Angekommen im Westen: 20 Jahre Nato-Beitritt

Foto: Utenriksdept via Foter.com / CC BY-ND

Seit 20 Jahren ist Tschechien in der Nato. Wie hat sich die Allianz seitdem entwickelt? Welche Herausforderungen stehen in der Zukunft vor dem Bündnis? Und, ist die Allianz überhaupt noch zeitgemäß? Die Antworten darauf weiß unter anderem der Botschafter Tschechiens bei der Nato Jiří Šedivý.

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Tschechien wurde 1999 auch militärisch Teil des Westens. Damit trat das Land zehn Jahre nach der Samtenen Revolution der Nato bei und verabschiedete sich endgültig aus dem Ostblock. Doch warum war das damals so attraktiv? Immerhin war der Kalte Krieg schon lange Vergangenheit, und man hoffte auf eine friedlichere Zukunft. Jiří Šedivý ist derzeitiger Botschafter Tschechiens beim Nordatlantikpakt. Er deutet an, dass man damals sehr schnell von der Gegenwart eingeholt wurde:

„Damals gab es rasante Umwälzungen in der Welt. Als erste Erinnerung daran, dass die Geschichte eben nicht zu Ende war, kann der erste Golfkrieg gesehen werden. Danach kam der Zerfall der Sowjetunion, der von zahlreichen Konflikten begleitet war. Und es entbrannte schließlich der lange Konflikt in Jugoslawien, also der Balkankrieg. Gerade da ist das Versagen Europas, der OSZE und auch der Vereinten Nationen deutlich geworden. Am Ende war es die Nato, die eingegriffen hat. Das war bestimmt ein Faktor, der uns dem Bündnis nähergebracht hat. Vor allem war es aber die ganze Atmosphäre damals. Die politischen Eliten in Tschechien haben schon in den Jahren 1992 und 1993 den Nato-Beitritt als strategisches Ziel beschrieben. Von da an unterbreitete man der Öffentlichkeit die besten Argumente für einen Beitritt. Im Grunde war das Jahr 1999 der Höhepunkt einer natürlichen Entwicklung.“

Heute nehmen die Menschen hierzulande die Allianz zunehmend positiv war, was auch Umfragen aus den vergangenen Jahren zeigen. Gerade deshalb ist die Nato laut Šedivý auch im Jahr 2019 so wichtig:

„An der Nato ist einzigartig, dass sie Europa mit den Vereinigten Staaten verbindet. Das geschieht auch in jenen Momenten, wenn das Fundament der Sicherheitsstruktur, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet wurde, ins Schwanken gerät. Diese Ordnung wird ja derzeit vor allem von Russland gestört. Aber das ist der entscheidende Kontext. Denn für einen mittelgroßen Staat wie Tschechien führt der einzige Weg zur Selbstverteidigung über die Zusammenarbeit. Dabei steht ganz klar das Überleben der Demokratie bei uns auf dem Spiel.“

Ein Bündnis im Wandel

Vor allem durch das massive Engagement außerhalb des Bundesgebiets hat sich die Nato stark verändert. Durch neue Herausforderungen ist sie mehr geworden als nur ein Militärbündnis. Jiří Šedivý erklärt, worum es geht:

Jiří Šedivý  (Foto: Archiv des tschechischen Außenministeriums)
„Seit Ende des Kalten Krieges wandelt sich die Allianz stetig. Und sie reagiert dauerhaft auf die Veränderungen im internationalen sicherheitspolitischen Umfeld. In den 1990er Jahren hat sich die Nato beispielsweise von einem mächtigen aber statischen Verteidigungsbündnis zu einer Organisation entwickelt, die Soldaten im Rahmen sogenannter Expeditions-Operationen ins Ausland schicken kann. In Afghanistan zum Beispiel hat das Bündnis gelernt, auch mit der Zivilverwaltung zusammenzuarbeiten. Damit konnte eine ganze Reihe von entwicklungspolitischen Projekten umgesetzt werden.“

Šedivý betont dabei besonders, dass man sich vom Gedanken eines klassischen Krieges wie in der Vergangenheit verabschieden muss:

„Seit dem Kalten Krieg kommen immer mehr neue Strategien und Methoden auf. Nehmen wir die aggressive Verwendung des Cyberspace, weshalb sich die Verteidigung im virtuellen Raum in den vergangenen zehn Jahren rasend schnell entwickelt hat. Die Nato beschäftigt sich derzeit mit dem Gebiet der sogenannten hybriden Kriegsführung, das heißt mit zahlreichen Aktivitäten wie Desinformationen, Propaganda oder verschiedenen Umsturzmethoden. Meist sind das nicht-militärische Instrumente. Ein weiteres großes Thema ist die Widerstandsfähigkeit – wir nennen das resilience – von kritischer Infrastruktur in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Das bedeutet auch die Fähigkeit, einen großen Schock durch beispielsweise einen Terroranschlag oder einen Cyberangriff abfedern und die jeweilige Regierung stabilisieren zu können. Sollte in Zukunft ein Krieg stattfinden, dann dürfte er im virtuellen Raum entschieden werden. Deshalb ist unsere Priorität Transformation, beziehungsweise Adaption.“

