Jugendprojekte für grenzüberschreitendes Verständnis
Selbst in diesen Tagen gibt es eine EU jenseits von Wahlergebnissen. Eine Vielzahl von Jugendprojekten beschäftigt sich mit Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union. Zwei davon wollen wir Ihnen heute vorstellen. Hören Sie dazu den nun folgenden "Schauplatz" von Gerald Schubert:
"Im Projekt 'Wir kennen uns doch!' geht es darum, dass die Länder, die vor dem EU-Beitritt Tschechiens oder der anderen Beitrittsländer auf zwei Seiten der EU-Grenze lagen, mehr gemeinsam haben als schlechte Erfahrungen aus dem Krieg oder Vorurteile über billiges Bier und billige Zigaretten. Wir wollten von den Leuten wissen, was eigentlich diese Gemeinsamkeiten sind."
Gemeint sind damit die verschiedensten Bezüge: Persönliche Erinnerungen und Familiengeschichten, Kulinarisches und Kulturelles. Bára Procházková:
"Als Beispiel nennen wir immer die tschechischen Kinderfilme, die ja eigentlich fast jedes deutsche Kind kennt - vielleicht nur ohne zu wissen, dass sie aus Tschechien kommen. Wenn man den kleinen Maulwurf erwähnt, dann kennen den auch fast alle. Und auch hier wissen viele nicht, dass der Maulwurf aus Tschechien stammt. Wir wollten mit unserem Projekt eben die Sympathien erhöhen."
Der konkrete Ablauf: Die jungen Teilnehmer haben in tschechischen, deutschen, österreichischen, slowakischen und polnischen Medien Aufrufe veröffentlicht und die Menschen gebeten, ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Assoziationen mit einem der jeweils anderen Länder zu beschreiben. Finanziert wurde das Ganze von der Robert-Bosch-Stiftung, wie Projektmitarbeiter Stefan John aus Wien erklärt:
"Wir wurden vom Theodor-Heuss-Kolleg der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt. Im Rahmen dieses Kollegs haben wir uns auch kennen gelernt und unser Projekt gestartet bzw. abgewickelt."
Die meisten Reaktionen auf das Projekt "Wir kennen uns doch!" kamen aus Deutschland. Viel Post kam auch aus den anderen Ländern, jedoch mit Ausnahme Polens. Von dort gab es nämlich keine einzige Rückmeldung. Was das Alter betrifft, so waren unter denen, die sich gemeldet haben, so gut wie alle Generationen vertreten. Bára Procházková:
"Die Jüngsten kamen aus der sechsten Klasse, waren also etwa elf Jahre alt. Und die Ältesten waren Rentner, die selber noch den Krieg erlebt und ihre Geschichten erzählt haben. Außerdem haben sich sehr viele Studenten bei uns gemeldet, und auch Leute, die etwa Mitte dreißig sind. Das heißt, es ist uns gelungen, mit unserem Projekt alle Altersklassen anzusprechen."Unter den eingesandten Texten waren schließlich sogar zwei Kurzgeschichten. Bei den meisten handelte es sich aber um persönliche Erinnerungen. Wie in diesem Brief von Jan Zajíc aus Olomouc / Olmütz:
"Für einige Jahre studierte ich in Deutschland. Ich war erst seit ein paar Tagen in Jena, aber schon sprachen mich manche Leute mit 'Ahoj!' an. He, super, dachte ich mir. Es gibt hier also auch Tschechen! Ich stellte aber fest, dass es sich um deutsche Kommilitonen handelte, die so wie ich mit tschechoslowakischen Märchen aufgewachsen sind, und aus ihnen dieses 'Ahoj' kannten, da es nicht übersetzt wurde. So kamen wir ins Gespräch, wurden mit der Zeit gute Freunde, und fanden heraus, dass es überraschend viele Sachen gibt, die beide Länder gemeinsam haben."
Radio-Prag-Hörerin Vanessa Hünkemeier schreibt:
"Ich hatte immer etwas Sorge, dass man mich in der Tschechischen Republik meiden würde; dass es noch viel Hass auf die Deutschen geben würde, wegen der schrecklichen Dinge, die im Zweiten Weltkrieg passiert sind. Letztendlich habe ich aber festgestellt, dass wir alle Frieden und Nachbarschaft suchen. Frieden aus dem Grund, weil wir sonst kaputt gehen, und Nachbarschaft, weil sich nur dann Kontakte, gegenseitige Achtung und Freundschaft entwickeln können, wenn man begreift, dass die Welt hinter der Grenze nicht zu Ende ist."
