Pavla Francova malt Farben im Dunkeln
Uns, die wir durch den Tag ganz selbstverständlich ohne Behinderung hetzen und über unsere Alltagsprobleme klagen, ist kaum vorstellbar, dass es auch anders sein könnte. Zum Beispiel ohne Augenlicht. Und daher stellen wir Ihnen heute eine lebensfrohe junge Frau vor, die trotz ihres Lebens in der Dunkelheit bereits Vieles erreicht hat. Über die sehbehinderte Sportlerin und Künstlerin Pavla Francova berichtet Lucie Drahonovska.
Pavla Francova ist Fünfzehn, als sie aufgrund einer angeborenen Augenkrankheit, dem grünem Star, beginnt ihr Augenlicht zu verlieren. Dass es allmählich geschieht, sei für sie, wie sie selbst sagt, "Glück im Unglück" gewesen. Denn nur so habe sie ihre Blindheit nicht unterkriegen können. Sie fängt an, die Grundschule für Kinder mit geringer Sehkraft zu besuchen, lernt die Braille-Schrift, übt sich im Reisen mit der U-Bahn, spaziert durch Prag mit einem weißen Stock. Seit 1987 sieht sie nichts mehr. Doch auch in dieser unvorstellbar schwierigen Lebenslage findet sie genügend Kraft zu neuen Aktivitäten.
Sie treibt Sport. Und das äußerst erfolgreich. Zwischen 1988 bis 1992 nimmt sie regelmäßig an Wettbewerben für körperlich behinderte Sportler teil. Ihr Fleiß und ihre Standhaftigkeit, mit denen sie sich dem Sport widmet, bleiben nicht unbelohnt: Im Jahr 1989 gewinnt sie bei der Europameisterschaft in Zürich im 800-Meter-Lauf eine Goldmedaille. Ein Jahr später erreicht sie bei der Europameisterschaft in Assen gleich drei Mal den ersten Platz: Im 800-, im 1500- und im 3000-Meter-Lauf. Sie reist zu den Winterparalympics nach Albertville und belegt den zweiten und dritten Platz im klassischen Skilanglauf über 5 und 15 Kilometer. Es folgen die Sommerparalympics in Barcelona, bei denen sie neben mehreren gewonnenen Preisen auch einen Paralympic-Rekord und einen Weltrekord im Laufen aufstellt. Doch trotz dieses enormen Sporterfolges, der ihr an die 200 Medaillen eingebracht hat, entscheidet sich Pavla Francova, mit ihrer Sportkarriere von Heute auf Morgen zu brechen. Warum?
"Es hat mir gereicht. Die Erfahrung hat sich irgendwie erfüllt. Und nachdem ich die Welt des Hochleistungssports, der sich in Vielem vom Hochleistungssport gesunder Menschen kaum unterscheidet, näher kennen lernte, haben mich eine ganze Menge Dinge daran gestört. Auch die Vorstellung, dass ich mein Leben Tag für Tag mit Trainieren verbringe, wobei ich womöglich auch verletzt oder am Ende enttäuscht sein könnte, hat mich keinesfalls gelockt. Und schließlich habe ich begonnen, mich auch für andere Lebensbereiche zu interessieren, für die ich während des Sports keine Zeit hatte."
Und so reist sie im Rahmen ihres Studiums an der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, wo sie sich mit Englisch beschäftigt, zum neunmonatigen Studienaufenthalt in die Vereinigten Staaten. Dort lernt sie den Umgang mit dem Computer, der ihr nötiges Studienmaterial vermittelt, liest Fachliteratur für Sehbehinderte, gibt Tschechischunterricht. In ihrer Freizeit geht sie häufig in Museen und Galerien. Und gerade dort hat sie sich für ihre Leidenschaft, das Malen, aufs Neue beigeistert. Ihre Erfahrungen im Umgang mit Sehbehinderten in den Vereinigten Staaten teilte sie Radio Prag mit:
"Es hat mir dort sehr gut gefallen, da ich keine Berührungsängste seitens der Veranstalter wahrgenommen habe. Sie reagierten auf meine Frage, ob ich die Exponate mit den Händen berühren könne, keinesfalls überrascht. Im Gegenteil: Sie waren sogar auf solche Wünsche vorbereitet und brachten mir Handschuhe, mit denen ich dann die Exponate berühren konnte. Es wurde mir auch ein Begleiter angeboten, der mich durch die Ausstellung geführt hat. Man hat sich dabei keinesfalls gewundert, dass auch diese Art der Kunstvermittlung für mich interessant sein könnte."
