Gewerkschaften vs. Finanzreform, Kommunisten vs. Lustrationsgesetz
Liebe Hörerinnen und Hörer, auch heute haben wir für Sie eine weitere Ausgabe von "Im Spiegel der Medien", der Mediensendung von Radio Prag vorbereitet. Im Mittelpunkt stehen diesmal zwei Themen: Der Kampf der Gewerkschaften gegen die von der Regierung in Angriff genommene Finanzreform und ein umstrittener Antrag der Kommunisten im Parlament. Am Mikrophon sind diesmal für Sie Gerald Schubert und Robert Schuster.
Vielleicht haben Sie ja schon einer unserer tagesaktuellen Sendungen entnommen, dass auch das tschechische Kabinett mit den Regierungen anderer europäischer Länder gleichzieht und bei den Ausgaben des Staates den Rotstift ansetzen will - in erster Linie natürlich bei den Leistungen im Sozialbereich, wie etwa beim Krankengeld. Fast unverändert bleibt durch die von der Regierung vor kurzem beschlossenen Maßnahmen das Rentensystem. Noch, muss man da wohl hinzufügen, denn auch in Tschechien tickt schon seit langem die sogenannte "demographische Zeitbombe", womit gemeint ist, dass die tschechische Bevölkerung immer älter wird und die bisherigen Formen der Alterssicherung in naher Zukunft nicht mehr ausreichen dürften.
Wie in anderen Ländern, hat sich auch in Tschechien gegen die Sparpläne der Regierung Widerstand geregt. An vorderster Front standen dabei die Gewerkschaften, die anfangs dieser Woche ihre seit langem geäußerten Drohungen wahrmachen und in Prag eine Großdemonstration veranstalten wollten. Gemäß den Vorstellungen der Gewerkschaftsführung sollte es sich um die größten Streikaktionen seit zehn Jahren handeln. Doch alles kam anders. Als die wichtigsten Teilverbände Anfang dieser Woche tatsächlich in Richtung Regierungsgebäude marschieren wollten, beteiligten sich daran lediglich knapp zweitausend Demonstranten, die aus dem ganzen Land in die tschechische Hauptstadt kamen. Das entsprach in etwa einem Zehntel der ursprünglich erwarteten Zahl.
Kein Wunder, dass sich dazu auch einige Kommentare in den tschechischen Zeitungen fanden. Kritik an der Rolle, welche die Gewerkschaften in diesen Tagen spielten, übte in seinem Kommentar Martin Zverina in der Tageszeitung Lidove noviny. Sein Beitrag aus dem wir Ihnen nun kurz zitieren möchten, trägt den Titel "Die lange Leitung der Gewerkschaft" :
"Schon das zweite mal in dieser Woche überschätzten die Gewerkschaften ihre Kräfte oder vielleicht gar die Lust ihrer Mitglieder zu protestieren. Die Gewerkschaften haben somit wieder einmal gezeigt, dass sie durch ihr anachronistisches Verhältnis gegenüber Wirtschaft und Arbeitgebern, in denen sie ihre Gegner sehen, eigentlich stetig ihren eigenen Einfluss verringen. All diejenigen, denen die Gewerkschaften ein Dorn im Auge sind, können hingegen jubeln: Noch ein paar solch gelungene Veranstaltungen, wie die dieswöchige Demonstration, und ihre Autorität ist endgültig verloren."
Besondere Zielscheibe der Protestierenden war dabei die stärkste Regierungspartei, also die Sozialdemokraten und insbesondere deren Chef, Premierminister Vladimir Spidla. Gedanken über die Rolle des Premiers und den Widerspruch zwischen den angestrebten Kürzungen im Sozialbereich und den üppigen Wahlversprechen der Sozialdemokraten von vor einem Jahr machte sich u.a. auch Alexander Mitrofanov in der Tageszeitung Pravo. In einem Redaktionskommentar mit dem Titel "Wer etwas dafür kann und was zu tun ist" geht der Autor diesem Interessenskonflikt der tschechischen Sozialdemokraten nach und meint:
"Ist daran Spidla selber schuld? In gewisser Weise schon. Er hätte vor den Wahlen nicht Dinge versprechen sollten, für die es kein Geld in der Staatskasse gibt. Aber dennoch hat Spidla in den letzten Tagen eine bemerkenswerte Wandlung von einem Sozialvisionär hin zu einem Politiker gemacht, der sich seiner Verantwortung nicht nur für den Staat, sondern auch für die Protestierenden Gewerkschafter bewusst ist."
