Neue Folgen vom "Krankenhaus am Rande der Stadt" brechen Zuschauerrekorde
In Tschechien wurde Anfang vergangener Woche zweifelsohne wieder einmal Fernsehgeschichte geschrieben. Am Montag, kurz nach zwanzig Uhr schauten sich fast vier Millionen Tschechen die lange herbeigesehnte und nach zwanzig Jahren endlich zustande gekommene Fortsetzung der beliebten Fernsehserie "Das Krankenhaus am Rande der Stadt" an. Das letzte Mal saßen so viele Zuschauer vor den Bildschirmen, als die tschechische Eishockey-Nationalmannschaft vor fünf Jahren bei den Olympischen Winterspielen im japanischen Nagano Gold holte und der triumphale Empfang in Prag vom Fernsehen live übertragen wurde.
Der große Erfolg nicht nur vom "Krankenhaus am Rande der Stadt", sondern auch von anderen TV-Serien beim tschechischen Publikum deuten auf ein interessantes Phänomen hin, nämlich auf die außerordentliche Begeisterungsfähigkeit der Tschechen für Fernsehserien. Es stellt sich somit die Frage, ob sich bei der Art von Unterhaltung, wie sie insbesondere Fernsehserien bieten, irgendwelche Gesetzmäßigkeiten feststellen lassen, die man respektieren muss, um beim tschechischen Publikum anzukommen. Das fragten wir den Medienexperten Milan Smid von der Journalistischen Fakultät der Prager Karlsuniversität:
"Jede Fernsehserie, wenn sie gut geschrieben ist, ist für die Zuschauer prinzipiell attraktiv. Das "Krankenhaus am Rande der Stadt" ist aber dennoch eine Art Sonderfall und zwar aus zwei Gründen, die letztlich dazu geführt haben, dass es nun nach 20 Jahren überhaupt zu dieser Fortsetzung gekommen ist. Zum einen war diese Fernsehserie schon damals sehr gut geschrieben und nichts kann wohl mehr den objektiven Erfolg unterstreichen als der Umstand, dass es dieser Serie gelang, den damaligen Eisernen Vorhang zu durchbrechen und auch im westdeutschen Fernsehen ausgestrahlt zu werden. Zum anderen - und das hängt mit der grundsätzlichen Frage zusammen, ob es überhaupt einen Sinn macht ein Thema nach 20 Jahren wieder aufzugreifen - befindet sich die Produktion von Fernsehserien in Tschechien seit mehr als 10 Jahren in einer tiefen Krise, alle diesbezüglichen Versuche sind mehr oder weniger gescheitert und vielleicht hat man sich auch deshalb nach weiteren Folgen vom "Krankenhaus am Rande der Stadt" gesehnt. Deshalb hatte die erste Folge der neuen Staffel so einen Erfolg."Insgesamt vergingen zwischen der Idee, die beliebte Krankenhausreihe fortzusetzen und der Premiere der ersten Folge fünf Jahre. Während die eigentlichen Dreharbeiten die letzten zwei Jahre in Anspruch nahmen, waren die ersten drei Jahre nicht nur den Drehbucharbeiten gewidmet, sondern standen auch im Zeichen intensiver Gespräche und Beratungen mit der Witwe des inzwischen verstorbenen Autors der ursprünglichen Fernsehvorlage, Jaroslav Dietl. Frau Dietlova wurde dabei von den Produzenten ein wesentliches Mitspracherecht bei der endgültigen Fassung des Drehbuchs eingeräumt.
Obwohl von den 13 neuen Folgen bislang nur die erste ausgestrahlt wurde, lässt sich anhand des bereits bestehenden Interesses der Zuschauer voraussagen, dass auch die neuen Folgen erfolgreich sein werden. Die Presseabteilung des Fernsehens soll angeblich vergangenen Dienstag nach der Ausstrahlung der ersten neuen Folge mit Briefen und E-Mails geradezu zugeschüttet worden sein.Gibt es überhaupt in der Medien- und Fernsehgeschichte Fälle, wo eine Fortsetzung von früher äußerst erfolgreichen Serien später ebenso erfolgreich oder gar erfolgreicher war? Das war unsere nächste Frage an Milan Smid, der dabei auf ein wichtiges Spezifikum im Zusammenhang mit dem "Krankenhaus am Rande der Stadt" verweist:
"Das Problem besteht darin, dass keine der wirklich erfolgreichen Fernsehserien eine so lange Pause von 20 Jahren hatte. Das Grundprinzip sowohl der öffentlich-rechtlichen als auch der kommerziellen Sender ist, dass etwas solange produziert und ausgestrahlt wird, solange die Einschaltquoten stimmen. Wenn es um die Einschaltquoten geht, ist ein Beispiel aus den Vereinigten Staaten sehr interessant, nämlich als die letzte Folge der auch hierzulande beliebten und erfolgreichen Fernsehserie MASH über den Bildschirm lief, hat die Zahl der Zuschauer ein Rekordausmaß angenommen."
