Löhne in Tschechien sind um durchschnittlich neun Prozent gestiegen

Eine Befürchtung der gestandenen EU-Länder ist immer wieder die, dass nach dem vor Monatsfrist vollzogenen Beitritt der zehn neuen Mitgliedsstaaten aus Zentral-, Ost- und Südeuropa die einheimische Produktion verstärkt in diese so genannten Billiglohnländer abfließen könnte. Deshalb gilt ein besonderes Augenmerk der Lohnentwicklung in diesen Ländern. Die Tschechische Republik gehört dabei zu jenen Staaten, in denen die Kluft zwischen den langjährigen und den neuen EU-Mitgliedern am zügigsten abgebaut werden könnte. Lothar Martin berichtet.

Lohnentwicklung in Tschechien 2000-2004  (Graf: CTK)
Am Dienstag hat das Tschechische Statistische Amt neue, viel versprechende Zahlen veröffentlicht. Anhand dieser ist der durchschnittliche Monatslohn in Tschechien im zurückliegenden Jahr um mehr als 1300 Kronen auf den nationalen Durchschnittswert von 16.722 Kronen angestiegen. Dieser Betrag entspricht einem Monatslohn von 530 euro. Die Löhne sind somit im Vergleich zum Beginn des vergangenen Jahres um fast neun Prozent gestiegen. Wie dieser kräftige Lohnschub zu erklären sei, dazu sagte der Chefökonom der hiesigen HVB Bank, Pavel Sobísek:

"Er ist vor allem auf die Erhöhung der Löhne im öffentlichen Sektor zurückzuführen. Dieser Anstieg hat sich auch auf andere Bereiche niedergeschlagen. Der zweite Grund des Lohnanstiegs ist auf die Erhöhung des gesetzlich festgelegten Mindestlohns zurückzuführen, der erneut eine entsprechende Regierungsentscheidung vorausging. Und der dritte Grund sind die insgesamt soliden Wirtschaftsergebnisse mehrerer Firmen, die sich die Aufstockung der Löhne im ersten Quartal dieses Jahres erlauben konnten."

Die Lohnentwicklung ist natürlich nicht bei allen Branchen gleich verlaufen. So kann man heute in Tschechien am besten im Bank- und Versicherungswesen verdienen, wo derzeit durchschnittlich etwas über 36.000 Kronen (ca. 1150 Euro) gezahlt werden. Lediglich 11.500 Kronen (ca. 365 Euro) monatlich werden demgegenüber in der Land- und Forstwirtschaft gezahlt. Und das nicht für einen Minijob, wie in Deutschland, sondern für die erbrachte Leistung in einer 40-Stunden-Arbeitswoche. Auch regional bezogen gibt es Unterschiede: Während man in Prag im Durchschnitt über ein monatliches Salär von 20.840 Kronen (ca. 660 Euro) verfügt, liegt der Landkreis Böhmisch-Mährische Höhe mit 14.286 Kronen (ca. 450 Euro) am Ende der Verdiensttabelle. Trotz aller Unterschiede rühmt man sich jedoch in Tschechien damit, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch bei weitem nicht so auseinander gegangen ist, wie in den westeuropäischen Nationen. Aber was kann man sich von seinem relativ schmalen Verdienst in Tschechien eigentlich leisten? Für sein tägliches Brot muss der Tscheche um die 20 Kronen (ca. 64 Cent) berappen. Beim zweiten "Grundnahrungsmittel" hierzulande, dem Bier, kostet der halbe Liter je nach Sorte und Region zwischen 15 und 30 Kronen. Doch den scheinbar preiswerten Dingen des alltäglichen Lebens stehen auch nahezu unerschwingliche Sachen gegenüber. So muss ein Prager für eine Wohnung in der Innenstadt monatlich um die 12.000 Kronen an Miete und Nebenkosten hinblättern, also nicht weniger als drei Fünftel seines Durchschnittsgehalts. Daher zieht es immer mehr Hauptstädter in die an der Peripherie der Moldaumetropole gelegenen Wohngebiete, wo man - falls man Glück hat - beim Erwerb einer Vier-Raum-Genossenschaftswohnung schon für 3.000 Kronen Monatsmiete leben kann.