Auf den Meinungsseiten der tschechischen Printmedien wurden aber auch die konkreten Vorhaben der tschechischen Regierung im Zusammenhang mit der Sanierung der tschechischen Staatsfinanzen kommentiert. Der Regierung wurde dabei fast von allen Seiten attestiert, bei ihren Maßnahmen den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Es bleibe ihr auch nichts anderes übrig, so die Meinung vieler Kommentatoren, denn schließlich soll ja Tschechien langfristig auch fit für die Einführung des Euro sein, was ohne Reformen nicht gelingen würde.
Karel Steigerwald ging in seinem Kommentar auf einen weiteren wichtigen Aspekt der jüngsten Vorhaben der Regierung ein, nämlich den geplanten Bürokratieabbau. Der Beitrag Steigerwalds, der in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes erschienen ist, trägt den Titel "Das Wunder über der Moldau".
"Spidlas Regierung will in den kommenden drei Jahren dreißigtausend Staatsangestellte entlassen. Das kommt einem Wunder über der Moldau gleich, und in der Geschichte der tschechischen Bürokratie ist so etwas noch nie vorgekommen. Das alles ist aber leichter gesagt, als getan. Die Erfahrungen besagen, dass sich öffentliche Ämter gegen jegliche Abmagerungskuren mit einer weitaus höheren Intelligenz zu wehren vermögen, als diejenigen, die sie verschlanken möchten. So kommt es dann, dass man zwar zwanzig Beamte entlässt, andere dreißig kommen aber von irgendwo anders her neu hinzu."
Themenwechsel: Die tschechischen Kommunisten unternahmen in den vergangenen Tagen einen erneuten Versuch das sogenannte Lustrationsgesetz aus dem Jahr 1991 aufzuheben, was ehemaligen Spitzenfunktionären der kommunistischen Partei und Angehörigen des einstigen kommunistischen Staatssicherheitsdienstes StB erlauben würde, hohe Posten in der Verwaltung einzunehmen. Das Argument der Kommunisten gegen dieses Gesetz ist seit Jahren das Gleiche, nämlich, dass es für bestimmte Bevölkerungsgruppen diskriminierend wirken würde. Die Befürworter sehen hingegen in diesem Gesetz ein Mittel, um - wie sie oft behaupten - die demokratische Staatsordnung vor Vertretern des ehemaligen Regimes zu schützen. So wie schon in den vergangenen Jahren fand sich jedoch im Parlament auch diesmal eine klare Mehrheit, die eine Beibehaltung dieser Rechtsnorm unterstützte. Auch zu diesem Thema fanden sich natürlich zahlreiche Kommentare in den tschechischen Zeitungen, wobei wir für Sie einen Beitrag von Petruska Sustrova ausgewählt haben, der in den Lidove noviny erschienen ist:
"Es ist fast schon so etwas wie ein Ritual, wenn die Kommunisten im Parlament versuchen, das Lustrationsgesetz aufzuheben. Seit nunmehr 12 Jahren wird im Zusammenhang mit diesem Gesetz von beiden Seiten ähnlich argumentiert. Natürlich ist dieses Gesetz unvollkommen, weil es nicht erlaubt, das Ausmaß der Zusammenarbeit Einzelner mit dem kommunistischen Regime zu erfassen Aber hier gilt: Besser ein unvollkommenes Gesetz, als gar keines."
Die aktuelle Debatte über das Lustrationsgesetz hatte jedoch diesmal laut Lidove noviny noch eine wichtige Nebenbedeutung. Abschliessend zitieren wir noch einmal aus dem Kommentar von Petruska Sustrova:
"Dennoch hatte aber die jüngste Abstimmung einen etwas anderen Charakter, nämlich den eines Kräftemessens zwischen den Kommunisten und den übrigen Parteien. Gerade im Zusammenhang mit den Kommunisten konnte man in den letzten Monaten den Eindruck gewinnen, als ob sie von den anderen als gleichberechtigte politische Partner akzeptiert worden wären. Unter diesem Blickwinkel ist das Scheitern der jüngsten kommunistischen Initiative auch ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit."