„Wie bei uns" oder doch noch anders? Tereza Boučková über ihren Monat in Deutschland
Im September haben wir schon darüber berichtet: Das Prager Literaturhaus hat zwei einmonatige Stipendien in Wiesbaden vergeben. Die bekannte tschechische Schriftstellerin Tereza Boučková war eine der beiden Stipendiaten. Patrick Gschwend hat sich mit ihr im Café Slavia am Moldauufer getroffen und mit der 51-jährigen über ihre Erfahrungen und Eindrücke in Deutschland gesprochen.
Frau Boučková, Sie waren im September einen Monat lang in Deutschland, genauer in Wiesbaden. Das war im Rahmen eines Stipendiums, das Sie vom Prager Literaturhaus bekommen haben. Warum haben Sie sich für das Stipendium beworben?
„Das klingt jetzt vielleicht etwas merkwürdig, weil wir das Interview auf Tschechisch machen, aber ich wollte hauptsächlich nach Deutschland, um mein Deutsch zu verbessern. Und ich wollte ausprobieren, wie man sich fühlt, wenn man länger im Ausland ist. Während des Kommunismus durfte ich nicht ausreisen. Nach 1989 hatte ich drei Kinder und konnte daher auch fast nicht reisen. Ich bin dann immer schnell ins Ausland gefahren und genauso schnell wieder zurück.“
Was haben Sie von dem Aufenthalt in Deutschland erwartet, und was davon ist wahr geworden?
„In erster Linie war ich neugierig, wie ich zurechtkomme, wenn ich zum ersten Mal einen Monat weg von zu Hause bin. Ob ich mich zu recht finde, ob ich mich nicht zu sehr nach zu Hause sehne, ob ich es schaffe mich ein bisschen einzuleben. Ich habe das alles geschafft und das war gut.“
Was genau haben Sie in Deutschland gemacht? Haben Sie geschrieben oder haben Sie nur Inspiration gesammelt?
„Ich habe etwa vor einem Jahr meinen letzten Roman „Das Jahr des Hahns“ beendet, der mich total aufgezehrt hat. Deshalb bin ich noch nicht fähig, etwas größeres Neues zu beginnen. Trotzdem habe ich in Wiesbaden ziemlich viel Arbeit gehabt. Ich habe slowakische Literatur ins Tschechische übersetzt. Außerdem habe ich Feuilletons geschrieben, die in etwas leichterer Form meine Gefühle in Deutschland beschreiben. Ich habe aber nichts grundlegend Neues begonnen, das nicht.“
In welchem Maße haben Ihnen denn nun im Nachhinein für Ihre literarische Arbeit die neuen Eindrücke geholfen, die Sie in Deutschland bekommen haben?„Das weiß ich nicht so ganz. Ich glaube ich habe weder den Blick auf mein Schreiben noch auf meinen Kontext verändert. Ich habe in Wiesbaden außerdem zwei Interviews für tschechische Zeitungen autorisiert. Da ging es immer über den neuen Roman, über meine Kinder, über Roma, über das, wonach mich Journalisten immer fragen. Das heißt ich habe daher in Deutschland immer ein wenig auch in meinem tschechischen Kontext gelebt. Aber wie ich gesagt habe: Meine Sicht auf die Dinge hat sich dort nicht geändert. Ich war nur froh, dass ich in einem anderen Land bin und das Leben dort beobachten kann. Ich konnte inne halten und ein wenig aus den familiären Stereotypen zu Hause ausbrechen.“
Sie haben während dem Aufenthalt in Deutschland Feuilletons geschrieben. In einem von denen beschreiben Sie ihre Eindrücke, die Sie von Wiesbaden hatten oft mit der Phrase „Wie bei uns.“ Wie würden Sie die Unterschiede bzw. die Gemeinsamkeiten zwischen Tschechen und Deutschen nun nach einigen Monaten bewerten?
„Ich glaube, dass ein Monat nur wenig ist, um eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich habe auf einer Lesung in Berlin einige tschechische Frauen getroffen, die deutsche Männer geheiratet hatten, und die waren alle geschieden. Sie sagten mir, dass sie sich gerade deswegen geschieden hatten, weil sie sich so sehr unterscheiden. Mir kam es zwar nach diesem einen Monat so vor, dass der Lebensstil in Deutschland unserem sehr ähnlich ist. Aber ich weiß natürlich nicht, wie es ist, wenn man einen deutschen Partner oder Ehemann hat. Vielleicht gibt es doch mehr Unterschiede, als wir glauben. Eigentlich glaube ich aber, dass sich einfach Frauen und Männer unterscheiden und man das nicht nur an der gesellschaftlichen Prägung festmachen kann. Aber noch einmal: Ich war ja nur einen Monat in Wiesbaden. Und da habe ich mich überwiegend in einem literarischen und kulturellen Umfeld bewegt. Das ist natürlich auch kein objektiver Blick.“
Aber irgendwelche Unterschiede müssen ja existieren. Schließlich haben wir ungefähr 40 Jahre eine andere gesellschaftliche Entwicklung genommen.
„Das ist offensichtlich. Wir überwinden gerade eine Verschlossenheit, die der Totalitarismus mit sich brachte. Es gab ja nicht nur verschlossene Grenzen, sondern auch verschlossene Menschen. Das war eine Isolation. In einer Gesellschaft wie der westdeutschen ist sichtbar, dass man dort viel stärker gewohnt ist an verschiedene Kulturen, verschiedene Hautfarben, eben an die sichtbaren Unterschiede. Bei uns gewöhnt man sich noch daran, dass jemand eine andere Meinung haben kann. Ich sehe darin Etappen einer Entwicklung, die man nicht überspringen kann. Eine Befreiung muss nicht nur nach außen oder mit Gesetzen geschehen, sondern auch nach innen hin. Damit die Leute einfach offen sein können gegenüber dieser Fülle von Meinungen, Kulturen, Hautfarben und so weiter. Bisher sind wir daran weder gewöhnt noch vorbereitet.“
Ich habe in der letzten Woche noch eine Diskussion über die multikulturellen Aspekte in unseren Gesellschaften geführt. Dabei hat mir auch jemand gesagt, dass die deutsche Gesellschaft wesentlich durchmischter sei. Zum Beispiel hat man jetzt noch den Eindruck, dass Vietnamesen eigentlich nur in Obst- und Gemüseläden arbeiten. Aber die nächste Generation beginnt schon sich viel stärker zu integrieren.
„Ihre Kinder studieren, lernen hervorragend, sind sehr fleißig, zielstrebig und sprechen hervorragend Tschechisch. Sie sitzen nicht mehr nur in diesen Krämerläden. Sie studieren an den Hochschulen, und sie werden sicher eine neue Kategorie von Tschechen sein.“
In Deutschland war das eigentlich eine ähnliche Entwicklung. Jetzt haben wir türkischstämmige Spitzenpolitiker. Die Kinder und Enkel der Gastarbeiter sind in allen gesellschaftlichen Bereichen vertreten.
„Eben. Sie gehören schon in das Land. Sie sind nicht mehr von irgendwoher. Das sind schon Deutsche. Aber wir hier sind daran noch nicht so sehr gewöhnt. Der Trend geht aber dorthin.“
Zum Abschluss: Können Sie vielleicht für sich ein allgemeines Fazit ziehen?
„Insgesamt kann ich sagen, dass es gut war, mich woanders zu erfahren, gezwungen zu sein eine fremde Sprache zu sprechen, neue Leute kennen zu lernen und auch mich selber in neuen Situationen kennen zu lernen. Ich bin froh, das gemacht zu haben. Wiesbaden ist eine schöne Stadt. Es war sehr schön dort. Sind wir schon fertig?“
Ja, wir sind fertig! Vielen Dank!