Deutsche Lyrikerin meets Prag: Ines Berwing schaut auf einen Monat Studienaufenthalt zurück
Ines Berwing ist Drehbuchautorin und Lyrikerin. Mit einem Literaturstipendium hat es sie nach Prag verschlagen. Möglich wurde dies durch das „Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren“. Dieses stellt dafür auch eine Wohnung bereit. Zum Abschluss ihres vierwöchigen Aufenthalts las Berwing vor Publikum. Dabei zog sie auch Bilanz.
Die A(Void) Floating Gallery ist ein Bar-Schiff auf der Moldau. Sanft schaukelt das Bier in den Gläsern. Ein eher ungewöhnlicher Ort für eine Lyriklesung. Hier hat Ines Berwing am Montag einige ihrer Gedichte vorgetragen. Seit März lebte die Stipendiatin in der Wohnung des Prager Literaturhauses. Die Lesung bildete den krönenden Abschluss ihres Aufenthalts in Prag.
Eigentlich kommt Berwing aus der Filmbranche. Sie studierte deutsche und englische Sprache in Frankfurt und Freiburg. Anschließend zog es sie nach Berlin, wo sie Drehbuch studierte. Mit ihren Drehbüchern erhielt Berwing zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Emder Drehbuchpreis – einer der höchst dotierten Deutschlands. 2019 debütierte sie in der Lyrik mit dem Gedichtband „muster des stillen verkabelns“. Die Broschur wurde vom Haus für Poesie in Berlin als eines der besten Erstlingswerke des Jahres gefeiert. Berwing arbeitet nun an ihrem zweiten Gedichtband, der 2024 erscheinen soll.
Bei der Lesung sagte die Lyrikerin, sie könne noch nicht beurteilen, inwieweit sich der Aufenthalt auf ihr geplantes Werk auswirken werde. Immerhin habe sie drei Gedichte in Prag verfasst, so Berwing weiter…
„Ich habe sie in der Anfangsphase geschrieben, als ich gerade angekommen bin. Da waren besonders meine Koffer ein Thema. Ich habe mir überlegt, was es heißt, an einem fremden Ort aus dem Koffer zu leben. Aber auch, was der Koffer eigentlich bedeutet. Er verweist ja auf Flucht. Und mir wurde bewusst, wie privilegiert es ist, als Stadtschreiberin freiwillig den Koffer packen zu können. Meine Themen waren insbesondere: Ankommen, Reisen, Flucht und die Ukraine.“
Das Stipendium ist mit 1000 Euro und kostenloser Logis dotiert. Das war jedoch nicht der einzige Grund für die Drehbuchautorin…
„Auf Prag hatte ich schon besonders Lust. Ich war schon zweieinhalb Mal in der Stadt. Einmal bin ich nur durchgefahren, aber das ist schon sehr lange her. Deshalb wollte ich die Stadt noch einmal erleben. Und sie ist noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte.“
Durch die Lyrik der 38-Jährigen zieht sich ein roter Faden an Grundmotiven. Diese sind Ausbruch sowie die Rebellion gegen Hierarchien, das Produktionssystem des Kapitalismus und traditionelle Geschlechterrollen.
„Das ist ehrlich gesagt der Grund, warum ich überhaupt schreibe. Ich thematisiere ein generelles Gefühl von Enge. Es hat viel mit der weiblichen Rolle in der Gesellschaft zu tun, mit gesellschaftlichen Erwartungen, aber auch mit dem Kapitalismus und der Flucht daraus in die Kunst. Sie ermöglicht eine Zeitlosigkeit und Nicht-Funktionalität der eigenen Person. Das ist für mich Lyrik, wo die Sprache der Funktionalität des Alltags enthoben wird und selbst eine Stimmen, Melodie oder Musik wird“, so Berwing.
Den Ausbruch, das Aufbrechen und das Verschieben der Grenzen erkennt man am formalen Aufbau ihrer Gedichte. Denn selten endet die Bedeutung eines Satzes auch am Versende. Sie wird vielmehr in die nächste Verszeile mitgetragen.
Nach der Lesung zog die Lyrikerin die Bilanz ihres Aufenthalts. Sie schätze vor allem die vielen Cafés der Stadt, in denen sie gerne gearbeitet habe. Doch was war das Highlight?
„Ich glaube, die positivste Erfahrung war tatsächlich die Wohnung. Im Haus wohnt eine Opernsängerin, und darunter befindet sich eine Klavierschule. Die Atmosphäre war sehr künstlerische. Es ist eine typische Stipendienerfahrung, wenn ich in meinem Zimmer sitze, die Zeit endlos wird und ich mir denke: Wenn es dauert, dann sitze ich hier bis 22 oder 24 Uhr, und niemanden kümmert es. Man verliert das Gefühl für die Zeit.“
Jeden Monat nimmt das Prager Literaturhaus einen neuen Stipendiaten oder eine neue Stipendiatin auf. Als nächstes bezieht der Romanautor Michael G. Fritz die Wohnung am rechten Ufer der Moldau.