Zwei Runden, sechs Wahlgänge, tausend Gerüchte und kein Präsident
Am Freitag versuchten die Parlamentarier beider tschechischer Parlamentskammern ein zweites Mal, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Doch ein Nachfolger für Vaclav Havel wurde auch dieses Mal nicht gefunden. Gerald Schubert war auf der Prager Burg vor Ort, und fasst im nun folgenden "Schauplatz" die Ereignisse zusammen:
Mit diesen Worten hat der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Lubomir Zaoralek, am Freitagabend zum zweiten Mal innerhalb von 10 Tagen eine gemeinsame Sitzung beider Parlamentskammern auf der Prager Burg geschlossen, deren einziger Tagesordnungspunkt die Wahl des tschechischen Präsidenten war. Ein Vorhaben, das ebenso zum zweiten Mal innerhalb von 10 Tagen misslang.
Werfen wir einen kurzen Blick zurück auf die erste Wahlrunde, die am Mittwoch der vorangegangenen Woche stattgefunden hatte: Damals waren vier Kandidaten gegeneinander angetreten: Expremier Vaclav Klaus für die Demokratische Bürgerpartei, der ehemalige Justizminister Jaroslav Bures für die Sozialdemokraten, Senatsvorsitzender Petr Pithart für die Christdemokraten und der ehemalige Militärstaatsanwalt Miroslav Krizenecky für die Kommunisten. Vaclav Klaus hatte damals in allen drei Wahlgängen die meisten Stimmen erhalten, jedoch hatte es in keinem der drei Wahlgänge für die verfassungsmäßig vorgeschriebene Mehrheit von 50 Prozent plus einer Stimme gereicht. Am Freitag, im zweiten Anlauf, war nun alles ganz anders - und irgendwie doch genauso. Denn wieder war es Vaclav Klaus, der aus allen drei Wahlgängen als stärkster Kandidat hervorging. Und wieder blieb die Wahl ergebnislos. Andererseits aber fand die zweite Runde doch unter völlig anderen Vorzeichen statt. Denn mittlerweile war Milos Zeman, ebenso wie Klaus ehemaliger Premierminister, für die Sozialdemokraten in den Ring gestiegen, und in den Tagen vor der Wahl war die mediale Öffentlichkeit in Tschechien von Schlagworten wie "Der Kampf der Titanen" geprägt gewesen. Und tatsächlich: Beide Kandidaten waren seit der Samtenen Revolution des Jahres 1989 neben Staatspräsident Vaclav Havel, dessen Amtszeit nun in wenigen Tagen abläuft, die politischen Hauptakteure des Landes und gelten als "ewige Kontrahenten". Am Freitag sollte es also auf der Prager Burg noch einmal zu einem letzten Kräftemessen, zum großen Showdown kommen.
Gerade Klaus und Zeman aber gelten bei vielen Tschechen als Repräsentanten des "alten politischen Stils", der vor allem Ende der 90er Jahre im sogenannten "Oppositionsvertrag" seinen realen Niederschlag gefunden hatte, als die Demokratische Bürgerpartei offen eine sozialdemokratische Minderheitsregierung tolerierte. Doch nicht nur in innenpolitischer, sondern auch in außenpolitischer Hinsicht sind beide Männer als zu stark polarisierend umstritten. Klaus hatte des öfteren mit scharfer Kritik am europäischen Integrationsprozess aufhorchen lassen, und Zeman war voriges Jahr infolge kontroverser Aussagen über die Rolle der Sudetendeutschen vor dem zweiten Weltkrieg in eine auf diplomatischem Parkett nicht alltägliche Auseinandersetzung mit dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder geraten. Radio Prag hat am Rande der Präsidentenwahl mit Milan Horacek von der Prager Heinrich-Böll-Stiftung, er ist auch ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestages, über dieses Thema gesprochen. Haben die umstrittenen Aussagen von Klaus und Zeman heute noch eine Bedeutung? Werfen sie einen Schatten auf ihre Präsidentschaftskandidatur, oder kann man sie als Wahlkampfrhetorik vergangener Zeiten heute vergessen? Horacek:
"Ich glaube, jede Aussage eines politisch gewichtigeren Menschen, und das waren sowohl Vaclav Klaus wie auch Milos Zeman, ist schon wichtig. Denn sie beeinflussen nicht nur die eigene Partei, deren Mitglieder, Funktionäre und Mandatsträger, sondern auch die öffentliche Meinung, die Menschen im Staat. Deshalb muss man diese Aussagen ernst nehmen, auch wenn sie in Wahlkampfzeiten gemacht worden sind, vielleicht mit dem Hintergedanken, auf einer populistischen Welle ein bisschen zu mobilisieren. Eine andere Frage ist es natürlich, ob die beiden auch von dem überzeugt sind, was sie gesagt haben. Manche dieser Aussagen waren richtig schlimm. Etwa Vergleiche, die in Israel gemacht worden sein sollen, nämlich dass die Israelis mit den Palästinensern dasselbe machen sollten, wie die Tschechen mit den Deutschen nach dem Krieg. Das ist eine Aussage, die im Grunde niemand, kein Mandatsträger, kein einfacher Abgeordneter, solange er Abgeordneter einer demokratischen Partei ist, kein Minister und schon gar nicht ein Ministerpräsident und jetzt Präsidentschaftskandidat, machen dürfte."
