"Wir kennen uns doch!" Ein Medienprojekt gräbt nach verschütteten Erfahrungen mit den Nachbarn

Foto: Europäische Kommission

Was wissen wir eigentlich von unseren Nachbarn? Welches Bild haben wir uns von den Bewohnern der Nachbarländer gemacht, und welches sie sich von uns? Was beruht dabei auf Vorurteilen und was auf eigener Erfahrung? All dies sind Fragen, die angesichts der nahenden Erweiterung der Europäischen Union von wesentlichem Interesse sind. Vorausgesetzt, man will das Wort nicht ausschließlich den Fachleuten für Ökonomie oder Rechtsharmonisierung überlassen. Ein Medienprojekt von Studentinnen und Studenten aus fünf Ländern versucht nun, Antworten auf diese Fragen zu finden - und zwar auf unterhaltsame und verblüffend einfache Weise. Wie das geht, und wie auch Sie sich gemeinsam mit Radio Prag an dem Projekt beteiligen können, das erfahren Sie im nun folgenden Schauplatz von Gerald Schubert:

Foto: Europäische Kommission
Uz se preci známe! - Wir kennen uns doch! Was zunächst wie der Versuch der Kontaktanbahnung zwischen zwei Personen klingt, ist in diesem Fall der Name eines internationalen Medienprojekts. Um Kontaktanbahnung geht es jedoch auch hier. Denn allgemeines Misstrauen gegenüber Nachbarländern und Furcht vor dem vermeintlich Unbekannten sind in der bald erweiterten EU fehl am Platz. Stereotype Vorstellungen vom Leben jenseits der Grenze münden allzu oft in übersteigerte Ängste vor billigen Arbeitskräften aus dem Osten oder vor einer alles verschlingenden Kaufkraft aus dem Westen. Dabei ist dieses Bild gehörig verzerrt, meint Bára Procházková, tschechische Koordinatorin des Projekts "Wir kennen uns doch!"

"Wenn man heute Medien sieht oder liest oder hört, dann wird das Thema EU-Erweiterung meistens zusammen mit Vokabeln wie Arbeitsmarkt, Finanzen oder Immobilienmarkt in Verbindung gebracht. Das fanden wir schade. Wir haben uns gedacht, dass das eigentlich nicht nahe genug an den Menschen ist. Der Alltag der Menschen ist anders. Und das wollen wir den Leuten näher bringen, indem wir ihnen nicht über Finanzen und Ängste vor Migranten erzählen, sondern indem wir ihnen sagen, dass sie die anderen Länder schon längst kennen und schon Erfahrungen mit ihnen haben."

Und Bára Procházková gibt auch gleich ein Beispiel:

"In Deutschland ist fast jeder mit dem kleinen Maulwurf groß geworden. Aber sehr wenige wissen, dass der Maulwurf eigentlich aus Tschechien kommt. Auch die Tschechen sind mit dem Maulwurf groß geworden, und so hat man sehr viele Gemeinsamkeiten, von denen man eigentlich noch nichts ahnt. Wir haben uns gedacht, dass wir diese Gemeinsamkeiten einfach noch mal ansprechen wollen."


Der kleine Maulwurf, von dem Bára Procházková gesprochen hat, Krtek heißt er übrigens in Tschechien, ist hier nicht das einzige Beispiel aus der tschechischen Unterhaltungsbranche. Denken wir etwa an Pan Tau oder die vielen anderen hervorragenden Kinderstreifen, für die die tschechoslowakische Filmproduktion auch im Ausland stets bekannt war. Die Liste der Berührungspunkte zwischen den Kulturen lässt sich fortsetzen: Kulinarisches und Symphonien, Autos und Sportler, Dialektworte aus anderen Sprachen, mit Einschränkungen auch Bücher: Sie alle haben die Grenzen schon passiert, bevor Menschen das so ohne weiteres tun konnten. Und aus all diesen Bereichen sammeln die Organisatoren des Projekts [email protected]"Wir kennen uns doch!" nun Material. Wie dieses Sammeln konkret funktioniert, das erzählt Stephan John, Student aus Österreich:

Pan Tau
"Wir haben Zeitungen und Radiostationen angesprochen und haben dort Aufrufe veröffentlicht. Wir haben also die Zeitungsleser und Radiohörer direkt angesprochen und gebeten, uns Beiträge zu schicken. Das können Beiträge zu den Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern sein, oder auch Anekdoten, Fotos, Kochrezepte - jeder kann alles einschicken, was mit den Nachbarländern zu tun hat."

