EU-Parlament: Vorbereitungen auf Tschechiens ersten Urnengang

Liebe Hörerinnen und Hörer, die ersten Wahlen der tschechischen Europaabgeordneten nahen heran und so wollen wir nun im Schauplatz, unserer Hintergrundsendung zu aktuellen Themen aus Politik und Gesellschaft, ein wenig auf die Europawahlen eingehen. Durch die Sendung führen Sie heute Dagmar Keberlova und Robert Schuster.

In diesem Jahr stehen den tschechischen Bürgern neben zahlreichen anderen Wahlgängen Mitte Juni auch die ersten Wahlen zum Europaparlament bevor. Insgesamt werden die Wahlen zur europäischen Volksvertretung bereits zum sechsten Mal stattfinden. Die ersten wurden vor einem Vierteljahrhundert in den damals neun Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft abgehalten. Viele Europaexperten erhofften sich davon seinerzeit einen Schub für den damals auf der Stelle tretenden europäischen Einigungsprozess. Denn schließlich galt es, mit den Wahlen die Zusammensetzung einer wichtigen europäischen Institution erstmals den europäischen Bürgern anzuvertrauen. Im Nachhinein lässt sich aber sagen, dass sich diese Erwartungen nur bedingt erfüllt haben. So haben heute in den meisten Ländern der Europäischen Union die Wahlen zum Europaparlament lediglich Testwahl-Charakter. Das heißt unter anderem auch, dass von Seiten der Wähler diesen Urnengängen eine geringere Bedeutung beigemessen wird, als etwa den Parlamentswahlen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Zudem sehen viele Wähler in den Europawahlen oft auch eine Gelegenheit ihrer jeweiligen Regierung einen Denkzettel zu verpassen, wobei dieses Protestverhalten nicht zuletzt einer illustre Runde von umstrittenen Politikern nutze - erinnert sei hier z.B. an den französischen Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen-, die auf diese Art und Weise in Straßburg zu Parlamentarier-Ehren gelangten. Wie werden sich also angesichts der Erfahrungen aus den gegenwärtigen Mitgliedsländern die tschechischen Wählerinnen und Wähler verhalten? Das fragten wir den Politikwissenschaftler Vit Hlousek von der Masaryk-Universität in Brno/Brünn:

"Die Erfahrungen mit den Europawahlen zeigen, dass diese Wahlen tatsächlich oft als eine Art Nebenwahl gesehen werden - sowohl von den Politikern, als auch von den Wählern. Ähnlich wird es, denke ich, auch in Tschechien sein, denn in den Augen des klassischen tschechischen Wählers ist sein Europa-Engagement dadurch erfüllt worden, dass er an der Volksabstimmung über den EU-Beitritt teilgenommen hat. Natürlich könnte man im Vorfeld der Europawahlen über die künftige europäische Verfassung diskutieren, aber bislang stehen europäische Themen eher am Rande des allgemeinen Interesses. Ich denke also, dass bei den ersten tschechischen Europawahlen der Verlauf des Wahlkampfs mit jenem identisch sein wird, den wir auch von den nationalen Parlamentswahlen kennen."

Vier Monate vor den eigentlichen Wahlen haben bereits alle wichtigen politischen Gruppierungen Tschechiens ihre Kandidatenlisten abgeschlossen und der Öffentlichkeit die Namen der Spitzenkandidaten vorgestellt. Der Politikwissenschaftler Vit Hlousek meint, es sei relativ wichtig, dass wenigstens die Spitzenkandidaten der Parteienlisten schon aus der Innenpolitik bekannt sind. Es sei auch zu erwarten, dass sich die Wähler diesmal nur in geringem Maße an ihrer längerfristigen Parteibindungen orientieren, sondern sich auch auf Grund der kandidierenden Persönlichkeiten entscheiden werden. In dieser Hinsicht unternimmt Hlousek für uns im Folgenden eine Bewertung der einzelnen Wahlvorschläge:

Foto: Europäische Kommission
"Als die relativ aussichtsreichsten Kandidatenlisten würde ich diejenigen der Bürgerdemokraten, der Sozialdemokraten und - vielleicht mag das etwas paradox erscheinen - auch die kommunistische bezeichnen. Das Paradoxe bei den Kommunisten ist, dass sie eine feste und treue Wählerschaft haben, so dass es fast egal ist, wer für die Partei kandidiert. Weitaus schwächer ist in dieser Hinsicht der Wahlvorschlag der beiden kleineren Regierungsparteien, d.h. der liberalen Freiheitsunion und auch der Christdemokraten. Obwohl gerade diese beiden Parteien stark pro-europäisch eingestellt sind, ist ihre Personalliste nicht besonders profiliert."

Die tschechischen Wählerinnen und Wähler haben in den vergangenen Jahren in puncto Beteiligung bei Wahlen unterschiedliche Präferenzen gezeigt. Während bei den kommunalen Vertretungen und dem Abgeordnetenhaus das Interesse der Bürger relativ groß ist, sind die Wahllokale bei den Wahlen zum Senat - d.h. einer Institution, deren Notwendigkeit nach wie vor umstritten ist - oft wie leergefegt. Welche Beteiligung erwartet unser Gesprächspartner von der Brünner Masaryk-Universität für die ersten tschechischen Europawahlen?

