Erfolg, der zumindest im Vergleich zu anderen ehemaligen kommunistischen Ländern ganz besonders hervorsticht. Radio Prag stellte diese Frage dem Soziologen Fedor Gal von der Prager Karlsuniversität, der sich übrigens an den Anfängen von NOVA vor rund acht Jahren beteiligte:
"Es gibt eigentlich drei Gründe für diesen großen Erfolg von NOVA: Erstens - der Sender bekam die Frequenzen eines ehemaligen öffentlich-rechtlichen Kanals, der über eine sehr hohe Reichweite verfügte. Der Zweite Grund liegt wohl darin, dass NOVA etwas völlig Neues war und damals so etwas wie eine kleine Revolution in den tschechischen Wohnzimmern auslöste - kurz nach dem Kommunismus gab es nämlich einen riesengroßen Hunger auf diese Art von Unterhaltung. Und der dritte Grund ist sicherlich die Person von Vladimir Zelezny, der als einziger von uns Erfahrung mit dem Fernsehen und eine ungefähre Ahnung hatte, wie kommerzielles Fernsehen ausschauen sollte."
Der Soziologe Gal gehörte zusammen mit Zelezny und zwei weiteren Sozialwissenschaftlern zu den maßgeblichen Autoren jenes Fernsehprojekts, dass 1994 vom tschechischen Fernsehrat den Zuschlag für die heißumkämpfte freigewordene Frequenz des ehemaligen tschechoslowakischen Bundesfernsehens bekam. Gal und Co. schwebte damals die Gründung eines Intellektuellen-Fernsehens vor, wo anspruchsvolle Filme und Theaterinszenierungen gesendet würden. Verwirklicht wurden aber diese hohen Ziele nie, denn NOVA übernahm von Beginn an die erfolgreichen Programmschemen führender westeuropäischer Kommerzsender. Der Fernsehrat kritisierte zwar immer wieder den Umstand, dass NOVA dem ursprünglichen Vorhaben nicht gerecht wurde, unternahm aber keine Schritte, um dem Sender die Lizenz wieder zu entziehen. Der Soziologe Gal hat gleich zu Beginn seine NOVA-Anteile an Zelezny verkauft und blieb somit den ganzen späteren Ereignissen fern. Dennoch: Ist bei ihm nicht eine gewisse Enttäuschung darüber zurückgeblieben, dass der Sender eigentlich nie versuchte, dem ursprünglichen Vorhaben eines Intellektuellen-Fernsehens gerecht zu werden? Fedor Gal meint dazu:
"Die Frage lautet, ob diese Ziele, die wir uns selber gesteckt haben, überhaupt angebracht waren? Vergessen Sie nicht, dass zu Beginn der 90er Jahre niemand in Tschechien wusste, was kommerzielles Fernsehen überhaupt ist. Heute würde ich sagen, dass die Ziele, die wir uns damals gesetzt haben, einfach naiv waren. Unter den ersten Gesellschaftern von TV NOVA waren zwar Soziologen, Psychiater, Filmregisseure, aber es zeigte sich, dass wir alle zusammen eigentlich sehr wenig über den Geschmack von der Mehrheit der Gesellschaft Bescheid wissen. Schon die ersten Monate, in denen NOVA auf Sendung war, zeigten, dass wir alle an den Mythos vom hohen Kulturbewusstsein der tschechischen Bevölkerung glaubten - wir glaubten alle, dass sich die Tschechen mehrheitlich nie den kommerziellen Kitsch anschauen werden, aber wir irrten. Enttäuscht bin ich eigentlich nur darüber, wie es hinter den Kulissen zuging - wie hart da verhandelt wurde, wie es nur um den Profit und sonst nichts anderes ging. Das alles war eine gute Erfahrung für mich und auch ein Grund, aus dem Ganzen auszusteigen."
Über die Zukunft von Zelezny gibt es noch Rätselraten. Er könnte, so die Vermutung einiger Kenner, nun vermehrt in der benachbarten Slowakei aktiv werden, wo es seit März dieses Jahres einen Schwestersender von NOVA gibt. Könnte aber der erzwungene Abgang Zeleznys aus der Führungsetage nicht für Schwierigkeiten bei NOVA sorgen? Das war unsere abschließende Frage an Fedor Gal:
"Ich glaube nicht. Vladimir Zelezny hat zu Beginn das gemacht, was für einen Anfangserfolg notwendig war. In den letzten Wochen und Monaten wurde er aber immer stärker Gefangener seiner eigenen Probleme und Gerichtsprozesse, und das schlug sich auch auf das Unternehmen nieder. Zudem denke ich, dass eine wirklich dynamische Institution es verkraften sollte, wenn sie einen Führungswechsel erlebt. Über seine Erfolgsaussichten in der Slowakei bin ich mir nicht sicher, denn dort gibt es bereits einen überaus erfolgreichen privaten Kommerzsender, der zudem etabliert ist. Ich bin mir deshalb nicht sicher, ob er wirklich das Terrain, in das er sich nun begeben will, ausreichend kennt."