Kommentare zur jüngsten Hochwasserkatastrophe
Kaum einen von Ihnen wird es überraschen, meine Damen und Herren, dass die jüngsten Hochwasserkatastrophen in der zurückliegenden Woche das beherrschende Thema in den tschechischen Medien waren. Obwohl die Redaktionen einiger führender Tageszeitungen selbst durch die Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen wurden, ja z.T. evakuiert werden mussten, warteten sie täglich mit einer umfassenden Berichterstattung und Extra-Serviceteilen auf.
Wir wollen Ihnen in dieser Sendung wenigstens einen kleinen Auszug aus dem breiten Meinungs- und Themenspektrum der Kommentarseiten dieser vom Hochwasser geprägten Woche bieten. Am Mikrophon begrüßen Sie dazu recht herzlich Gerald Schubert und Silja Schultheis.
"Werden wir mit katastrophalen Überschwemmungen fertig?" - diese Frage stellte die auflagenstarke Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" am Donnerstag, nachdem die tschechische Hauptstadt Prag das schlimmste Hochwasser überstanden hatte. Der Autor kommt zu folgendem Schluss:
"Es gibt drei Antworten. Die erste, wichtigste, lautet: Ja. Die Feuerwehr, die Rettungskräfte und die Stadtverwaltung verdienen sehr gute Noten. Sie können nichts dafür, dass es Opfer gab. Es scheint, dass alle überflüssigen Schäden allein auf das Konto der jahrhundertealten Gleichgültigkeit gegenüber der Hochwassergefahr gehen. Die zweite Antwort heißt: nicht besonders. Es gab einige Fehlgriffe. Erinnert sei hier an die Beschwichtigungen des Prager Oberbürgermeisters Igor Nemec. Während der Pegel der Moldau immer weiter stieg, schickte er die Stadt ruhig schlafen. Die Rettungskräfte gaben zum Glück nicht viel auf die Beschwichtigungen ihres Chefs und evakuierten rechtzeitig weitere Stadtviertel. Die dritte Antwort verbirgt sich hinter der Frage: Brauchen wir bei Überschwemmungen Politiker?"Soweit ein Auszug aus "Mlada fronta Dnes" vom 15. August.
Die Zeitung "Pravo" hingegen ergreift Partei für den Prager Oberbürgermeister und bemerkt am Freitag unter der Überschrift "Der nötige Optimismus von Igor Nemec":
"Der Prager Oberbürgermeister hat in den letzten Stunden von den Medien und seinen politischen Gefährten mehrfach ordentlich etwas hinter die Ohren bekommen. Er habe das von Hochwasser bedrohte Volk belogen und die Situation wesentlich positiver geschildert als sie in Wirklichkeit war. Igor Nemec hat aber nicht versagt. Er hat sich überraschend überparteiisch verhalten und getan, was man von ihm erwartet hat: die Rolle eines Vermittlers zwischen der Staatsverwaltung und den bedrohten Bürgern eingenommen. Dafür musste er seinen ganzen inneren Optimismus mobilisieren."
Enttäuscht hingegen zeigte sich über das Verhalten des Prager Oberbürgermeisters die Zeitung "Lidove noviny" und weitete ihre Kritik auch auf das tschechische Staatsoberhaupt aus:
"In die Reihe der Zögernden und nicht überzeugend Auftretenden reihte sich für einen Moment auch Präsident Vaclav Havel ein, der ein wenig zu lang überlegte, ob er vorzeitig aus seinem Urlaub zurückkehren soll oder nicht. In einer Situation, wo die halbe Republik im Wasser watet, gibt's schließlich nichts zu überlegen."
Neben dem Verhalten der politischen Elite analysierten die Kommentatoren der hiesigen Gazetten in den letzten Tagen vor allem die Gründe für das in zunehmender Regelmäßigkeit auftretende Hochwasser und gingen der Frage nach, wie man künftig ähnliche Situationen verhindern kann.Martin Denemark, Chefkommentator der Zeitung "Hospodarske noviny", zog im Gespräch mit Radio Prag folgende Lehre aus der jüngsten Hochwasserkatastrophe sowie vorangegangenen Überschwemmungen:
"Vor allem hat sich gezeigt, dass man unmöglich die Natur und die Maßnahmen gegen Hochwasser unterschätzen kann. Diese Tendenz gibt es hier zweifelsohne. In der Tschechischen Republik gab es sowohl 1997 als auch 1998 große Überschwemmungen. Und es reichten 3-4 Jahre, und die Menschen haben wieder angefangen, in Gegenden zu bauen, die nachweislich vom Hochwasser bedroht sind. Es kam sogar soweit, dass die Bürgermeister der Gemeinden, wo auf diese Weise gebaut wurde, öffentlich ihre Freude darüber zum Ausdruck brachten, statt Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Ich gehe davon aus, oder hoffe es zumindest, dass es jetzt zu einem Boom dieser Schutzmaßnahmen kommt"
Wie Krisensituationen von der Bevölkerung wahrgenommen werden und wie darauf reagiert wird, wird heute in bedeutendem Maße durch andere als die Print-Medien, insbesondere durch Radio und Fernsehen, beeinflusst.
Mit ihrer Berichterstattung während der jüngsten Hochwasserkatastrophe beschäftigt sich Petr Fischer, Chefkommentator der Zeitung "Lidove noviny", in seinem Kommentar vom 15. August:
"Im Kampf mit einer Naturkatastrophe ist der größte Feind der Mangel an Information. Was die Bürgermeister nicht mit eigenen Mitteln schaffen, können die Medien ergänzen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sowie der öffentlich-rechtliche Rundfunk verhalten sich hier gegenwärtig nahezu vorbildhaft und haben durch ihre fortwährende Berichterstattung in Prag und anderswo zur beschleunigten Evakuierung beigetragen. Das Fernsehen hat am Mittwoch sogar der Tatsache Rechnung getragen, dass auch Ausländer in dieser Notsituation Orientierung brauchen und hat hier und da die Nachrichten durch englische und deutsche Untertitel mit Kontaktnummern ergänzt."
Sie hörten einen Kommentar aus "Lidove noviny" vom 15. August.
Bleibt zu ergänzen, dass der 1. Kanal des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens aufgrund des Hochwassers sein gesamtes Programm der aktuellen Situation widmete und quasi non-stop über die aktuellen Entwicklungen in den einzelnen Regionen der Tschechischen Republik berichtete. Ähnliches lässt sich über das 1. Programm des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunks sagen.
Martin Denemark, Chefkommentator von "Hospodarske noviny", sagte gegenüber Radio Prag, er habe in den vergangenen Tagen sowohl in der Redaktion als auch zuhause ununterbrochen die Hochwasser-Sondersendungen in Radio und Fernsehen verfolgt. Mit der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien sei er sehr zufrieden:
"Die Berichterstattung im Tschechischen Fernsehen hatte ein sehr gutes Niveau, das beste, das ich je erlebt habe. Und auch die Sendungen im Radio sind wirklich gut, was die Fülle an Informationen anbelangt. Anerkennung verdient auch das Bemühen, nicht hysterisch zu sein und nicht unnötig zu dramatisieren."
Soweit, verehrte Hörerinnen und Hörer, unser Medienspiegel vom 16. August. Für Ihre Aufmerksamkeit bedanken sich Gerald Schubert und Silja Schultheis.