Ende November wird die Stadt Prag ihren kleinen Krieg haben. Seit Monaten berichten die tschechischen Medien über Sicherheitsübungen: da wird gehüpft, dort wird gesprungen und geschossen, hier wird Straßenkampf gegen Randalierer geübt, dieser und jener Überschallflugzeugtyp wird über unseren Köpfen sausen. All diese Informationen deuten mehr auf eine Kriegserklärung hin als auf die Austragung eines historischen NATO-Gipfeltreffens. Ja, wenn Staatsoberhäupter aus 45 Ländern sich in einer Stadt treffen, dann darf die Sicherheit bestimmt nicht auf leichte Schulter genommen werden. Das halten die meisten Bürger eines demokratischen Landes und eines NATO-Mitgliedsstaates ohnehin für selbstverständlich. Gleiches gilt für den Rücktritt des Innenministers, falls er und seine Männer bei der Gewährleistung der Sicherheit versagen sollten.
Polizei bereitet sich vor (Foto: CTK)
Prag ist anders. Anstatt auf die Bedeutung dieses historischen Gipfeltreffens sowie auf die große Chance hinzuweisen, die Tschechien bei seiner Ausrichtung bekommt, werden die Bürger mit spitzfindigen Sicherheitsdetails überschüttet, die ihnen im Endeffekt nicht viel bringen. Die Anweisungen des Innenministeriums, wie sich der brave Bürger in den Tagen des Gipfeltreffens zu benehmen hat, können einen fast beleidigen: "Setzen Sie die Geduld der Polizisten nicht auf Probe", "Die Polizei wird ihren persönlichen Wünschen, auch wenn diese wichtig sind, nicht nachkommen" oder gar, etwa im Falle von Krawallen, "es handelt sich um keinen Film, sondern um eine reale Gefahr für ihre Person". Die Kinder sollen gar aus der erwarteten Hölle geschafft werden, das Gipfeltreffen könnte überhaupt außerhalb Prags stattfinden, und - wie der Regierungsbeauftragte für den Gipfel Alexander Vondra meinte - die Prager könnten ja einstweilen in die Shoppingzentren am Rande der Stadt einkaufen gehen.
Polizei bereitet sich vor (Foto: CTK)
Es ist aber nicht nur die Angstmacherei und die beschränkte Sichtweise auf das ganze Ereignis, die einen traurig stimmt. Wieso spricht hierzulande kaum jemand über die wirkliche Bedeutung dieses einmaligen Treffens, bei dem mit der Aufnahme von mehreren ehemaligen Ostblockstaaten endgültig der Eiserne Vorhang weggeschafft und die größte NATO-Erweiterung der Geschichte vor sich gehen wird? Noch dazu, wo dieses Gipfeltreffen zum ersten mal in einem neuen Mitgliedsland stattfindet, welches einst hinter dem Eisernen Vorhang lag, und zwar in der Stadt, in der einst Warschauer Pakt aufgelöst wurde.
Und warum hat gerade Prag die Ehre, und nicht vielleicht Warschau, das die Hauptstadt des wichtigsten Landes der Region ist? Weil wir Tschechen so freundlich sind und Prag die tolle Goldene Stadt ist? Nicht doch. Aber zu sagen, dass das Land dies seinem Präsidenten Vaclav Havel zu verdanken hat, der sich dafür, so wie für viele andere Dinge- u. a. die Aufnahme in die NATO selbst- jahrelang unermüdlich eingesetzt hat, das bringt nicht viel Popularität. Daher: auch kein Fressen für die hiesigen Medien. Ob der tschechische Bürger auch über den Inhalt der Prager Gespräche und die Überlegungen zur zukünftigen Gestaltung der Welt und ihrer Sicherheit erfahren wird? Wahrscheinlich nicht, zumindest kaum aus seiner Zeitung.