Tschechiens Armee vor tief greifenden Veränderungen

Vergangene Woche jährte sich zum fünften Mal der Beitritt Tschechiens zur NATO (Foto: CTK)

Vergangene Woche jährte sich zum fünften Mal der Beitritt Tschechiens zur NATO. Aus diesem Anlass ist nun die folgende Schauplatz-Sendung der tschechischen Armee, bzw. der seit vielen Jahren diskutierten Reform der Streitkräfte gewidmet. Am Mikrophon begrüßt Sie dazu Robert Schuster.

Vergangene Woche jährte sich zum fünften Mal der Beitritt Tschechiens zur NATO  (Foto: CTK)
Die jüngste Entscheidung der tschechischen Abgeordneten zugunsten der Entsendung von 120 Soldaten nach Afghanistan hatte etwas Symbolisches an sich: Zum ersten Mal in der mehr als achtzig Jahre währenden Geschichte des tschechischen und tschechoslowakischen Staates trafen die Volksvertreter nicht nur einen vergleichbar schwerwiegenden Beschluss, sondern deklarierten damit gleichzeitig auch die Bereitschaft des Landes einen aktiven Beitrag zur Stabilisierung einer der vielen Krisenregion auf dieser Welt zu leisten.

An die Praxis, dass Tschechiens Streitkräfte künftig öfter auch außerhalb des Territoriums des Landes, bzw. der übrigen NATO-Länder eingesetzt werden können, werden sich manche tschechische Bürger vielleicht noch gewöhnen müssen. Die wenigsten sind sich jedoch dessen bewusst, dass die Auslandseinsätze von tschechischen Truppen gleichzeitig auch der äußere, wenn vielleicht auch sichtbarste Ausdruck jener tief greifenden Veränderungen sind, die den tschechischen Streitkräften in naher Zukunft bevorstehen. Die seit vielen Monaten heftig diskutierte Armeereform scheint nämlich endgültig den Weg ihrer Verwirklichung eingeschlagen zu haben.

Ähnlich, wie in anderen Ländern auch, gaben jedoch in erster Linie die immer knapper werdenden Mittel des Verteidigungs-Etats den entscheidenden Anstoß. Auch aus diesem Grund wird heute die Notwendigkeit der Reform nicht angezweifelt und auch der Widerstand gegen Eingriffe in oft über Jahrzehnte gewachsene Militärstrukturen hielt sich bislang in Grenzen.

Angelegt ist die tschechische Armee-Reform auf mehrere Etappen, die sich bis in das Jahr 2012 erstrecken. Der organisatorische und damit wichtigste Teil soll jedoch bereits im Jahr 2006 abgeschlossen werden. Zu den wichtigsten Eckpunkten der Reform, an deren Zustandekommen sich in den vergangenen sechs Jahren gleich drei verschiedene Verteidigungsminister versuchten, gehört insbesondere die Reduzierung der Truppenstärke und die damit eng verbundene Schließung von Kasernen, die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht und eine wesentliche Vereinfachung der Entscheidungsabläufe sowohl innerhalb der Streitkräfte, als auch im Bereich der politischen Führung, d.h. im Verteidigungsministerium.

Vergangene Woche jährte sich zum fünften Mal der Beitritt Tschechiens zur NATO  (Foto: CTK)
Über die tschechische Armeereform unterhielten wir uns im folgenden mit dem Wehrexperten Zdenek Kriz von der Militärakademie in Brno/Brünn, der in diesem Zusammenhang insbesondere einen wichtigen Aspekt der geplanten Änderungen hervorhebt:

"Das ist eine völlig grundlegende Veränderung im Vergleich zu den vorherigen Vorstellungen und Plänen, obwohl natürlich die Hauptaufgabe der tschechischen Streitkräfte, nämlich die Verteidigung des Landes, nicht ganz aufgegeben wurde. Aber der Akzent auf die Fähigkeit das Heer auch im Ausland einsetzen zu können, ist in dieser Strategie stärker, als es je zuvor während der 90er Jahre der Fall war. Es war in erster Linie eine politische Entscheidung die Reform unter diesen Vorgaben durchzuführen, wobei dieser Entschluss bei weitem nicht von allen politischen Richtungen getragen wird."

Während also insbesondere die Möglichkeit künftig tschechische Truppen zu Einsätzen ins Ausland zu schicken die öffentliche Meinung spaltet, stößt ein wichtiger Eckpunkt der Armeereform fast auf ungeteilte Zustimmung, nämlich die geplante Abschaffung der Wehrpflicht. Entsprechende Vorstöße gab es in den vergangenen 15 Jahren bereits mehrmals, aber sie fanden unter den politischen Eliten des Landes keine Unterstützung. Vielleicht mögen in den 90er Jahren, also unmittelbar nach der politischen Wende, Befürchtungen dahinter gesteckt haben, wonach die weitgehend auf alten kommunistischen Kadern basierende Armee bei der Umwandlung in ein Berufsheer außer Kontrolle geraten und zu einer potentiellen Gefahr für die neue demokratische Grundordnung werden könnte.