Und was passiert dann mit den eingeschickten Beiträgen? Stephan John:

"Die Beiträge wollen wir dann in den Medien wieder veröffentlichen. Dabei wollen wir zum Beispiel auch die tschechischen Beiträge übersetzen und in die österreichischen Medien bringen - und genauso die Gemeinsamkeiten, die in Österreich oder Deutschland gefunden wurden, in Polen oder Tschechien veröffentlichen."

Wer also Lust hat, sich an dem Projekt zu beteiligen, der möge seinen Text, sein Bild oder was auch immer er beisteuern möchte an folgende E-Mail-Adresse schicken: [email protected] Am Ende des Beitrags werden wir die Adresse noch einmal wiederholen.


So viel also zur Funktionsweise des Projekts "Wir kennen uns doch!". Wer aber steht eigentlich hinter dieser Idee? Bára Procházková, tschechische Projektkoordinatorin:

"Wir sind fünf Studenten aus Mitteleuropa. Ein Österreicher, zwei Leute aus der Slowakei, eine Tschechin und eine Deutsche. Wir reisen aber sehr viel herum. Die Tschechin ist in Deutschland, die Deutsche in Polen, der Österreicher ist in Prag und einer von den Slowaken ist in Brüssel. Wir denken also nicht nur über Europa nach, sondern wir versuchen dieses Internationale auch ganz praktisch zu leben. Kennen gelernt haben wir uns in Berlin, im Sommer 2003 bei einem Seminar des Theodor-Heuss-Kollegs der Robert-Bosch-Stiftung. Und da ist auch dieses Projekt entstanden."

Bevor man sich in Berlin zusammengefunden hatte, da hatte jeder der Teilnehmer sein Interesse an der Thematik bereits auf seine Weise ausgeprägt, und jeder hat dafür seinen persönlichen Grund. Für den Österreicher Stephan John liegt dieser in seinem Waldviertler Heimatort:

"Ich bin nahe an der tschechischen Grenze aufgewachsen und habe deshalb begonnen, mich für die Tschechische Republik zu interessieren. Denn ich habe bemerkt, dass auch die Menschen, die nahe an der Grenze leben, eigentlich sehr wenig darüber wissen, was hinter der Grenze passiert, und wie ähnlich man sich eigentlich ist. Deshalb habe ich schon in Wien begonnen, Tschechisch zu lernen, und deshalb bin ich jetzt auch nach Prag studieren gegangen."

Und Bára Procházková?

"Mit sechzehn Jahren habe ich in Nordrhein-Westfalen an einem Schüleraustausch teilgenommen. Nur eine Woche oder zehn Tage, aber das hat dafür gereicht, dass ich schon damals wusste: Ich möchte Deutschland nicht nur kennen lernen, sondern die deutsche Kultur auch leben. Das heißt, ich wusste damals schon, dass ich irgendwann nach Deutschland gehen werde. Das ist dann relativ schnell gekommen: Gleich nach dem Abitur bin ich nach Deutschland gegangen, und mittlerweile lebe ich dort seit sechs Jahren."


In manchen tschechischen Medien wurde das Projekt "Wir kennen uns doch!"übrigens schon gestartet. Und - ohne jetzt schon zu viel über die Ergebnisse verraten zu wollen: Eine kleine Zwischenbilanz kann man schon ziehen:

"Wir haben schon Zuschriften bekommen, davon sehr viele aus Tschechien. Zusammenfassend kann man sagen, dass viele Tschechen beim Stichwort Deutschland an Wirtschaft denken. Also an gemeinsame Unternehmen, gemeinsame wirtschaftliche Projekte oder bestimmte Firmen, die in Tschechien ihren Standort haben. Oder aber es kommen Zuschriften, die die gemeinsame Geschichte, die gemeinsame historische Erfahrung ansprechen."

Zuschriften kommen jedoch auch aus ganz anderen Bereichen. Bára Procházková:

"Ein Mann hat einfach nur einen Satz geschrieben. Und zwar: Das, was wir gemeinsam haben, sind Fußballspieler."


Wenn auch Sie sich an dem Projekt "Uz se preci známe!" - "Wir kennen uns doch!" beteiligen wollen, dann zögern Sie nicht, eine E-Mail an die Organisatoren zu schreiben. Noch einmal die Adresse: [email protected] Einsendeschluss ist der 10. April. Willkommen sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit den vielleicht gar nicht mehr so unbekannten Nachbarn. Ob Foto, Text oder Musik - die Form bleibt Ihnen überlassen. Die teilnehmenden Medien, also auch Radio Prag, werden im Laufe der nächsten Wochen eine Auswahl aus den eingegangenen Zuschriften präsentieren.