Ähnlich rekordverdächtig sind auch die Einschaltquoten bei tschechischen Fernsehserien, die bereits in der Zeit vor 1989 ausgestrahlt wurden und nun wiederholt werden, und zwar ungeachtet dessen, dass sich darunter auch jene befinden, die seinerzeit durch eine einschlägige Wahl des Themas und des Umfelds zu Zwecken der kommunistischen Propaganda eingesetzt wurden.
Was sind die Gründe für die Beliebtheit gerade dieser Serien? Sind sie in den meisten Fällen nur ganz einfach handwerklich gut gemacht, oder kann das auch als Ausdruck einer Nostalgie der Zuschauer nach früheren Zeiten gesehen werden? Milan Smid meint dazu im Folgenden:
"Ich denke, dass das die Kombination von zwei Faktoren ist. Zum einen sicherlich eine Art Nostalgie, wo die Menschen die Neigung haben das Schlechte zu vergessen und erinnern sich generationsübergreifend an die besseren Seiten der Vergangenheit, aber auf der einen Seite bin ich davon überzeugt, dass die Beliebtheit dieser Fernsehserien nicht so groß wäre, wenn es ausreichend neuer Stoffe geben würde. Leider vermochten es weder die privaten Sender, noch das öffentlich-rechtliche Fernsehen hier eine Fernsehserie zu etablieren, die in das normale Leben versetzt wäre und nicht nur außerordentliche Themen, wie Privatisierung etc. zum Thema hätte. Mich würde es überhaupt nicht stören, wenn es auf einem der drei landesweiten Fernsehkanäle täglich eine gut gemachte Soap-Opera geben würde, die die täglichen Sorgen gewöhnlicher Menschen zum Thema hätte."
Vor der ersten Folge der neuen Krankenhaus-Staffel gab es in den tschechischen Medien eine noch nie da gewesene Werbekampagne. So verging kein Tag, an dem nicht einer der beliebten Darsteller in Interviews über das bevorstehende Ereignis plauderte und dabei ein wenig das streng gehütete Geheimnis lüftete, welche Entwicklung wohl die Schicksale der wichtigsten Personen nehmen werden. Wird dieses Beispiel für eine massive und oft indirekt geführte Kampagne künftig Schule machen? Milan Smid verweist auch hier auf einige Spezifika im Zusammenhang mit dem "Krankenhaus am Rande der Stadt", wenn er meint:
"Ich persönlich meine, dass diese Kampagne, von der die Rede war, ganz spontan entstanden ist und vor allem von den Medien derart betrieben wurde. Dahinter steckt also nicht das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen als Auftraggeber der neuen Folgen, sondern das allgenmeine Interesse der Öffentlichkeit und auch der Medien an einem interessanten Stoff, den sie dann maximal auszuschlachten versuchten, so dass man meiner Meinung nach von etwas Spontanem sprechen kann."
Vor einiger Zeit verbreiteten vor allem zahlreiche tschechische Zeitungen die Ergebnisse einer Langzeitstudie, wonach den einheimischen Fernsehstationen allmählich die Zuschauer abhanden kommen und sie seit einigen Monaten angeblich nicht im Stande seien würden, die rückläufigen Zuschauerzahlen aufzuhalten. Handelt es sich in diesem Fall tatsächlich um einen längerfristigen Trend? Abschließend hören Sie noch einmal die Meinung des Medienexperten Milan Smid von der Prager Karlsuniversität:
"Die geringe Abnahme der Zuschauerzahlen ist Bestandteil eines längerfristigen Trends. Vor allem junge Menschen werden heute durch andere Bildschirm-Ereignisse gelockt, wie z.B. durch Computer- oder Videospiele, so dass dann logischerweise das Fernsehen kein ausschließliches Monopol auf elektronische Unterhaltung hat. Die diesjährigen Schwankungen hängen aber auch stark damit zusammen, dass die Fernsehprogramme sehr stereotyp sind und ich meine, dass eine erfolgreiche Fernsehserie hier keine längerfristige Trendumkehr einleiten kann. In der Gestaltung der Fernsehprogramme fehlt es an Innovationen, an guten Ideen, es wird allzu oft wiederholt. So kann es passieren, dass ganz billige Talk-Shows zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden, weil es ganz einfach nichts anderes gibt."