Ein weiteres Argument, das stets zugunsten der Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht angeführt wurde, sah darin eine Garantie, dass die Streitkräfte quasi in die Gesellschaft eingebettet und dadurch legitimiert würden. Hören Sie dazu die Meinung des Brünner Militärexperten Zdenek Kriz:

"Allein der Standpunkt, dass der allgemeine Wehrdienst irgendeine stärkere gesellschaftliche Kontrollfunktion habe, ist falsch. Ich denke nicht, dass die Wehrdiener die Möglichkeit hätten, Einsicht in irgendeine militärische Institution zu bekommen. Es gibt Länder, die über Jahrzehnte hinweg ihre Armeen mit Hilfe einer freiwilligen Rekrutierung aufbauen, wobei die zivile Führung oder die demokratische Kontrolle in diesen Armeen nicht gefährdet sind. D.h. mit anderen Worten nur wegen der gesellschaftlichen Rolle der Armee an dem bisherigen System, inklusive der Wehrpflicht, festzuhalten wäre eine strategisch falsche Entscheidung."


Tschechisches Batallion zur Bekämpfung von chemischen und biologischen Kampfstoffen  (Foto: Pavla Jedlickova)
Auch das Nordatlantische Bündnis selber scheint jedoch die Mitgliedsstaaten anzuregen ihre bisherigen Armeestrukturen zu reformieren und sie effizienter zu gestalten. Eine wichtige Weichenstellung brachte in diesem Zusammenhang auch der letzte NATO-Gipfel, der vor anderthalb Jahren in Prag stattfand. Dort wurden unter anderem eine neue Ausrichtung des Bündnisses und die Bildung von schnellen Eingreiftruppen beschlossen. Ebenso wurden insbesondere die kleineren Mitgliedsstaaten angeregt sich in Zukunft auf bestimmte Militärbereiche zu konzentrieren. Tschechien hat bereits angeboten, sich auf das Aufspüren und die Bekämpfung von chemischen und biologischen Kampfstoffen konzentrieren zu wollen. Wird dieses Modell künftig Schule machen und auch von den größeren Mitgliedsstaaten aufgegriffen werden?

"In den kleineren NATO-Mitgliedsländern wird natürlich über die Spezialisierung der nationalen Streitkräfte auf bestimmte Bereiche stark diskutiert. In diesem Fall entspricht eine Einschränkung der Tätigkeit und die Konzentration auf das Wesentliche einer starken Logik, weil diese Staaten natürlich nicht über die Ressourcen verfügen alle bei den Streitkräften wichtigen Bereiche zu besetzen. Natürlich können gerade bei diesen kleinen Staaten Ängste vor einem Verlust der Souveränität aufkommen - genau wie historische Reminiszenzen im Verhältnis zu größeren Nachbarn. Deshalb verläuft dieser Trend in Richtung Spezialisierung langsamer, als man vielleicht ursprünglich angenommen hatte. Im Prinzip lässt sich sagen, dass innerhalb des Bündnisses bisher kein Land hundertprozentig auf dieses neue Modell eingegangen wäre. Es ist also eher anzunehmen, dass die Armeen innerhalb des Bündnisses auch künftig alle militärischen Kapazitäten beibehalten werden, wenn auch in einer minimalen Form. Eine ausschließliche Spezialisierung steht noch nicht auf der Tagesordnung."

Tschechisches Batallion zur Bekämpfung von chemischen und biologischen Kampfstoffen  (Foto: Pavla Jedlickova)
Einer der erhofften Nebenwirkungen der tschechischen Streitkräftereform soll auch ein Prestige-Zuwachs für die Armee sein. Immerhin haben kürzlich in einer repräsentativen Umfrage unter 1027 Bürgern, die älter als 15 Jahre waren, 60 Prozent der Befragten der tschechischen Armee ihr Vertrauen ausgesprochen. Bedeutend geringer, nämlich 42 Prozent, war jedoch die Zahl derer, die glauben, die Armee könne im Ernstfall das Land verteidigen und dessen äußere Sicherheit gewähren. Zu den am meisten kritisierten Problemen des tschechischen Heeres wurden vor allem dessen Korruptionsanfälligkeit oder die ausufernde Bürokratie genannt. Kritisch wird auch beurteilt, dass viele hoch qualifizierte Führungskräfte - wegen der angeschlagenen finanziellen Lage und den geringen Aussichten auf eine Besserung - freiwillig die Armee verlassen und besser bezahlte Posten in der Privatwirtschaft annehmen.

Was sagt unser Gesprächspartner von der Brünner Militärakademie zu den Ergebnissen dieser Umfrage? Kann die Armeereform zu einem Prestigeanstieg beitragen? Abschließend hören Sie noch einmal die Ausführungen von Zdenek Kriz:

"Ich denke, dass jede Institution ihr Prestige vor allem durch ihre eigenen Leistungen erreichen muss und das gilt auch für die tschechische Armee. Natürlich wird das leichter einer Armee gelingen, die regelmäßig eingesetzt wird, als einer Armee, die lediglich in Kasernen sitzt. Was unsere Militärakademie angeht, habe ich ein recht gutes Gefühl, weil sich bei uns mittlerweile relativ gute Anwärter bewerben, so dass die Qualität des künftigen Offizierskorps eine höhere, als bei dem gegenwärtigen sein wird."