Gedenken an den 21. August 1968 im Spiegel der Medien

La presse tchèque, le 21 août 1968

Liebe Hörerinnen und Hörer, auch heute haben wir wieder für Sie das Wichtigste aus den tschechischen Medien der abgelaufenen Woche zusammengefasst. Am Donnerstag, den 21. August, waren es auf den Tag genau 35 Jahre her, dass die Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei einmarschierten und die Reformbewegung der damaligen kommunistischen Führung unter Alexander Dubcek nicht nur zum Erliegen brachten, sondern während der darauf folgenden 70er Jahre die Entwicklung im Land ins genaue Gegenteil umkehrten.

Die Medien widmeten sich dem Thema ausführlich in vielerlei Gestalt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk öffnete sein Ton-Archiv und produzierte anlässlich des Jahrestages eine eigene Serie, wobei jeden Tag ein anderer Aspekt im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings behandelt wurde. Auch das Tschechische Fernsehen fand in seinem Archiv bislang noch nicht veröffentlichtes Filmmaterial, das seit jenen August-Tagen noch gar nicht verarbeitet war. Die Tageszeitungen, so wie seit geraumer Zeit in solchen Fällen üblich, brachten wiederum Sonderbeilagen heraus mit dem Ziel, vor allem der jüngeren Generation die damaligen Ereignisse zu veranschaulichen.

Die Kommentare zu diesem Thema waren um ein Höchstmaß an Objektivität bemüht, wenn auch natürlich bei einigen Kommentatoren persönliche Erinnerungen wieder wach wurden. Ein Beispiel dafür ist der erste Kommentar, aus dem wir Ihnen einige Textstellen zitieren wollen. Er stammt aus der Feder des früheren Bürgerrechtlers und heutigen Journalisten Petr Uhl und erschien unter dem Titel "Die Erneuerung nach 35 Jahren" in der linksliberalen Tageszeitung Pravo:

"Mit dem Einmarsch der Armeen des Warschauer Paktes in die damalige Tschechoslowakei hat ein grandioses historisches Experiment sein jähes Ende gefunden. Der Sozialismus mit menschlichem Antlitz war jedoch kein Betrug der Kommunisten an den Menschen, so wie uns heute einige weiß machen wollen. Die Bürger hatten gespürt, dass es den Kommunisten wirklich um Freiheit und manchen vielleicht sogar um Demokratie ging und deshalb wurden sie von Seiten der Bevölkerung kritisch unterstützt."

August 1968  (Foto: CTK)
Uhl sieht des Weiteren in seinem Kommentar auch einen kausalen Zusammenhang zwischen dem unfreiwillig zu Ende gegangenen Prager Frühling und der später ins Leben gerufenen Bürgerrechtsbewegung Charta ´77 bzw. der ganzen Demokratiebewegung der späten 70er und frühen 80er Jahre, wenn er hinzufügt:

"Ja es stimmt, dass die meisten von hundert Tausenden ausgeschlossenen Parteimitgliedern im Verlauf der weiteren Jahre weitgehend passiv waren, aber dennoch fanden sich unter den ersten 240 Unterzeichnern und den zehn Gründungsmitgliedern der Charta zur Hälfte ehemals ausgeschlossene Kommunisten. Alle in der Charta haben später gewusst, dass der Reformprozess, den es seit 1963 gab, die Grundlage für die mit der Charta eng verbundene Bewegung für Demokratie und Menschenrechte war."

In eine völlig entgegengesetzte Richtung geht ein Kommentar, der in der vergangenen Woche in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes erschienen ist und von Karel Steigerwald verfasst wurde. Sein Titel lautet "Der Realist Breschnew":

"Das Jahr 1968, einschließlich der sowjetischen Besetzung, gehört zu den peinlichen Kapiteln unserer Geschichte. In der Geschichte des Abwehrkampfes gegen die Herrschaft der Russen in Osteuropa haben die tschechischen Ereignisse einen seltsamen Stellenwert. Es ging nämlich nicht um den Versuch, den Kommunismus zu beseitigen, sondern lediglich um dessen Verbesserung. Andere bekannte Erhebungen hatten das genaue Gegenteil zum Ziel. Es kann als ein Paradox der Geschichte gesehen werden, dass die tschechischen Rezepte zur Verbesserung des Kommunismus zur dessen schnellen Demontage geführt hätten, so wie es Gorbacov zwanzig Jahre später vorgeführt hat."

