Schicksale deutschsprachiger Autoren aus Böhmen, Mähren und Schlesien

Autorenlesung in Olomouc/Olmütz

Wie wir vor einer Woche versprochen haben, besuchen wir im heutigen Kultursalon das Treffen deutschsprachiger Autoren aus Böhmen, Mähren und Schlesien, das im Frühling an der Universität in Olomouc/Olmütz veranstaltet wurde. Markéta Maurová war dabei.

Recht mannigfaltigen Schicksalen konnte man beim Zuhören der Lese- und Diskussionsbeiträge in Olomouc begegnen. Alle beteiligten Autorinnen und Autoren wurden auf dem Gebiet Böhmens, Mährens oder Schlesiens geboren, einige von ihnen haben dort mehrere, einige nur wenige Jahre verlebt. Die ältere Generation vertritt Maria Razumowski:

"Ich komme aus dem, was jetzt Nordmähren, 'Severní Morava' heißt, ich komme aus Schlesien, aus der Umgebung von Opava (Troppau), zehn Kilometer von Troppau entfernt. Mein Vater war dort Gutsbesitzer, und wir mussten im Jahr 1946 das Land verlassen, obwohl wir keine Deutschen waren."

Sind sie also polnischer oder tschechischer Herkunft?

"Weder noch. Russischer Herkunft. Meine Familie ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts im damaligen Österreich eingewandert. Mein Großvater hat eine große Rolle in Schlesien gespielt. Er hat sehr viel gemacht für die Landwirtschaft, er hat Brücken gebaut, Kirchen gebaut, Straßen gebaut, und das ist das, was uns im Jahr 1945 gerettet hat. Vor allem auch deshalb, weil wir in einem tschechischen Dorf ein gutes Verhältnis zum so genannten 'národní výbor' (Nationalausschuss) und dem ganzen Dorf hatten, das uns vor den Russen wirklich gerettet hat. Denn es kommt erschwerend hinzu, dass meine Mutter eine russische Emigrantin nach der Revolution war, und am zweiten Tag, nachdem die Russen Schönstein (Dolní Zivotice u Opavy) erobert hatten, kam eine KGB-Kommission und hat gesagt: 'Sie sind Russen, und wir nehmen Sie mit'. Unser Dorf hat uns gerettet, und wir haben halt alles glücklich überstanden."

Auch Herrn Bruno Herr, habe ich ans Mikrophon gebeten und zunächst gefragt, woher er stammt:

"Aus Komotau, dem heutigen Chomutov, am Südrand des mittleren Erzgebirges. Ich bin 1928 geboren und war bis 1946 in Komotau, seitdem bin ich an verschiedenen Orten in Deutschland, jetzt wohne ich in der Nähe von Frankfurt."

Das Motto dieses Treffens heißt "Erinnerungsraum Böhmen, Mähren, Mährisch-Schlesien". Was bedeuten für Sie die Erinnerungen an die Jahre, die Sie in diesem Land verbracht haben?

"Diese Erinnerungen bedeuten für mich sehr viel. Als ich das erste Mal die Heimat wieder gesehen habe, war das für mich ein ganz schmerzliches Erlebnis, es war so unwirklich, als sei es ein Traum. Das war vor 22 Jahren."

Und was haben diese Erinnerungen für ihr literarisches Schaffen bedeutet?

"Sie haben Erinnerungen wieder aufgeweckt, Details, die mir lange entfallen waren, viele schmerzhafte Erinnerungen, aber auch viele schöne Erinnerungen an meine Jugend- und Kinderzeit, die an sich nicht hätte schöner sein können. Ich habe dann durch mein Schreiben die Heimatzeit noch einmal erlebt, und zwar intensiver als je zuvor. Ich habe dann auch die Erlebnisse von Landsleuten aufgearbeitet und dadurch meine Liebe zur Heimat wach gehalten."

Fast eine Generation jünger als Maria Razumowski und Bruno Herr ist die Münchner Autorin Ursula Haas.

"Ich stamme aus Usti nad Labem (Aussig). Ich bin dort geboren und mit zwei Jahren Zwangsmigrantin mit meiner Mutter gewesen, also als Säugling mehr oder weniger. Ich habe also keine persönlichen Erinnerungen daran."

