Milena Oda auf der Prager Buchmesse – Pius und die Liebe
Die Schriftstellerin Milena Oda ist gebürtige Tschechin, lebt aber schon seit vielen Jahren in Berlin. Sie verfasst alle ihre Texte auf Deutsch. Deutsch ist für sie eine „innerliche Muttersprache“. Auf der Prager Buchmesse Svět knihy (Welt der Bücher) stellte sie ihr neuestes Projekt vor. „Piquadrat“ – die Geschichte des Mathematiklehrers Pius, der sich in die Kreiszahl Pi verliebt. Eva Schermutzki hat Milena Oda für unsere Sendereihe Kultursalon getroffen.
Milena Oda fühlt sich auf der Buchmesse in Prag sichtlich wohl. Schließlich darf sie ihre neueste Veröffentlichung präsentieren. Nach allen Seiten begrüßt sie Leute. Das Handy, das vor ihr liegt, klingelt immer wieder. Die Schriftstellerin lebt seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. Zur deutschen Sprache hatte sie schon immer eine ganz eigene Beziehung, erzählt Milena Oda:
„Die Großeltern meiner Eltern haben einen sehr unterschiedlichen Bezug zu Deutschland und zur deutschen Sprache. Mein Großvater väterlicherseits war Gymnasiallehrer für Deutsch. Die Eltern meiner Mutter wiederum waren als Zwangsarbeiter in Deutschland. Der Zugang zu Deutsch war also von beiden Seiten da, aber jede bot mir eine ganz andere Perspektive. Von klein auf war ich mit Deutsch in Kontakt. Die ständigen Begegnungen mit der deutschen Sprache haben mich geprägt, denke ich.“
Ihre Heimat sieht Milena Oda in Tschechien und in Deutschland. Sie fühlt sich in beiden Ländern zu Hause. Dass sie auf Deutsch schreibt, hängt also nicht mit einer stärkeren Bindung an Deutschland zusammen. Das hat vielmehr literarische und stilistische Gründe.
„Ich denke, wenn man sich richtig ausdrücken und dem Ganzen einen tieferen Sinn geben will, dann muss die ganze Geschichte und die Beschreibung der Figur wirklich präzise und genau sein. Dafür muss man die Sprache gut beherrschen und auch irgendwie spüren. Für mich ist Deutsch eine innerliche Muttersprache. Ich kann den inneren Kern der Wörter wirklich spüren.“
In Odas Prosatext „Piquadrat“ kommt es ganz besonders auf die genaue Beschreibung der Figuren und vor allem auf die treffende Wortwahl an. Denn das Thema ist nicht ganz alltäglich.
„Es geht um einen Mathematiklehrer namens Pius. Er liebt die Mathematik, die Wissenschaft, aber er hat keine Frau. Zwischen den Zeilen kann man spüren, dass er sich nach einer Beziehung sehnt. So passiert es auf unerklärliche Weise, dass er die Liebe in der Zahl Pi findet. Und dadurch, dass er Pi überall sieht, denkt er, er hat die unendliche Liebe gefunden. Aber wir wissen, in der realen Welt ist die Liebe nie unendlich. Pius verliert sich in der Unendlichkeit und er ist unendlich glücklich. Er findet das Pi-Paradies, weil er eigentlich verrückt ist. Das Ende der Geschichte ist, dass Pius ein Pi-Wörterbuch verfasst. Mit allen Pi-Wörtern in allen Weltsprachen.“
Pizza, Piccolo und der Pierrot kommen in diesem Wörterbuch vor. Ganze Absätze der Erzählung sind mit Pi-Wörtern geschmückt. Aber nicht nur die Liebesgeschichte zwischen Pius und Pi ist außergewöhnlich. Das Design des Buches ist interessant: Es ist im Din-A3-Format in graues Leinen gebunden. Auf dem Einband sieht man ein großes schwarzes Pi. Das Buch besteht aus handgeschöpftem Papier, der Text hat unterschiedliche Schriftgrößen, dazwischen sind Litografien eingestreut.
„Es ist ein bibliophiles Buch. Der Künstler Andreas Hegewald hat es in seinem Verlag Buchenpresse hergestellt. Ich habe ihm alle künstlerische Freiheit gelassen, und er hat den Text nach seinen Vorstellungen bearbeitet und aufgeteilt. Auf einer Seite des kostbaren Papiers steht nur ´Pi´, ´unendlich´, ´meine Liebe´ oder ´Mr. Pi´. Es gibt nur zwölf Exemplare von diesem Buch. Ein Exemplar kostet 1500 Euro. Vier oder fünf Litografien befinden sich darin. Man muss verstehen, dass es ein großes und kostbares, kostspieliges Buch ist. Allein die Litografien brauchen Zeit. Es ist ein Kunstwerk.“
„Piquadrat“ ist also nicht einfach in jeder Buchhandlung erhältlich. Um die Geschichte dennoch einem breiteren Publikum vorzustellen, ist Milena Oda zur Zeit auf Lesereise in Tschechien und anschließend in Deutschland. Von Berlin mal eben schnell nach Prag zu fahren, ist für Milena Oda so normal wie für andere Leute von Bonn nach Köln zu fahren. Sie ist gern unterwegs und Reisen bedeutet für sie keine Anstrengung.
