Machtkampf oder Identitätssuche? Die Konflikte in der tschechischen Sozialdemokratie
Am nächsten Wochenende steht für die Sozialdemokratische Partei Tschechiens ein mit Spannung erwarteter Parteitag auf dem Programm. Über die Konflikte in dessen Vorfeld berichtet Gerald Schubert im nun folgenden Schauplatz:
Die Situation des Parteichefs, also die von Premierminister Vladimir Spidla, ist gegenwärtig alles andere als einfach. Denn seine sozialliberale Koalitionsregierung, in der außer den Sozialdemokraten auch die hierzulande vergleichsweise kleine Christdemokratische Partei und die liberale Freiheitsunion vertreten sind, kann sich im Abgeordnetenhaus des Parlaments nur auf die knappste aller dort möglichen Mehrheiten stützen, nämlich auf die von 101 zu 99 Mandaten. Angesichts der in manchen Bereichen tiefen ideologischen Gräben zwischen den Koalitionsparteien, als deren wohl einzige große gemeinsame Perspektive man den Beitritt des Landes zur Europäischen Union sehen kann, ist eine solch knappe Mehrheit natürlich eine eher dürftige Basis für die Durchsetzung politischer Reformen. Jene ohnedies schon labile Situation wird aber nun durch innerparteiliche Konflikte in der CSSD noch weiter verschärft.
Salopp ausgedrückt könnte man also sagen: Premierminister Spidla stehen im Parlament gleich dreierlei Oppositionen gegenüber. Nämlich die der tatsächlichen Oppositionsparteien, also der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) und der Kommunisten (KSCM), weiters die aus den Reihen der Koalitionsparteien, wo zum Beispiel in Fragen der Budgetpolitik oft nur sehr schwer Kompromisse gefunden werden, und schließlich einer Opposition aus der eigenen Partei heraus. Worin nun diese parteiinternen Konflikte bestehen, wo ihre Ursachen liegen und auf welche Weise sie das Antlitz der tschechischen Innenpolitik gegenwärtig prägen, das soll das Thema der folgenden Minuten sein.
Mag sein, dass die Zwistigkeiten in der CSSD schon in dem Augenblick begonnen haben, als Milos Zeman, der Vorgänger Spidlas sowohl im Amt des Parteichefs als auch des Premierministers, sich nach den Wahlen Mitte vorigen Jahres aus der offiziellen Politik zurückzog und den Weg für Spidla frei machte. Ein tatsächlicher Generationswechsel, den viele erhofft hatten, war aber mit diesem Schritt nicht verbunden. Denn obwohl Zeman selbst in den Partei- und Regierungsgremien nun nicht mehr vertreten war, verblieben dort doch einige seiner Anhänger, die sich mehr mit den alten Zeiten des sogenannten Oppositionsvertrags identifizierten. Damals, also bis Mitte des vorigen Jahres, war eine sozialdemokratische Minderheitsregierung von der konservativen ODS unter ihrem damaligen Vorsitzenden Vaclav Klaus unterstützt worden, und das mag für einige wohl bequemer gewesen sein als die Mehrheitsfindung in einem sozialliberalen Koalitionskabinett.
Offen zum Ausbruch kam die Krise aber nun bei der Präsidentschaftswahl, wo sich ja im dritten Anlauf gerade jener Vaclav Klaus durchsetzen konnte. Und dies, so viel ist sicher, auch mit sozialdemokratischen Stimmen, obwohl man sich mit Jan Sokol zuvor auf einen gemeinsamen
Regierungskandidaten geeinigt hatte. Radio Prag hat Jiri Loewy, einen heute in Deutschland lebenden ehemaligen tschechischen Emigranten, der Zeit seines Lebens mit der Partei verbunden und zwanzig Jahre lang sogar im Vorstand ihrer Exilorganisation tätig war, nach seiner Einschätzung dieses Konflikts in der CSSD befragt:
"Ich bin über diese Situation natürlich überhaupt nicht glücklich. Aber ich habe auch gewisse Limits, die einfach durch die Entfernung gegeben sind. Ich kann also eigentlich nur die Ergebnisse beurteilen, und die waren ja tatsächlich katastrophal. Wenn Politiker so evident lügen, wenn sie sich auf einen Kandidaten einigen und dann bei der geheimen Stimmabgabe das Gegenteil tun und einen Klaus auf die Burg bringen, da kann ich nur sagen: manche der heutigen Abgeordneten der CSSD haben sich sichtlich in der Tür geirrt, als sie in diese Partei eingetreten sind. Denn von der Gesinnung her sind sie alles mögliche, nur keine Sozialdemokraten."
