Über die Prager Glocken
Wer kennt es nicht, das Glockengeläut zum Gottesdienst, das vor allem sonntags gewaltig erscheint, wenn die Welt um den Kirchenturm herum noch ruhig und verschlafen daliegt. In unserem Spaziergang durch Prag wollen wir, gemeinsam mit Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, der Geschichte einiger dieser Glocken in Prag nachspüren und zwar mit Martina Schneibergova und Katrin Sliva:
In einer der ältesten altslawischen Legenden über Fürst Vaclav aus dem Jahre 940 heißt es: "Als der Morgen kam, riefen die Glocken zum Morgengottesdienst...". Glocken für kirchliche Zwecke zu verwenden war demnach schon damals durchaus üblich, allerdings handelte es sich zu der Zeit noch um recht kleine Exemplare. Später jedoch fanden sehr viel größere Ausführungen Verbreitung und gleichzeitig vergrößerte sich auch ihr "Wirkungskreis". Sie fanden also auch in der weltlichen Sphäre Verwendung: um die Menschen vor Gefahren zu warnen, um ein Unglück oder eine Naturkatastrophe anzukündigen, Überfälle von Feinden zu signalisieren oder Aufstände zu verkünden. Noch viel später wurden Glocken dann genutzt, um einfach nur die Zeit anzusagen. Die Aufschrift auf der Glocke Marie, der ältesten der drei Glocken, die den Abschluss der Straße Jindrisska bilden, fasst die Funktionen einer Glocke in jener Zeit sehr gut zusammen. Die Aufschrift in lateinischer Sprache ist auf das Jahr 1518 datiert und lautet:
"Ach, ich Glocke erklinge niemals umsonst, verkünde ich doch Feiertage oder Brände, Beerdigungen..."
Jede Glocke war einem Heiligen gewidmet und trug deshalb auch dessen Namen. Die älteste Glocke Prags, leider nur in Form eines Abgusses erhalten, stammt aus dem Jahre 1313 und wurde ursprünglich für die Kirche des Prager Brevnov-Klosters gegossen. Sie war 2,5 m groß und zierte im 16. Jahrhundert das Altstädter Rathaus. Die Glocke war also älter als der Turm, in dem sie hing, denn dessen Bau wurde erst am 4. August 1381 fertiggestellt. Sie verkündete die Uhrzeit bis sie Anfang Mai des Jahres 1945 gemeinsam mit der Aposteluhr bei der Bombardierung Prags und dem daraus resultierenden Brand des Altstädter Rathauses zerstört wurde. Ihre Blütezeit erlebten die Glocken im 15. Jahrhundert. Zu jener Zeit lebten in Prag neben zwei deutschen und einem polnischen, etwa einhundert einheimische Glockengießer. Die meisten von Ihnen wohnten in der Neustadt, in der damaligen Siroka-Straße, die heute Jungmannova heißt. Die besten Handwerker verdienten damals ein kleines Vermögen und zählten zu den angesehen Bürgern der Stadt. Im Jahre 1489 wurden beispielsweise gleich drei Meister der Glockengießerkunst, nämlich Jakub, Jira und Jilek, in den Stadtrat aufgenommen. Aus dieser Zeit stammen auch die uns als älteste bekannten Werke konkreter Meister. So z.B. die Glocke Katerina aus dem Jahre 1475, die bis heute im linken Turm der Kirche Jungfrau Maria im Strahov-Kloster hängt.
Die Glockengießerkunst war damals ein Handwerk, das von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Der Begründer einer der berühmtesten Prager Glockengießerdynastien war Bartos Brikci, der im Jahre 1498 die Witwe des Glockengießers Jirik heiratete und somit die Werkstatt und das Haus des verstorbenen Gatten seiner Ehefrau übernahm, die sich in der Siroka-Straße befanden. Dort goss er im Laufe der Zeit über 150 Glocken. Im Jahre 1509 schuf er im Auftrag von König Ludwig, gemeinsam mit dem Glockengießermeister Ondrej Ptacek aus Kutna Hora die damals größte Glocke Prags. Diese trug den Namen "Patronus Pater campanarum", was auf Deutsch etwa bedeutet: "Beschützer, Vater aller Glocken". Die Glocke wog 236 Zentner (centyru) und war so groß, dass, als sie auf die Burg befördert werden sollte, ein Stück der Mauer weggebrochen werden musste, die zwischen den Brücken und der "Bila vez", dem Weißen Turm also führte, damit die Glocke durch das Tor passte. Aber bereits im Jahre 1523 goss Bartos die Glocke um. Und da sie nicht bezahlt wurde, lagerte sie mehrere Jahre in der Werkstatt des Meisters, bis sie 1532 die Witwe Ferdinand I. für den St.-Veits-Dom kaufte.