In der Internet Zeitschrift Britske listy findet sich ebenfalls eine Reihe von Kommentaren oder Erlebnisberichten zum 21. August 1968. Auffallend dabei ist, dass die Debatte um das Vermächtnis des Prager Frühlings von Persönlichkeiten geführt wird, für die mit den Ereignissen des 21. Augusts nicht nur die Welt zusammenbrach, sondern die auch später emigriert sind. Einige Beiträge, die in der Britske listy erschienen sind, befassen sich wiederum mit den Lehren aus der Niederschlagung der ganzen Reformbewegung. So meint etwa Michal Jurza in seinem Beitrag mit dem Titel "Die Lehren aus dem 21. August und die Gegenwart":

"Zu den Lehren von damals sollte vor allem Eines zählen: Die Invasion hat vielen Russland gegenüber positiv eingestellten Bürgern des Landes die Augen geöffnet und ihnen die letzten Illusionen genommen. Die russischen Panzer brachten jedoch nicht nur Breschnews-Doktrin der begrenzten Souveränität mit sich, sondern langfristig auch eine Art historische Ernüchterung über die Großmächte. Im heutigen Mitteleuropa gibt es keinen Grund dafür, sich aus der stählernen Umschlingung der Sowjets blind in die Arme der nächsten Großmacht, also der Amerikaner zu werfen."

Der Frage, warum man sich eigentlich heute noch der Ereignisse vor 35 Jahren erinnern soll, geht Patricia Polanska in der Wirtschaftszeitung Hospodárské noviny nach, in einem Kommentar mit dem Titel: "Was sollen wir heute mit dem 21. August anstellen?":

"Nach den Erfahrungen mit dem kommunistischen Terror der fünfziger Jahre mussten für viele die liberaleren sechziger Jahre so etwas wie eine Offenbarung darstellen, wenn auch im Rahmen eines sozialistischen Paradieses. Woran aber auf jeden Fall erinnert werden muss, das sind die Opfer der Folgen dieser"Bruderhilfe" unmittelbar am 21. August und in den Tagen danach, welche in den darauf folgenden Jahren verschwiegen und geleugnet wurden. Denn von Zeit zu Zeit ist es wichtig, auf die Straßen zu gehen."

Abschließend wollen wir Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, noch einen kurzen Auszug aus der Tageszeitung Lidove noviny bringen. Dort hat sich die Journalistin Petruska Sustrova in ihrem Kommentar mit dem Titel "Es gibt nicht nur eine Wahrheit über 1968" mit der Rolle, die in den bewegten August-Tagen der damalige erste kommunistische Parteisekretär und für viele die Galionsfigur der ganzen Reformbewegung schlechthin - Alexander Dubcek - spielte:

"Ich habe nie verstanden, warum die meisten von meinen Mitbürgern von jener Ansprache Dubceks so ergriffen waren, die er nach seiner Rückkehr aus Moskau im Radio hielt und in der er seine Kapitulation und somit das Ende seines bisherigen Kurses bekannt gab. Dennoch ist er populär geblieben und noch während der 80er Jahre riefen Demonstranten, von Angesicht zu Angesicht vor schwer bewaffneten Polizisten stehend, den Namen von Dubcek. Das erste, was einem als mögliche Erklärung einfällt ist, dass die damalige Gesellschaft eben kein anderes vereinendes Symbol hatte als ihn. Aber der Schlüssel für die Erklärung dieses Umstands liegt wohl darin, dass man die Ereignisse von damals nicht mit heutigen Augen betrachten darf."