„Banker im Barockpalast“: Michael Schneider zu Gast im Prager Literaturhaus
Der Schriftsteller Michael Schneider weilte im November als zweiter Stipendiat des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren in der tschechischen Hauptstadt. Bekannt machten ihn seine politischen Essays, aber auch seine jüngst entstandenen historischen Romane. Radio Prag hat Michael Schneider um ein Resümee seines Aufenthaltes gebeten.
Herr Schneider, Sie haben die letzten Wochen als Stipendiat des Prager Literaturhauses hier verbracht. Wie ist denn Ihre Beziehung zu Prag?
„Ich war schon einmal in den 1980er Jahren in Prag. Damals war das noch in der kommunistischen Tschechoslowakei. Das war natürlich ein ganz anderes Prag-Erlebnis. Jetzt ist Prag eine Stadt, die ganz in Europa wenn nicht gar in Amerika angekommen ist. Eine Stadt, in der das Leben pulsiert, in der auch die gesamte westliche Warenwelt vertreten ist. Es herrscht ein Massentourismus, der einen manchmal übrigens auch etwas enerviert und der manchmal auch ein bisschen auf Kosten der besonderen Prager Atmosphäre geht. Aber dieses Schicksal teilt Prag mit Venedig und anderen großartigen Städten. Diese sind Magneten des Welttourismus und das ist dann eben die Konsequenz daraus.“
Sie haben während Ihres Aufenthaltes hier ein Märchen geschrieben, das von der Globalisierung und auch von der Finanzkrise inspiriert ist. Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen?
„Ich wollte das Museum des Kommunismus besichtigen und bin zunächst fälschlicherweise in einem Barockpalast gelandet, der aber der UniCredit Bank gehört. Ich konnte es erst gar nicht fassen: Ein Barockpalast von einer unglaublichen Pracht. Barock und Jugendstil mischen sich da. Lauter Barockengelchen hingen an den Säulen und Wänden. Und unten saßen hinter Bildschirmen und gläsernen Schirmen verborgen, die schnellen Yuppies tippend hinter ihren PCs und machten ihre Geldgeschäfte. Diesen Widerspruch, dass diese Banker in einem barocken Palast sitzen, fand ich unglaublich. Das hat mir die Idee zu einem Märchen gegeben.“
Worum geht es denn in diesem Märchen?
„Ein richtiger Yuppie, ein professioneller Bankmensch, sieht eines Tages vor einem Schalter eine schöne, blonde Frau. Sie will 2000 Euro anlegen, aber sie will das Geld nicht vermehren, sondern nur für ihre Tochter sparen. Da fällt er aus allen Wolken: ‚Das ist völlig anachronistisch. Heutzutage muss man doch sein Geld vermehren!’ Er versucht ihr einzureden, dass sie unbedingt ein Zertifikat kaufen muss mit 25 Prozent Rendite. Aber nein, sie will schlicht und einfach nur zwei Prozent. Da sagt er sich, dass das kein irdisches Wesen, sondern nur ein Engel sein kann. Dann entwickelt sich eine kleine Liebesgeschichte, denn diese Frau kommt für ihn aus einer anderen Welt. Eine Frau, die ihr Geld nicht vermehren will, kommt aus einer Märchenwelt.“
Außer diesem Märchen haben Sie ja auch Tagebuch geschrieben und beides im Internet veröffentlicht. Inwiefern hat Sie Ihr Prag-Aufenthalt sonst noch inspiriert?
„Das kann ich jetzt noch nicht direkt sagen. Ich habe mir natürlich sehr viel angesehen, die ganzen architektonischen Juwelen zum Beispiel. Aber ich habe mich auch den düsteren Seiten gewidmet. Ich war in Theresienstadt. Das war für mich sehr bedrückend, obwohl ich mich immer wieder mit dieser Vergangenheit auseinandergesetzt habe. Die Hälfte meines Werkes hat mit der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit zu tun. Aber es ist immer etwas anderes, wenn man mit den Stätten konfrontiert wird, wo diese unglaublichen Verbrechen geschehen sind. Und als Literat habe ich mir natürlich das Kafka-Museum angeschaut. Das fand ich sehr interessant gemacht. Dieser Museumsbesuch hat mich sehr beeindruckt und mich auch zur erneuten Kafka-Lektüre animiert.“
Das Märchen und das Prager Tagebuch von Michael Schneider sind zu finden unter: www.prager-literaturhaus.com