Künstler Hartmut Geerken über Prag und den böhmischen Dadaisten Vischer

Vergangene Woche kam der deutsche Künstler und Publizist Hartmut Geerken nach Prag. Im Rahmen einer Veranstaltung des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren stellte er den böhmischen Schriftsteller Melchior Vischer vor – einen der wichtigsten Vertreter des Dadaismus in Prag Anfang des 20. Jahrhunderts. 1923 ging Vischer nach Berlin, erhielt jedoch unter den Nationalsozialisten Schreibverbot und blieb danach erfolglos. Der Künstler Geerken erzählt im Gespräch für Radio Prag, weshalb er sich schon seit fast 50 Jahren für diesen böhmischen Dadaisten interessiert und was ihn an Prag fasziniert.

Hartmut Geerken
Herr Geerken, Prag hat viele Facetten: Prag ist die Goldene Stadt, Prag ist die Stadt der vielen Brücken und Prag ist eine Touristikmetropole. Sind Sie auch ein Prag-Liebhaber?

„Ich bin ein großer Prag-Liebhaber. Prag war für mich eigentlich immer kulturell die Hauptstadt Europas. Ich habe mich sehr viel mit der Literatur von Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigt und dabei spielt ja Prag eine ganz wichtige Rolle. Ich habe die Tageszeitung ‚Prager Presse’ von 1920 bis 1925 durchgeforstet. Dort gibt es einen unglaublichen Fundus. Es hat wohl noch nie jemand hineingeguckt außer mir und meiner Frau. Zum Beispiel wurde dort ein Roman von Melchior Vischer als Fortsetzungsroman abgedruckt. Der Titel heißt ‚Strolch und Kaiserin’ - davon weiß kein Mensch.“

Sie sind ja selbst ein einvielseitiger Künstler: Musik, Literatur, Fernsehen. Ist es für Sie selbstverständlich, nicht nur Ihre eigene Kunst sondern auch die anderer Künstler zu präsentieren?

„Natürlich. Das war immer schon ein Anliegen von mir, dass diese total zerstörte Literaturszene von 1933 wieder belebt werden muss. Schon in den 1970er Jahren habe ich zusammen mit den beiden deutschen Literaturwissenschaftlern Klaus Ramm und Jörg Drews die Schriftenreihe ‚Frühe Texte der Moderne’ gegründet, in der wir versucht haben, diese beschnittenen Künstler – die wirklich zerstört wurden durch die Nazis - wieder ans Tageslicht zu holen. Und in dieser Reihe sind auch die beiden Bände über Melchior Vischer erschienen, seine Prosa- und Theaterstücke.“

Melchor Vischer hat in Prag studiert und auch bei der Tageszeitung „Prager Presse“ gearbeitet. Was fasziniert Sie an ihm?

„Er hat ein außergewöhnliches Verhältnis zur Sprache. Er benutzt Sprache wie kaum ein anderer in der Zeit zwischen 1915 und 1930. Er ist ein absolut sprachgewaltiger Autor, der – wie ich eben gesagt habe – mit Sprache etwas sagt, ohne dass er Sprache benutzt, um eine Geschichte zu erzählen. Die Sprache ist für ihn kein Hilfsmittel, um Geschichten zu erzählen, sondern er lässt Sprache selbst etwas sagen.“

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