Jürgen Serke trägt "Böhmische Dörfer" nach Tschechien

Böhmische Dörfer

Dass die deutschsprachige Literatur in den Böhmischen Ländern Ende sich nicht nur auf die drei weltberühmten Autoren Kafka, Rilke und Werfel beschränkt, hat der Journalist und Autor Jürgen Serke bereits 1987 in Form eines bemerkenswerten Buches gezeigt. "Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft" - so der Titel des Werkes, über das wir in unseren Sendungen bereits berichteten und mit dem der Autor am Montag zu einer einwöchigen Lesereise durch die Tschechische Republik aufbrach. Zum Auftakt las er im Prager Goethe-Institut vor tschechischen Schülern. Silja Schultheis bat ihn bei dieser Gelegenheit vors Mikrophon.

Zum ersten Mal überhaupt las Jürgen Serke vor tschechischen Schülern, nachdem die "Böhmischen Dörfer" 15 Jahre nach ihrem Erscheinen in Deutschland vor zwei Jahren auch in tschechischer Übersetzung erschienen waren und hierzulande prompt zum "Buch des Jahres 2001" ausgezeichnet wurden.

"Eine Lesung vor Schülern ist insofern wichtig, dass diese Generation das Geschichtsbild der Tschechen bestimmen wird. Und jetzt wird also ganz einfach die deutschsprachige Literatur wieder als Integrationsbestandteil dieser tschechischen Geschichte aufgenommen. Und es gibt nichts Besseres, als wenn Schüler sich diese Geschichte anhören - aber anhören ist nicht das Einzige, denn ich hab ja auch ein paar Vorschläge gemacht, wo sie selber weiterforschen können."

Stellvertretend für viele andere Autoren, die noch viel zu wenig entdeckt seien, ermunterte Jürgen Serke die anwesenden Schüler, sich etwa mit den beiden deutschsprachigen Juden Viktor und Max Fleischer zu beschäftigen. Vor den Prager Schülern las Serke aus den "Böhmischen Dörfern", für die er die Biographien von 47 bis dahin weitestgehend unbekannten deutschsprachigen Autoren in mühsamer Kleinstarbeit recherchiert hat, das Kapitel über den in Prag geborenen Johannes Urzidill:

"Ein Mann, der ein sehr ausgewogenes Urteil über die Tschechoslowakei gehabt hat. Noch dazu ein sehr tapferer Mann, der als Tscheche in der deutschen Botschaft gearbeitet hat - heute unvorstellbar - und der dort ganz einfach Lagebeurteilungen über die Tschechoslowakei abgegeben hat und in keiner Weise diesen Hass von Hitler gefördert, sondern im Gegenteil permanent dagegen gehalten hat. Und im 'Prager Tryptichon' hat er ein wunderschönes Buch über dieses Prag hier geschrieben."

Weitere Stationen der Lesereise von Jürgen Serke sind Liberec/ Reichenberg, wo er die Autoren Melchior Fischer und Kamil Hoffmann vorstellt. Ferner Olomouc/ Olmütz, wo es um die Schriftsteller Ludwig Winder und Hermann Ungar geht und Brno/ Brünn, wo Peter Kien und Josef Hahn auf dem Programm stehen. In allen drei Städten liest Jürgen Serke, der im geschichtsträchtigen Jahr 1968 als Korrespondent in Prag tätig war und dem Land bis heute verbunden ist, sowohl vor der Öffentlichkeit als auch an der Universität vor Studenten. Denn eben die junge Generation ist es, auf die er - unabhängig von der jeweiligen politischen Stimmung im Lande - seine Hoffnung setzt hinsichtlich der Wiederentdeckung des gemeinsamen mitteleuropäischen Kulturraums:

"Die werden in dieses Europa hineinwachsen und all die Bedenken werden sich verflüchtigen. Wir werden also endlich wieder einen Kulturraum bekommen, in dem man sich wieder miteinander verständigen kann, ohne dass man also immer diese Schuldfragen lösen muss das ganze Leben."