Außenpolitischer Ausschuss des Europa-Parlamentes debattiert über Frowein-Gutachten zu den Benes-Dekreten

Edvard Benes unterschreibt einer von den Dekreten

Am Montag hat der Heidelberger Völkerrechtler Prof. Jochen Frowein vor dem außenpolitischen Ausschuss des Europa-Parlamentes sein Rechtsgutachten zu den sog. Benes-Dekreten vorgestellt, mit dem ihn das Präsidium des Europa-Parlamentes im Mai beauftragt hatte. Silja Schultheis berichtet.

Edvard Benes unterschreibt einer von den Dekreten
An der Grundaussage des Gutachtens von Prof. Frowein und seinen beiden Co-Autoren Ulf Bernitz und Lord Kingsland gibt es wenig zu deuteln: Die Benes-Dekrete stellen kein Hindernis für den tschechischen EU-Beitritt dar. Zu diesem Ergebnis war auch die Expertise gekommen, die die Europäische Kommission zu den Dekreten angefordert hatte. In der nicht-öffentlichen Debatte begründete Frowein vor den Abgeordneten die Schlussfolgerungen seiner detaillierten Analyse und stellte sich den Fragen der Anwesenden.

Als einziger tschechischer Vertreter war bei der Debatte der tschechische Botschafter bei der EU, Libor Secka, zugegen. Er bewertete die Debatte vom Montag vor allem als Auftakt für die weitere Diskussion um die Dekrete und stellte für deren Verlauf gegenüber Radio Prag folgende Prognose auf:

"Ich denke, hier zeichnet sich erneut ein ähnliches Bild wie bereits im Frühjahr ab. Es gibt eine ziemlich kleine Gruppe von deutschen und österreichischen Abgeordneten, die sich sehr lebhaft für dieses Thema interessieren und die Frage zuweilen recht laut auf den Tisch bringen. Die große Gruppe derjenigen, die kein spezielles Interesse daran haben, betrachtet die Ergebnisse der Analysen, die vom Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wurden, als richtungsweisend und sehen keinen Grund für eine weitere Diskussion. Die Analysen sprechen eine klare Sprache: die Benes-Dekrete stellen kein Hindernis für den EU-Beitritt der Tschechischen Republik dar."

Gegen das Frowein-Gutachten polemisiert u.a. der Würzburger Völkerrechtler Dieter Blumenwitz, der im Auftrag der Sudetendeutschen Landsmannschaft eine Expertise über die Dekrete ausgearbeitet hat. Er kritisiert u.a. Froweins Auslegung des Dekrets Nr. 115 vom 8. Mai 1946, das nach wie vor in Kraft ist und die strafrechtliche Verfolgung von Menschen verhindert, die - so der Gesetzestext wörtlich - "gerechte Vergeltung" für Taten während der deutschen Besatzung geübt haben, auch gegen Unschuldige. Frowein hält eine Aufhebung des Gesetzes nicht für zwingend notwendig und führt zur Begründung an, dass dadurch die Erwartungen verletzt werden würden, die Menschen seit mehr als 50 Jahren haben konnten. Er hielte es aber für angemessen, wenn die Tschechische Republik ihr Bedauern über die konkreten Folgen dieses Gesetzes zum Ausdruck brächte, wie sie es bereits in der Deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 getan habe.

Blumenwitz hingegen betrachtet die Weigerung der Tschechen, die während der Besatzung verübten Delikte zu ahnden, als eklatanten Bruch der rechtsstaatlichen Ordnung und sieht dadurch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union gefährdet.

Neben dem Frowein- und dem Blumenwitz-Gutachten kursieren noch einige weitere Expertisen zu den Benes-Dekreten. Wir fragten Libor Secka abschließend, welche Rolle sie für die weitere Diskussion im Europäischen Parlament spielen:

"Bei der Debatte mit Professor Frowein am Montag waren sich die Anwesenden klar darüber einig, dass die einzige Grundlage für die weitere Diskussion das Gutachten von Prof. Frowein und seinem Team ist. Natürlich können wir auch über alle weiteren, inzwischen schätzungsweise um die zehn Analysen sprechen, aber tatsächlich richtungsweisend ist das Frowein-Gutachten."

Nach dem außenpolitischen Ausschuss setzen nun die einzelnen politischen Fraktionen des Europa-Parlamentes die Diskussion über die Rechtsgutachten fort. Bis zum 28. Oktober sollen sie ihre Änderungs- und Ergänzungsvorschläge für die vorgeschlagene Resolution zur EU-Erweiterung eingebracht haben. Über deren endgültigen Wortlaut soll am 5. November entschieden werden.