Die Turmglocke "Maria" strahlt im neuen Glanz

Heinrichs-Turm

Passanten, die die Jindrisska (die Heinrich-Straße) entlang liefen, nahmen ihn bis jetzt kaum wahr: den Heinrichs-Turm. Vernachlässigt, leer und seit Jahren allen neugierigen Blicken versperrt. Das hat sich nun geändert: Der Turm gibt seine Geheimnisse preis. Mehr darüber von unserer freien Mitarbeiterin Lucie Drahonovska.

Die Volkstradition hat unzählige Symbole. Zu einem davon zählen Glocken, denen man Zauberkraft zusprach. Kleine Glöckchen hat man Tieren umgebunden oder als Glücksbringer über den Hauseigang gehängt. Große Glocken galten wiederum als schnelle Boten. Ihr Läuten begleitete den Menschen ein ganzes Leben lang - von der Wiege bis zum Grab. Die jüngere Geschichte war für viele Glocken jedoch unbarmherzig: Unzählige Glocken sind der Kriegsindustrie zum Opfer gefallen und jene, die wie durch ein Wunder verschont blieben, wurden von dem vorigen Regime zur Stille verurteilt. Ein besonderes Schicksal hatte die Turmglocke von Jindrisska vez (dem Heinrichs-Turm) in der Prager Neustadt: Sie ist nach Jahren, genauso wie der gotische Bau, aus ihrem langjährigen Schlaf erwacht. Und während der sechsstöckige Bau einen atemraubenden Ausblick auf die Moldaustadt enthüllt, kann man seine altertümliche Glocke aus nächster Nähe betrachten: Denn sie wurde zur prächtigen Dominante eines ungewöhnlichen Turm-Restaurants. Dass sie jetzt aus bautechnischen Gründen nicht mehr völlig erklingen kann, stört nicht einmal ihren wortwörtlichen Pflege-Vater, den bekanntesten tschechischen Glockengießer Petr Rudolf Manousek. Denn auf diese Weise würde eine der zehn ältesten Prager Turmglocken ihren jetzigen Zustand lange bewahren können. Nachdem Petr Rudolf Manousek im vergangenen Sommer ein neues Herz für die größte tschechische Glocke der Sankt-Veits-Kathedrale, den "Zikmund", gegossen hat, widmete er sich eben der "Maria" - wie die Glocke des Heinrichs-Turms heisst. Mehr über die Glocke vom Glocken-Experten Manousek selbst:

"Die Glocke Maria wurde 1518 vom Meister Bartholomäus gegossen. Sie wiegt 723 Kilogramm. Um sie zu restaurieren haben wir zwei Monate gebraucht. Dabei haben wir alle Glocken-Teile wie die Eichen-Holzgehänge neu hergestellt. Gesamte Befestigungsteile wurden handgeschmiedet, genauso das Glockenherz. Alles so, wie es sich gehört."

Petr Rudolf Manousek kann in seinem Beruf auf eine neunzigjährige Familien-Tradition zurückblicken: Sein Großvater, Rudolf Manousek der Ältere, gründete bereits 1908 in Brünn eine eigene Glockengießer-Fabrik, wo er an die 2000 Glocken herstellte. Die Geschichte der Glockengießer-Meister Manouseks dokumentiert eine Ausstellung im zweiten Stockwerk des Turms.

Mit der Restaurierung der "Maria" ist für Petr Manousek die Arbeit im Heinrichs-Turm längst nicht beendet: Zur Zeit installiert er im Turm ein Glockenspiel mit zehn Glocken. Damit stehen dem Besucher des Heinrichs-Turmes gleich drei Genüsse auf ein Mal bevor: ein völlig neuer Ausblick auf Prag, Gaumenfreuden im Turm-Restaurant und nicht zuletzt himmlische Glocken-Läute.