Damals wurde jede Glocke für etwas Heiliges erachtet, das mit Aberglauben und Magie verbunden wurde. Die Menschen glaubten beispielsweise, dass eine Glocke bis zu dem Zeitpunkt, da sie an ihrem Bestimmungsort aufgehängt wurde, nicht von einer "unreinen Person" berührt werden durfte. Als unrein galten dabei vor allem Frauen oder anderweitig "unwürdige" Personen. Eine andere Legende besagt, dass im Falle, dass derjenige der sich das Metall zur Fertigung einer Glocke auf unehrliche Weise beschafft, dem Tode geweiht sei. Letztgenannte Prophezeiung geht vermutlich auf die Tatsache zurück, dass Glockengießermeister in der Regel recht früh starben. Diese abergläubischen Überzeugungen hatten zur Folge, dass die neugegossenen Glocken nicht von Pferdegespannen oder von Bullen gezogen werden durften, sondern von reinen, unschuldigen Knaben.
Am 30. Januar 1534, als bittere Kälte herrschte und viel Schnee gefallen war zogen abwechselnd mehrere Hundert Jungen Meister Bartoss Glocke auf Schlitten durch die Altstadt über die Karlsbrücke zur Burg hinauf. Am nächsten Tag gelang es ihnen, sie durch den ersten und zweiten Burggraben hindurchzuziehen. Dann aber rammten sie mit dem Schlitten den Weißen Turm auf der Burg, die Glocke glitt vom Schlitten herunter und zerbarst in Stücke. Aus den Einzelteilen wurde eine neue Glocke gegossen, diesmal direkt auf der Burg. Sie war so schwer, dass eigens für sie ein neuer Turm gebaut werden musste und zwar an der Nordseite der St.Veits-Kathedrale. Heute können wir diesen massiven Holzturm leider nicht mehr bewundern, da er im Jahre 1541 vom großen Brand auf der Kleinseite zerstört wurde.
Glocken zu Transportieren stellt heute natürlich keine große Herausforderung mehr da. So ist erst im Sommer dieses Jahres das Herzstück der größten Glocke Prags mit Hilfe von Kränen an Ort und Stelle gebracht worden, nachdem es einige Zeit zuvor gesprungen war und deshalb restauriert werden musste. Besagte Glocke trägt den Namen "Zikmund" und befindet sich in der St.Veits-Kathedrale. Dort hängt sie bereits seit dem Jahre 1549. Der Zikmund ist das Werk des großen Meisters Tomas Jaros, der von Ferdinand dem I nach Prag bestellt und mit der Schaffung einer großen Glocke für die Kathedrale beauftragt worden war. Sie ist über zwei Meter groß, ihr Durchmesser beträgt über 2,5 Meter und sie ist 270 Zentner schwer. Als Vorlage für ihre Reliefverzierungen dienten zwei Holzdrucke von Albrecht Dürer.
Führt man sich das Schicksal seiner "Artgenossen" vor Augen, dann mutet es einem kleinen Wunder an, dass der Zikmund bis heute als eine der Sehenswürdigkeiten auf der Prager Burgerhalten geblieben ist, denn von den fast dreihundert Glocken, die noch im Jahre 1916 fast täglich erklangen, wurde die Mehrzahl im Laufe der beiden Weltkriege für die Waffenproduktion eingeschmolzen.
So, liebe Hörerinnen und Hörer, hiermit sind wir am Ende unseres Spaziergangs durch Prag angelangt. Wir wünsche Ihnen weiterhin viel Vergnügen und freuen uns auf ein Wiederhören im neuen Jahr. Es verabschieden sich Martina Schneibergova und Katrin Sliva.