"Ich persönlich würde schätzen, dass die Beteiligung nicht so gering ausfallen wird, wie bei den Senatswahlen. Bestimmt wird dabei eine gewisse Neugier der Wähler eine Rolle spielen, die vielleicht motivieren könnte in die Wahllokale zu kommen, aber dennoch wird die Beteiligung wohl geringer ausfallen, als wir es von den Parlamentswahlen gewohnt sind. Das zeigen nicht nur die Erfahrungen aus dem Ausland, sondern auch die allgemeinen Trends, so wie sie sich in verschiedenen Umfragen unter den tschechischen Wählern, zeigen. Prozentuell würde ich von einer ungefähr 50-prozentigen Beteiligung ausgehen, sie wird aber jedenfalls unter der Beteiligung bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus bleiben."

Eine weitere Frage, die sich in den Vordergrund drängt, ist jene nach dem politischen Einfluss der 24 tschechischen Europa-Abgeordneten. Denn schließlich liegt die Gesamtzahl der Straßburger Mandatare bei rund 700. Gerade in Tschechien wurde die Europadebatte in den vergangenen Jahren durch das Schlagwort der "Wahrung der nationalen Interessen" geprägt, wobei sich die Parteien gegenseitig darin zu übertreffen suchten, besser die tschechischen Anliegen gegenüber Europa vertreten zu können. Wie real ist es also, dass die tschechischen Parlamentarier genau diesen Intentionen entsprechen können? In diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen der 21 österreichischen EU-Abgeordneten nicht uninteressant, die z.B. mit dem Thema des tschechischen Atomkraftwerks Temelin mehrmals vergeblich versuchten auf europäischer Ebene aktiv zu werden und Unterstützung für die österreichische Position zu erhalten. Werden also ihre tschechischen Kollegen bei vergleichbaren Anliegen nicht einen ähnlichen Schiffbruch erleiden? Welche Chance gibt ihnen der Brünner Politikwissenschaftler Vit Hlousek?

"Keine allzu großen. Das österreichische Beispiel ist in der Tat gut geeignet um die wirklichen Möglichkeiten von Vertretern kleinerer Länder zu zeigen. Wenn nämlich von vergleichbar großen Staaten ein bestimmtes Thema als einer Art nationales Ziel deklariert wird, dann hat es im Europaparlament fast keine Chance durchzukommen. Das hat sich auch bei Temelin gezeigt, wo selbst die umweltbewussten Skandinavier mit dem Vorgehen der Österreicher nichts anzufangen wussten. In solchen Fällen stellen dann die 24 Abgeordneten eine vernachlässigbare Größe dar. Der einzige Weg im EU-Parlament etwas zu erreichen ist, die eigenen Anliegen innerhalb der jeweiligen Fraktion gezielt den Kollegen aus anderen Ländern zu unterbreiten. Man darf auch nicht vergessen, dass ein zu offenkundiges Forcieren von eigenen nationalen Positionen von den Vertretern anderer Länder negativ aufgefasst werden könnte, d.h.: Der einzige Weg ist eben der Versuch indirekt Einfluss auf die Abgeordnetenkollegen auszuüben."

Im Zusammenhang mit den regelmäßig abgehaltenen Wahlen zum Europaparlament war in den vergangenen Jahren ein weiteres wichtiges Phänomen zu verzeichnen, nämlich die steigende Bereitschaft der Parteien in den Beitrittsländern sich zu europäischen Parteienbünden zusammenzuschließen. Die Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen verfügen schon längst über entsprechende Netzwerke. Nun wollen sich auch die Grünen sowie die Kommunisten und Postkommunisten im Rahmen einer europäischen Gruppierung sammeln. Wie können die Perspektiven für das Entstehen eines europäischen Parteienspektrums beurteilt werden? Der Brünner Politikwissenschaftler Vit Hlousek meint dazu abschließend:

"Es stimmt, dass die Politikwissenschaft gegenwärtig von einer so genannten Europäisierung der Politik spricht. Das bedeutet, dass sich die Macht auch im Bereich der politischen Parteien von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern scheint. Es ist auch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen gleich gesinnten nationalen Parteien spürbar, aber das heißt noch lange nicht, dass diese sich zusammenschließen und somit funktionierende gesamteuropäische Parteienstrukturen entstehen würden. Die Schwäche der europäischen Parteienverbände hängt aber auch mit der immer noch schwachen Rolle des EU-Parlaments zusammen, vor allem weil das Parlament immer noch nicht hundertprozentig die EU-Kommission kontrollieren darf. Ich könnte mir aber vorstellen, das künftig die Tätigkeit der europäischen Parteienverbände stärker aus Mitteln des EU-Haushalts finanziert würde, was zwangsläufig zu deren Stärkung führen könnte. Gegenwärtig sind zwar jene Stimmen, die so eine Europäisierung massiv unterstützen relativ stark zu hören, aber das alles wird noch mit etlichen Schwierigkeiten verbunden sein."