„Ich bewege mich in Mitteleuropa. Da ich ein Auto habe, bin ich schnell da und schnell wieder zurück. Ich habe keine Grenzen mehr im Kopf. Die gab es vielleicht noch vor zehn Jahren, aber die wurden abgeschafft schon bevor die EU da war. Die Bewegung ist für mich ganz natürlich.“
Für Milena Oda ist Bewegung und Austausch wichtig. Für den Mathematiklehrer Pius dagegen ist die Zahl das beherrschende Thema. In der Erzählung wird Pi schließlich wie eine Person, wie ein geliebter Mensch behandelt. Oda hatte in der Schule keine Vorliebe für Mathematik. Die Zahlen sind für sie in ihren Geschichten mehr Mittel zum Zweck. Sie will die Phantasie ihrer Leser anregen.
„Ich liebe es, Zahlen mit Buchstaben zu verbinden. Die Zahl bietet eine ganz andere Dimension und damit wird auch eine ganz neue Phantasie hervorgerufen. Wen man nur drei sagt, fragt man: Was drei? Drei Flaschen, drei Teller? Die Zahlen bieten mir einfach Raum für Phantasie.“
Dieser Raum für Phantasie muss sich auch in der Sprache wiederfinden. Milena Oda spricht gut Deutsch, aber während des Schreibens holt sie sich Hilfe. Denn die Wörter sollen absolut treffend beschreiben, was die Autorin denkt.
„Natürlich muss ich suchen. Man muss aber beachten, dass die literarische Sprache keine Alltagssprache ist. Ich denke Walser oder Musil haben auch Nachschlagewerke benutzt. Wir benutzen heute das Internet. Ich recherchiere nicht, sondern ich suche die Wörter, die das beschreiben, was ich will. Und ich weiß, was ich will. Ich bin immer auf dem Weg zu den Wörtern.“Und der Weg zu den Wörtern kann manchmal lang und beschwerlich sein. Wie jeder andere Künstler, ist ein Schriftsteller auch nicht beim ersten Versuch mit seinem Werk zufrieden.
„Der kreative Prozess, egal ob Schreiben, Malen, Musizieren oder Komponieren, dauert sehr lange. Die Geschichte „Piquadrat“ hatte auch mehrere Versionen, bis ich wirklich zufrieden war. Erst wenn die Geschichte erschienen ist, kann ich sagen: Ende! Bis dahin arbeite ich daran.“
Irgendwann war Milena Oda dann doch mit sich und dem Text zufrieden. Das Buch wurde veröffentlicht. Mittlerweile ist es schon in verschiedene Sprachen übersetzt worden. Und dabei kommt auch schon das nächste Problem auf einen Schriftsteller zu: Manche Wendungen und Worte lassen sich einfach nicht in andere Sprachen übertragen. Selbst wenn es gelingt, geht oft etwas von der hart erkämpften ausgewogenen Sprachmelodie oder dem geschmeidigen Erzählfluss verloren. Die Übersetzer haben vorallem dann eine undankbare Rolle inne, wenn der Autor die Übersetzung versteht, so wie Milena Oda.
„Als ich die tschechische Fassung bekommen habe, wusste ich: Das ist nicht mein Text. Ich verstehe ja schließlich Tschechisch! Weil ich Zeit hatte, habe ich mich entschieden, an dem Text zu arbeiten und ihn zu ergänzen. Ich musste meine eigene Melodie einsetzen. Das erfordert viel Kraft. Ich musste mich vom Deutschen distanzieren. Ich musste vergessen, dass es einen deutschen Text von mir gibt. Dann war ich befreit vom Original. Natürlich muss das Ändern auch ein Ende haben, aber ich wollte nicht unzufrieden sein. Wenn ich ´Piquadrat´ auf Tschechisch lese, dann will ich es genauso gerne vorlesen wie auf Deutsch.“
Die tschechische Übersetzung von „Piquadrat“ ist von der Autorin also abgesegnet. Aber der Text soll auch ins Arabische und Spanische übersetzt werden. Diese Sprachen spricht Milena Oda zu ihrem Bedauern nicht und muss sich hier auf das Können ihrer Übersetzer verlassen.
Milena Oda war dieses Jahr zum ersten Mal zur Prager Buchmesse eingeladen. Sie war Gast des „Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren“. Wie es zu diesem Kontakt kam, erzählt sie selbst:
„Lucie Černohousová, die Leiterin des Literaturhauses, hat zusammen mit mir an der Universität Olmütz studiert. Wir waren im gleichen Jahrgang. Wir hatten immer noch Kontakt. Ich habe dann mitbekommen, dass dieses Literaturhaus ensteht. Und dieses Jahr haben sich František Černý, einer der Mitbegründer des Literaturhauses und Lucie entschlossen, mich einzuladen.“
Milena Oda – eine tschechische Schriftstellerin mit der inneren Muttersprache Deutsch. Sie verbindet auf eigene ganz besondere Art die deutsche und tschechische Kultur. In ganz Tschechien, aber vor allem in Prag, haben die beiden Kulturen sehr lange Zeit neben- und miteinander existiert. Milena Oda meint dazu:
„300 Jahre gemeinsames Leben kann man in 40 Jahren Kommunismus nicht beiseite schaffen. Es ist immer da.“