Wenn die Zwistigkeiten in der Sozialdemokratie hierzulande analysiert werden, dann ist auf der einen Seite meist von jenen Parteimitgliedern die Rede, die Premier Spidla unterstützen, und auf der anderen Seite vom Zeman-Lager. Wie aber steht es dabei um die tatsächliche politische Perspektive jener sogenannten "Zemanovci", also jener Zeman-Leute? Loewy:
"Ich weiß nicht, ob das Milos Zeman heute selber weiß. Ich glaube, dass man da von irgendwelchen ideologischen Gegensätzen überhaupt nicht ausgehen kann, sondern dass es sich um persönliche Interessen, materielle Interessen gewisser Gruppen handelt. Also um Klientelismus, durch den diese Gesellschaft regelrecht durchwachsen ist. Und ich glaube, wem an dieser Sozialdemokratie und an der Zukunft des Landes etwas gelegen ist, der hat eigentlich in diesem Augenblick keinerlei Alternative zu Spidla. Spidla muss gestützt werden. Er hat sich zwar nicht besonders geschickt verhalten, aber so lange es ihn an der Spitze der Regierung gibt, ist noch Hoffnung. Anders verfällt alles in ein Chaos, und das sollte man sich nicht wünschen. Denn ich glaube, ganz Europa hat Interesse an stabilen Zuständen in der Tschechischen Republik."
Spätestens nach dem Debakel bei der Präsidentschaftswahl jedenfalls zeigte sich, dass für Spidla Handlungsbedarf besteht. Dies erst recht in Anbetracht des auf Ende März angesetzten Parteitages. Denn einige Parteimitglieder sägen mehr oder weniger offen am Stuhl des Vorsitzenden, und gerade die Schlappe bei der Wahl, die sie möglicherweise auch noch selbst herbeigeführt hatten, könnte ihnen nun als Argument gegen einen vermeintlich führungsschwachen Regierungschef dienen. Also trat Spidla die Flucht nach vorne an und stellte am 11. März im Parlament die Vertrauensfrage. In einer für ihn ungewöhnlich scharfen Tonlage begründete er diesen Schritt:
"Wenn man sich vorstellt, dass diese doch einigermaßen ungewisse Situation weiter andauern würde, Tag für Tag, Woche für Woche - ich glaube, da würde die Position dieser Regierung, ohne irgendeine Hoffnung für die Zukunft, einem ständigen Erosionsprozess unterzogen sein. Und es würde eine Situation nicht-öffentlicher Koalitionen entstehen. Denn das, was bei der Präsidentenwahl passiert ist, das war die Entstehung einer nicht-öffentlichen Zweckkoalition, die ein anderes politisches Ziel hatte als das, das offiziell repräsentiert werden sollte. Diese Situation ist unannehmbar, und es ist nötig, sie zu klären."
Geklärt wurde die Situation nur insofern, als dass bei der Abstimmung alle 101 Abgeordneten der Regierungsfraktionen dem Kabinett das Vertrauen aussprachen, alle 99 Oppositionsabgeordneten das Misstrauen. Der feine Unterschied zur Präsidentschaftswahl: Bei letzterer wurde geheim abgestimmt.
Doch immerhin: Spidla war fürs erste einigermaßen gestärkt und hatte Initiativkraft gezeigt. Und da kam auch schon der nächste Schritt: Die Abberufung von Industrie- und Handelsminister Jiri Rusnok, der die Kandidatur des Regierungskandidaten Jan Sokol bei der Präsidentschaftswahl nicht unterstützt hatte. Offiziell hieß es, die Kommunikation mit Rusnok sei ins Stocken geraten, doch dieser selbst ortet den Grund für seine Absetzung gerade in seinem Verhalten bei der Wahl des Staatsoberhaupts:
"Aus dem Gespräch, das ich mit dem Premierminister geführt habe, ging klar hervor, dass der eigentliche Grund meine Illoyalität bei der Präsidentenwahl war. Ein anderer sachlicher, konkreter Grund wurde nicht genannt. Und was die Kommunikation mit den Kollegen in der Regierung betrifft: Ich habe nie irgendein Kommunikationsproblem gehabt. Für mich ist diese Begründung nur ein Vorwand."
Doch freilich ist die ganze Angelegenheit weitaus vielschichtiger und besteht nicht nur aus der Meinung einzelner Sozialdemokraten zu Klaus oder Sokol. Rusnok selbst ist dafür ein gutes Beispiel: Denn er hat von Anfang an nicht verheimlicht, dass ihm eine Regierungszusammenarbeit auf breiter Basis, und das heißt soviel wie eine Koalition mit der ODS, lieber gewesen wäre. Auf dem am 28. März beginnenden Parteitag der CSSD wird sich herausstellen, ob Premierminister Spidla seine Linie einer sozialliberalen Mitte-Links-Regierung zumindest vorläufig weiterführen kann. Von einem Verbleib des Kabinetts über die ganze Legislaturperiode spricht hier ohnehin schon kaum jemand mehr.