600 Linguisten tagen auf ihrem Weltkongress in Prag

Würde man dieser Tage irgendwo auf der Welt einen Sprachwissenschaftler an einer Universität bzw. in einem linguistischen Institut suchen, könnte der Erfolg womöglich ausbleiben. Denn die Linguisten sind in Prag zu finden, wo sie sich zu ihrem 17. Weltkongress getroffen haben. Markéta Maurová hat den Kongress besucht.

Fast 600 Sprachwissenschaftler haben sich in den vergangenen fünf Tagen in Prag getroffen, um sich gegenseitig über die Ergebnisse und Methoden ihrer Forschung zu informieren. Obwohl die tschechische Sprachwissenschaft seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts dank der sog. Prager Schule und dem Strukturalismus einen guten Ruf in der Welt hat, fand eine solch bedeutende und prestigeträchtige Veranstaltung bisher in der tschechischen Hauptstadt noch nicht statt. Während an den ersten beiden Tagen Plenarvorlesungen auf dem Programm standen, wurden die Wissenschaftler danach in mehrere Arbeitsgruppen unterteilt und von ihnen in den jeweiligen Sektionen speziellere Fragen erörtert. Mehr habe ich dazu von der Hauptorganisatorin des Kongresses, der tschechischen Linguistin an der Prager Karlsuniversität, Frau Prof. Eva Hajicova, erfahren:

"Für diese Weltkongresse der Linguisten, die einmal aller fünf Jahre stattfinden, ist es geradezu spezifisch, dass sie Linguisten aus den unterschiedlichsten Fächern zusammenbringen. Sie haben kein spezifisches Thema. Allerdings wurden dennoch einige Themen für die eingeladenen Gastredner ausgeschrieben; in diesem Jahr gab es vier, und zwar: erstens die Typologie der Sprachen, zweitens die sog. bedrohten Sprachen, drittens die Sprache und das Gemüt und viertens Methoden der Linguistik. Ansonsten ist die Arbeit in den Sektionen sehr mannigfaltig. Wir haben zehn Sektionen und wirklich alles, was in der Linguistik geschieht, kann hier zur Geltung kommen."

In einem der Workshops, welcher der historischen und vergleichenden Sprachwissenschaft gewidmet war, habe ich Carmen Scherer angesprochen - übrigens eine Debütantin bei einem so großen Weltkongress.

"Sie sind eine der fast 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Linguistik-Kongresses in Prag, Sie haben gerade einen Vortrag gehabt. Welchem Thema haben Sie sich gewidmet?"

"Ich habe über historische Wortbildung im Deutschen gesprochen. Also ich habe über die Möglichkeiten gesprochen, wie bestimmte Wörter neu gebildet werden können und welche Veränderungen sich über die Zeit hinweg feststellen lassen."

"Was für ein Korpus haben Sie zu diesem Zweck studiert?"

"Ich habe mit Zeitungstexten aus vier Jahrhunderten gearbeitet, vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, und ich habe das Korpus selbstständig erhoben, ich habe also wirklich alte Zeitungstexte in den Fingern gehabt, habe sie durchgeschaut und eben die Wörter, die mich interessiert haben, aus diesem Korpus rausgezogen."

"Welche Wörter waren das?"

"Das Waren er-Derivate, d.h. Wörter, die mit dem Suffix -er gebildet sind. Ich gebe jetzt mal einige Beispiele: etwa Lehrer von lehren oder Fischer von fischen oder Hüpfer von hüpfen."

"Und zu welchem Ergebnis sind Sie bei Ihrer Forschung gekommen?"

"Mein Ergebnis war, dass bestimmte Typen von diesen Derivaten über die Zeit hinweg stärker gebildet werden, und zwar ist es der sog. deverbale Typ, da war das Beispiel "Lehrer" zu "lehren", wohingegen man sagen muss, dass heute insgesamt sehr viel mehr von diesen Derivaten gebildet werden als früher, so dass auch die anderen Typen wie "Gärtner" zu "Garten" heute häufiger sind als noch vor 400 Jahren."

"Sie haben gesagt, dass dieser Kongress Ihr erster großer Kongress ist: Haben Sie einen Beitrag gehört, der Sie besonders beeindruckt hat? Und wie finden Sie eigentlich den Kongress?"

"Ich finde ihn sehr, sehr groß. Was ich schade finde - ich bin ganz allein gekommen und kenne auch nicht sehr viele Leute, ja und es ist auch schwer auf andere zu zugehen. Und der Beitrag... Ich sage Ihnen das Thema: Es ging um Sprachwandel im kanadischen Französisch. Und die Referentin hat nachgewiesen, dass der Wandel, der sich abzeichnet, nicht so tiefgreifend ist, wie in der Linguistik üblicherweise behauptet wird. D.h. sie hat das mit ihren Mitarbeitern nachgeprüft, und es war wirklich sehr beeindruckend."