Soweit die Antwort von Vanessa Hünkemeier. Das Projekt "Wir kennen uns doch!" ist übrigens noch nicht ganz abgeschlossen. Auch für Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, wird es noch mehr Gelegenheiten geben, sich die Reaktionen darauf etwas näher anzusehen. Wie es weitergeht, das erklärt uns jetzt Maria Graul, Projektteilnehmerin aus Deutschland:"Zum einen werden wir im Juni ein Onlinemagazin mit allen Beiträgen und Artikeln gestalten, das dann für einen Monat online sein wird. Und zwar unter der Adresse http://www.spinne-magazin.de. Außerdem wird am 16. Juli in Berlin eine Podiumsdiskussion stattfinden, zu der wir Menschen einladen wollen, die dann mit anderen Stipendiaten aus dem Theodor-Heuss-Kolleg und auch mit der interessierten Öffentlichkeit zu dem Thema diskutieren."
Mit einem gänzlich anderen Personenkreis und dennoch mit ähnlichen Fragen beschäftigte sich das zweite Projekt, von dem wir heute erzählen wollen. Es entstand unter der Schirmherrschaft des Deutsch-tschechischen Jugendforums. Dessen stellvertretende Sprecherin Elisabeth Sandfuchs erklärt:
"Wir haben die deutschen und tschechischen Kandidaten zur EU-Wahl angeschrieben und ihnen Fragen zu den deutsch-tschechischen Beziehungen gestellt - und auch darüber, wie diese wiederum in Beziehung zur EU stehen. Einen Schwerpunkt haben wir dabei auf Jugendpolitik gelegt."
Die Organisatoren haben sich an 160 Kandidaten aus beiden Ländern gewandt, die auf insgesamt acht Fragen antworten sollten. Themen waren etwa die persönlichen Erfahrungen mit den Nachbarn, die Vorstellungen von der künftigen bilateralen Zusammenarbeit oder auch sensible Fragen wie zum Beispiel die nach der Rolle der so genannten Benes-Dekrete innerhalb der EU. Und die Reaktionen? Noch einmal Elisabeth Sandfuchs:
"Sowohl auf der deutschen als auch auf der tschechischen Seite haben ungefähr 30 Prozent der angeschriebenen Personen geantwortet. Die Antworten an sich waren sehr unterschiedlich. Teilweise haben sich die Leute wirklich reingehängt und haben viel dazu geschrieben. Zum einen, weil sie vielleicht schon viel wussten und schon viel mit Tschechien bzw. Deutschland zu tun hatten. Zum anderen hatte ich aber auch den Eindruck, dass manche sich deswegen eigens informiert haben. Und das, finde ich, ist auch schon mal ein guter Effekt so eines Fragebogens. Manche haben halt auch ziemlich kurz geantwortet, und man hat so ein bisschen gemerkt, dass es eigentlich eine lästige Pflicht war. Aber im Allgemeinen kann ich ganz positive Schlüsse ziehen."
Greifen wir zwei Fragen heraus: Die eine, schon erwähnte, bezog sich auf die Benes-Derkrete, die ja eng mit der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden sind und daher im bilateralen Kontext noch heute ein oft kontroverses Thema darstellen. "Welche Rolle sollte die EU in der Diskussion um die Benes-Dekrete spielen?" lautete die Frage. Jana Kluiberová vom Deutsch-tschechischen Jugendforum über das recht einheitliche Ergebnis:
"Viele haben geschrieben, dass das einfach eine bilaterale Frage ist. Also dass die Tschechen und Deutschen das untereinander klären sollen, ohne dass die EU dabei eine Rolle spielt."
Projektmitarbeiterin Lena May fand ein anderes Ergebnis noch bemerkenswerter:
"Für mich persönlich hatte die interessanteste Frage mit dem Begriff Identität zu tun. Es war die Frage, ob es in Zukunft eine europäische Identität geben wird, oder nur eine nationale, also tschechische oder deutsche. Da hat man gesehen, dass auf tschechischer Seite auch die Antwort kam, dass es keine europäische Identität geben wird. Das war bei den deutschen Kandidaten überhaupt nie genannt worden, was ich ziemlich interessant fand. Dort kam am häufigsten die Antwort, dass es sowohl regional, wie auch national und europäisch eine Identität geben wird."
Auch die Ergebnisse des nun beschriebenen Projekts gibt es im Internet nachzulesen, du zwar auf der Website des Deutsch-tschechischen Jugendforums. Die Adresse ist
http://jugendforum.ahoj.info
Zum Abschluss noch einmal die Adresse, unter der sie sich ab Juli über das Projekt "Wir kennen uns doch!" informieren können:
http://www.spinne-magazin.de