Eine Frau mit solchem Schicksal kann wahrscheinlich nur dank der Vermittlung ihrer Eltern ihr Verhältnis zum Geburtsland pflegen, würde man sagen. Doch bei Ursula Hahn war es ein bisschen anders. Ihr literarisches Schaffen hat dabei eine große Rolle gespielt:

"Also meine Eltern haben nach dem Krieg - wahrscheinlich um den Schmerz ertragen zu können - einen wirklichen Schnitt gemacht. So wurde in meinem Elternhaus sehr wenig erzählt. Ich habe natürlich Photos gesehen usw., aber ich bin eigentlich in mein westdeutsches Leben hineingekommen, und wollte meine Wurzeln erst in dem Augenblick wirklich kennen, wo ich begonnen habe zu schreiben. Ich wollte wissen, wer ich bin. Und dann habe ich auch Kontakt zum tschechischen Teil meiner Familie aufgenommen. Also ein Teil meiner Familie ist in Prag geblieben. Ich habe auch Cousinen dort, mit denen ich natürlich am Anfang, in den 80er Jahren überhaupt nicht korrespondieren oder sprechen konnte, weil ich kein Tschechisch konnte und sie kein Deutsch konnten. Aber ich habe diesen Kontakt intensiviert, vor allem mit meiner älteren Tante, die auch Deutsch konnte. Und dann bin ich mit dem Stifter-Verein, mit Peter Becher, mit einem Kreis von Autoren, die zum Teil älter waren als ich, hierher gekommen, und wir haben gelesen. Texte von mir wurden ins Tschechische übersetzt und tschechische Kollegen haben sie hier gelesen. Und dann habe ich natürlich auch privat die Orte - also wo ich geboren bin, mein Haus - angeschaut, und ich habe Nähe und Distanz gespürt. Wenn ich ganz ehrlich wäre, und am Anfang war ich natürlich nicht ehrlich, aber wenn ich zur Rückschau komme, kommt es mir schon vor, wie ein sentimentaler Film, in den ich eingestiegen bin. Also zu diesem Bild bin ich eigentlich jetzt gekommen. Und natürlich auch vor allem durch die Kontakte zu tschechischen Autoren, z. B. zu Jan Trefulka, wir schreiben uns jedes Jahr, und Nesvadba, Ivan Binar, Ota Filip. Die treffe ich immer wieder und daraus sind schon, soweit Autoren Freunde sein können, welche geworden."

Ebenso wie die Autoren, waren auch Texte, die in Olmütz gelesen wurden, recht mannigfaltig. Maria Razumowski:

"Es ist kein literarisches Werk, sondern Zeitgeschichte. Wir waren fünf Kinder, davon drei Schwestern, die alle drei Tagebuch geschrieben haben. Wir haben beschrieben - jede aus einem anderen Blickwinkel - was wir hier erlebt haben, und es ist dadurch wirklich ein interessanter Bericht entstanden."

Eine autobiographische Erzählung las Bruno Herr:

"Es war ein tatsächliches Erlebnis. Ich bin Forstbeamter und habe es selbst erlebt, mit Landleuten, die hier aus dem mährischen Raum kamen, die bei uns Fuß gefasst hatten und sich mit außerordentlichem Fleiß die Anerkennung der übrigen Arbeitskollegen erworben haben."

Ursula Haas hat einige ihrer Gedichte vorgetragen. Außerdem aber auch einen Prosatext gelesen:

"Das ist ein Text über meinen Vater. Eigentlich ist er entstanden, weil ich an einem großen Roman sitze, der gerade fertig ist, wo eben partiell auch Teile von meinem Leben von Beginn an beinhaltet sind, wie wohl natürlich von meiner Mutter gefüttert, oder von Freunden und Bildern. Da kommt diese Fiktion rein, die beim Biographieschreiben ganz wichtig ist. Und beim Erinnern ist die Fiktion ja der Moment, der aus einem Wiederholen des Realistischen die Literatur macht. Da muss die Fiktion rein, sonst bist du verloren. Und das geschieht nach den vielen Jahren. Und da habe ich auch über meinen Vater nachgedacht, der durch den Bruch des Krieges, und das passiert nicht nur in diesem Krieg, tiefe Verluste erlitten hatte. Er hat eben sein künstlerisches Leben aufgegeben, um überhaupt seine Familie durchzubringen. Und das ist natürlich auch ein typisches deutsches 50er-Jahre-Schicksal. Das ist klar."

Sehr persönlich waren die Gedichte, die Ursula Haas vortrug:

"Also ich habe eigentlich diese Impressionen und auch die Konflikte, in die ich gekommen war verarbeitet. Z. B. zu spüren, dass ich ja die tschechische Sprache nicht kann und dass dies die Sprache der Sieger ist, und dadurch einfach eine Distanz der tschechischen Menschen gegen mich - wiewohl ich ja hier geboren bin und dachte, es ist ja der gleiche Boden, von dem ich komme. Und ich habe auch Tschechen in meiner Familie. Also Rozdalovice ist das Zentrum, da sind die Familiengräber und alles. Aber doch meine Fremdheit und auch diesen Schmerz darüber, den habe ich natürlich auch in diesen Gedichten verarbeitet. Aber natürlich auch romantische Dinge - tschechische Männer sind ja sehr attraktiv, also das eine Gedicht über die Briefe, das sind einfach Dinge, die dann auch persönlich sind. Es ist in der Poesie immer so, nicht?"