Eine Zeitlang hatte es jedenfalls so ausgesehen, als würden die beiden "Titanen" in ihrem Kampf von keinem dritten Bewerber gestört werden. Doch es kam dann doch noch anders: Wenige Tage vor der Wahl wurde die 73jährige Jaroslava Moserova, eine Senatorin der kleinen "Demokratischen Bürgerallianz", von einer Gruppe von Senatsmitgliedern ebenfalls als Kandidatin nominiert und offen von christdemokratischen, liberalen und unabhängigen Parlamentariern unterstützt. Man gab Moserova zwar von Anfang an nur wenig Chancen, doch für viele verkörperte sie, und zwar völlig ungeachtet ihres fortgeschrittenen Alters, den frischen Wind, der in der Auseinandersetzung um das höchste Amt im Staat so lange gefehlt hatte. Außerdem kann auch sie durchaus auf langjährige politische Erfahrung verweisen: Unter anderem war sie bereits Botschafterin in Australien und Neuseeland, sowie Präsidentin der UNESCO-Generalkonferenz. Wenige Minuten vor dem ersten Wahlgang habe ich mit Jaroslava Moserova das folgende kurze Gespräch geführt:
Radio Prag:"Vaclav Havel war ja vor allem im Ausland sehr anerkannt. Ist es möglich, seine Linie irgendwie fortzusetzen? Oder was wären für Sie die außenpolitischen Schwerpunkte des Präsidentenamtes?"
Moserova:"In allem möchte ich fortsetzen. Ich weiß, dass man mit Präsident Havel nicht konkurrieren kann. Aber da ich eine Frau bin, wird man mich nicht so mit Havel vergleichen. Niemand könnte einem Vergleich mit ihm standhalten. Das geht nicht. Aber ganz bestimmt möchte ich gute Beziehungen mit den Nachbarn haben, und eine gute Stellung in der Europäischen Union."
Radio Prag:"Es kommen aus dem Lager von Milos Zeman und aus dem Lager von Vaclav Klaus manchmal Stimmen, die sagen, dass Sie nur aufgestellt wurden, um den jeweiligen Gegenkandidaten aus dem Spiel zu bringen. Ärgert Sie das?"
Moserova:"Nein, mir ist das egal. Ich bin nicht eitel, ich bin eine Frau, und ganz bestimmt bin ich kein Figurant. Ich bin ein richtiger Kandidat."
Radio Prag:"Sie gehen also mit vollem Einsatz ins Rennen?"
Moserova:"Bestimmt."
Die erste Wahlrunde am Freitag brachte kurz darauf eine Überraschung: Denn Milos Zeman, dem man für den Sieg im Abgeordnetenhaus die meisten Chancen gegeben hatte, unterlag dort seinem Kontrahenten Vaclav Klaus. Und im Senat konnte Jaroslava Moserova die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Damit waren es Klaus und Moserova, die in den zweiten Wahlgang vorrückten. Zeman, in seiner eigenen Partei sehr umstritten, verließ die Prager Burg grußlos durch die Hintertür. Ob das das endgültige Aus seiner politischen Karriere war, oder ob Zeman doch noch eine Strategie sucht, um sich im Rennen um die Präsidentschaft im Spiel zu halten, darüber gibt es bis jetzt nur Spekulationen. Theoretisch jedenfalls könnte er sich im Spiel halten. Denn, wie eingangs bereits erwähnt: In den Wahlgängen zwei und drei hatte Klaus zwar insgesamt immer die meisten Stimmen, Moserova war jedoch im Senat immer stärker als Klaus. Und dieser schaffte es nie, die erforderliche 50-Prozenthürde zu überspringen, da in der Wahl auch die ungültigen Stimmen mitgezählt werden. Von der Möglichkeit, in der geheimen Abstimmung ungültige Stimmzettel abzugeben und dadurch ein Ergebnis zu blockieren, wurde also reichlich Gebrauch gemacht.
Die Pattstellung in den beiden Parlamentskammern scheint also vorerst festgefahren. Selbst der scheidende Präsident Havel, dessen Amtszeit am 2. Februar definitiv abläuft, hat sich in der Debatte mittlerweile zu Wort gemeldet. Er glaube, so Havel, dass man sich in einer eventuellen dritten Runde vorher auf einen kompromissfähigen Kandidaten mit Chancen auf eine breite Mehrheit werde einigen müssen. Angesichts der Verhandlungen, die in den Tagen vor der Wahl hinter den Kulissen geführt wurden, und von denen vor allem die gegenseitigen Vorwürfe der Verwendung unlauterer Methoden, des Postenschachers und gar der Bestechung an die Öffentlichkeit drangen, wird aber der Ruf nach einer Direktwahl des Präsidenten immer lauter. Eine der Parteien, die eine solche schon seit längerer Zeit fordern, ist die liberale Freiheitsunion. Kurz vor dem entscheidenden Wahlgang hat Radio Prag deren Abgeordnete Hana Marvanova danach gefragt, ob sich ihre Fraktion erneut für eine solche Direktwahl einsetzen werde, sollte auch die zweite Wahlrunde fehlschlagen. Hana Marvanova darauf:
"Wir unterstützen eindeutig eine Direktwahl des Staatspräsidenten, und haben diese auch schon vor dem Beginn der Präsidentschaftswahl vorgeschlagen. Sollte auch diese zweite Wahlrunde erfolglos sein, werden wir den anderen politischen Parteien abermals die Frage vorlegen, ob es nicht doch möglich wäre, sich auf eine Direktwahl des Präsidenten zu einigen."
Fazit: Nicht nur über die Person des nächsten Staatsoberhauptes herrscht heute Unklarheit. Mittlerweile ist sogar der Abstimmungsmodus selbst wieder ein Diskussionspunkt geworden. Und da fast alle Prognosen rund um den Nachfolger von Vaclav Havel sich bislang als unrichtig erwiesen haben, ist auch die Lust an Spekulationen hierzulande langsam aber sicher versiegt. Jetzt herrscht vor allem eines: Ratlosigkeit.