Schreckmoment Ukraine

Vor allem ab 2014 kam der Umbruch, damals eskalierte die Lage in der Ukraine. Seitdem kämpfen im Osten der ehemaligen Sowjetrepublik Regierungstruppen gegen Separatisten, die Beistand aus Moskau genießen. Laut Šedivý hat sich gerade durch diesen Konflikt der große Nachbar Russland vom Partner zum Konkurrenten gewandelt. Und das mit unvorhergesehenen Mitteln:

Krim | Foto: Anton Holoborodko,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
„Die Ukraine war eine große Lektion, da alles sehr schnell und überraschend verlief. Das ist uns heute eine Lehre. Für mich stellt sich die Frage, wie wir uns dort so überrumpeln lassen konnten. Außerdem, dass wir nicht genug Analysen und Informationen hatten, um so etwas vorhersehen zu können. Dabei ging es nicht darum, dass wir hätten eingreifen sollen, denn die Ukraine war und ist nicht Teil der Allianz. Vielmehr hätten wir vorbereitet sein müssen, denn gerade in diesem Fall sind Lücken offengelegt worden, die sich in anderen Fällen rächen. Deshalb haben wir unsere nachrichtendienstliche Tätigkeit intensiviert und vertieft, sie ist qualitativ hochwertiger geworden. Bis zum Jahr 2014 haben wir massiv abgerüstet und uns nicht mehr auf einen möglichen Konflikt mit Russland vorbereitet. Natürlich machen wir das auch heute nicht, aber wir müssen Moskau klar machen, dass uns die Lage in der Ukraine nicht gleichgültig ist. Vor allem bezieht sich das auf die hybride Methode, die Russland gegen die Ukraine und auf der Krim angewendet hat.“

Streitpunkt Finanzen

Šedivý meint damit den Einsatz von nicht gekennzeichneten russischen Soldaten auf der Halbinsel im Schwarzen Meer sowie russische Propaganda nach innen und außen. Einerseits muss die Nato in den Augen des Militärs und Diplomaten gerade darauf mit ihren eigenen Mitteln reagieren. Andererseits hängt laut Šedivý damit auch zusammen, dass man seine direkte Militärpräsenz beispielsweise im Baltikum oder Rumänien verstärken muss. Was die Größe der Bündnistruppen dort angeht, überbiete Russland die Nato an der Grenze zu ihrem Gebiet um Längen, erklärt Šedivý. Doch für mehr Präsenz braucht es auch Geld, und das ist einer der derzeit größten Streitpunkte innerhalb des Paktes:

Der Einheit in Lettland  (Foto: Die tschechische Armee)
„Insgesamt befinden wir uns derzeit in einer Lage, die nicht unbedingt optimal ist. Die Verpflichtung, dass unser Beitrag bis zum Jahr 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes angehoben wird, hat drei Teile. Erstens geht es darum, dass die zwei Prozent gut investiert werden. Zweitens müssen unsere Fähigkeiten durchgehend weiterentwickelt werden. Das bedeutet, dass wir als Tschechische Republik in jene Bereiche investieren, die von uns verlangt werden. Drittens gehören zu den Ausgaben schließlich die verschiedenen Einsätze und Operationen. Dabei sind wir jetzt schon der siebtgrößte Beitragszahler in Afghanistan, und wir haben heute bereits jeweils eine Einheit in Litauen und Lettland, wobei bis Ende des Jahres noch eine Einheit in Estland dazukommt. Dort stellen wir dann das sogenannte Air policing bereit. Wir werden somit bis Ende 2019 in allen drei baltischen Staaten präsent sein, was von uns ja auch erwartet wird.“

Auch deshalb gibt Jiří Šedivý für Tschechien eine positive Prognose ab. Denn bisher leistet Prag vergleichsweise viel für die kollektive Sicherheit, wenn auch nach dem Prinzip „weniger ist mehr“. Dennoch müsse man an der Moldau laut Šedivý ordentlich nachziehen und seine Verpflichtungen erfüllen:

„Derzeit können wir eigentlich all das erfüllen, was wir der Allianz versprochen haben. Auch wenn einige Sachen ein bisschen in Verzug geraten sind. Dennoch stehen den geforderten zwei Prozent unsere 1,1 Prozent gegenüber. Schon für diese geringe Summe bieten wir viel Qualität, doch auf lange Sicht ist das nicht nachhaltig. Deshalb haben wir eine detaillierte Vorstellung davon entwickelt, wie wir die zwei Prozent bis 2024 investieren wollen. Da gibt es aber eine Sache, die einem immer klar sein muss. Seit 2016 hatten wir ein massives Wirtschaftswachstum. Deshalb ist in den Zahlen nicht gleich zu sehen, dass wir unsere Wehrausgaben eigentlich schon um 40 Prozent hochgefahren haben. Das darf aber trotzdem keine Ausrede dafür sein, dass wir unserer Verpflichtung immer noch nicht nachkommen. Wir müssen bis 2024 konsequent sein und nach den Plänen verfahren, die wir uns gesetzt haben.“