Meinungen zum Irak-Krieg: Pavel Kolar, tschechischer Historiker in Deutschland

Irak (Foto: CTK)

Im Rahmen unserer Miniserie zu den Meinungen verschiedener Tschechinnen und Tschechen über den Irak-Krieg kommt heute Pavel Kolar zu Wort, ein junger tschechischer Historiker, der derzeit in Berlin lebt und an der Universität im benachbarten Potsdam tätig ist. Gerald Schubert hat mit ihm gesprochen:

Irak  (Foto: CTK)
Mit Pavel Kolar über den Irak-Krieg zu reden ist nicht nur deshalb besonders interessant, weil er als Historiker einen fachspezifisch geformten Blick auf politische Entwicklungen hat, sondern vor allem deshalb, weil er Tscheche ist, der in Deutschland lebt. Aus dieser Perspektive kann er einiges sagen zu den viel diskutierten Unterschieden zwischen den Meinungsbildern in den beiden Ländern. Nach einer ersten persönlichen Einschätzung jenes Krieges befragt, bringt Kolar auch gleich seine momentane Einbettung in die deutsche Medien- und Meinungslandschaft ins Spiel:

"Ich lebe in Deutschland, und bin vom deutschen Milieu und vor allem von deutschen Ansichten stärker beeinflusst als von tschechischen. Das kann auch eine bestimmte Rolle spielen. Meine persönliche Ansicht ist jedenfalls so, dass ich von Anfang an gegen den Krieg war. Mir war das Verhalten der deutschen Bundesregierung ziemlich nah, und das ist so geblieben, auch nach dem raschen Sieg der Alliierten im Irak. Denn es geht hier nicht nur um eine einmalige Sache, sondern um die Weltordnung an sich. Ich teile die Meinung, dass das ein völkerrechtswidriger Krieg war, und dabei bleibt es."

Die Haltung vieler tschechischer Intellektueller, die sich nicht zuletzt aufgrund eigener Erfahrungen mit diktatorischen Systemen immer wieder mit den USA solidarisch erklären, kann Kolar als Historiker zwar nachvollziehen; ein wirklich gangbarer Weg in die Zukunft zeichne sich in einer solchen, oft sehr einseitigen Orientierung jedoch nicht ab:

"Diese proamerikanische Einstellung zieht unsere wirtschaftlichen Interessen oder unsere kulturellen Interessen überhaupt nicht in Betracht. Natürlich sind die USA für uns wichtig, sowohl historisch als auch aus sicherheitspolitischer Perspektive. Auf der anderen Seite: Ohne Deutschland, Frankreich und andere Länder in Europa können wir wirtschaftlich und politisch einfach nichts machen. Ich würde also sagen: Wenn man pragmatisch ist, muss man einen Kompromiss finden. Und das gilt auch für die tschechische Politik."

Aus einer solchen, historisch und geopolitisch motivierten Pragmatik heraus entsteht freilich auch manchmal der Eindruck des Lavierens, der Entscheidungsschwäche, der Desorientierung. Für Kolar ist eine solche Haltung aber eigentlich nur normal:

"Ich würde sagen: Für so ein kleines Land wie Tschechien ist es wirklich nicht so einfach, ganz eindeutig Partei zu ergreifen. Das soll nicht irgendwie opportunistisch gemeint sein, sondern eben realistisch."

Übrigens: Die selbe Pragmatik fordert Kolar auch in der Sicht von außen, also im Blick der Deutschen oder der Franzosen auf die Tschechische Republik. Ihr und anderen EU-Kandidatenländern war ja gerade im Zusammenhang mit der Irak-Krise manchmal mangelndes Europabewusstsein vorgeworfen worden. Die noch recht frischen Erinnerungen jener Staaten an die kommunistischen Diktaturen, die sich im US-amerikanisch dominierten Westen ihr Feindbild aufgebaut hatten, kommen dabei oft zu kurz:

"Für Deutsche oder noch mehr für Franzosen ist das nicht klar. Die verstehen nicht, warum einfach die Erfahrung aus der Zeit vor 1989 so wichtig ist für diese freundschaftliche Einstellung gegenüber den USA. Das betrifft etwa auch den ehemaligen Präsidenten Havel. Das ist eine Lebenserfahrung, vor allem der Intellektuellen. Und die erklärt eigentlich auch diese unterschiedliche Einstellung gegenüber dem Krieg im Vergleich zu Deutschland oder den deutschen Intellektuellen. Auf der anderen Seite: Die Meinungsumfragen zeigen, dass bei uns achtzig Prozent der Bevölkerung gegen den Krieg sind. Das ist genau so viel wie in Deutschland, und in diesem Sinne gibt es da keinen Unterschied. Das ist für mich sehr erstaunlich und sehr interessant. Die Soziologen und Politologen sollten da wirklich weitere Vergleiche zwischen den beiden Gesellschaften ziehen."