Im Gegenteil dazu stößt Pavla Francova in Tschechien immer noch auf Hindernisse, die den sehbehinderten Menschen den Kontakt zur Kunst maßgeblich erschweren:
"Bei uns sehe ich das Grundproblem in diesem Bereich darin, dass es nur wenige Ausstellungen gibt, die den Sehbehinderten gerecht werden könnten. Dabei meine ich nicht in erster Linie, Ausstellungen eigens für Sehbehinderte zu organisieren, sondern im Rahmen der ganz normalen Ausstellungen gegenüber den Wünschen der Sehbehinderten offen zu sein. Wenn man sich das Kulturprogramm Prags ansieht, sind dort unter den 'Tastausstellungen' höchstens zwei Ausstellungen aufgeführt. Dabei findet eine davon zum Beispiel im entfernten Schloss Zbraslav statt. Und wenn mich dabei nach einer Fahrtstunde quer durch Prag von elf ausgestellten Exponaten nur eines interessiert, bin ich nachher öfters Mal den Tränen nah."
Doch bei Pavla Francova blieb es nicht nur bei den Ausstellungsbesuchen: Vor drei Jahren hat sie selbst zu Stiften und Farben gegriffen. Sie entschied sich für das Malen, weil sie sich auf ihr stark ausgeprägtes inneres farbiges Sehen berufen kann, das sie bei sich schon in ihrer Kindheit entdeckte. Und so konnte und wollte sie auf die Farbe keinesfalls verzichten. Im Laufe der Zeit hat sie sogar eine eigene Mal- und Zeichentechnik entwickelt, die ihr eine Sichtbarkeit des Gezeichneten gut ermöglicht:
"Für mich funktioniert es so, dass ich alles, was in der Sprache existiert, ohne meinen Willen automatisch mit Farben assoziiere. Wenn ich beispielsweise eine Telefonnummer höre, sehe ich im selben Moment eine konkrete Farbe. Erst dann, nach der Farbe, sehe ich die Nummer. Meine Methode, die ich für das Malen der Tastbilder entdeckte, beruht darin, dass ich mit einem Kugelschreiber auf Papier zeichne, unter das ich ein Textil lege. Auf diese Weise entsteht eine deutliche Spur, die mit dem Tastsinn nachzulesen ist. Dann wende ich das Blatt, weil dort das Relief hervorgetreten ist. Anschließend male ich diese Reliefzeichnung mit Öl- oder Pastellfarben aus, die ich mit Brailleschrift gekennzeichnet habe. Dabei muss ich aufpassen, damit ich die Farben nicht vertausche, um mein System nicht durcheinander zu bringen. Denn heute sind es schon 48 Farben."
Und während die Farbe für Pavla Francova eine primäre Bedeutung hat, soll es bei Menschen, die seit ihrer Geburt in der Dunkelheit leben müssen, ihren Worten nach ganz anders gehen:
"Obwohl ich sie im Endergebnis nicht wahrnehmen kann, so ist die Farbe für mich durch mein inneres farbiges Sehen, das ich aufs Papier übertrage, ganz grundsätzlich. Im Unterschied dazu kann man Menschen, die seit ihrer Geburt nicht sehen können, zwar beibringen, welche Farben zusammenpassen, aber es hat für sie keine emotionelle Ladung. Die Farbe wird für sie daher zum leeren Begriff."
Mit den Tastzeichnungen von Pavla Francova können sich seit Ende der 90er Jahre Menschen vertraut machen, die sich für die Problematik der Sehbehinderten interessieren. Im Verein "Okamzik", auf Deutsch "Der Augenblick", der nicht nur Sehbehinderte unterstützt, sind bereits mehrere Bücher mit Texten und Illustrationen Pavla Francovas erschienen. Vor kurzem hat der Verein auch einen Katalog mit ihren farbigen Tastzeichnungen herausgegeben. Und schließlich kann man Bilder von Pavla Francova demnächst auch in Prag zu Gesicht bekommen: Nach den Präsentationen in den mährischen Städten Sumperk und Olomouc/Olmütz wird ihr farbiges Alphabet vom 8. September bis zum 28. Oktober 2004 im Institut für Geophysik in Prag zu sehen sein.