(K)eine Bilanz nach 100 Tagen in der EU / Haftantritt von Ex-KSC Funktionär Hoffmann
Am 8. August waren genau 100 Tage vergangen, seit die Tschechische Republik und 14 weitere Staaten der Europäischen Union beigetreten sind. 100 Tage, das ist für gewöhnlich die Bewährungsfrist, die man neuen Regierungen, Ministern oder Präsidenten gibt. Danach wird die erste Bilanz gezogen und es werden die Erwartungen und Versprechungen mit der eingetretenen Realität verglichen. Dieses ist eines der Themen des Medienspiegels, den Thomas Kirschner für sie vorbereitet hat.
"Es sind nun genau 100 Tage seit dem Beitritt des Landes zum europäischen Klub, und mit ruhigem Gewissen können wir sagen, dass es im Gegensatz zu den Erwartungen im böhmischen Becken zu keinen Katastrophen kam. Die Brötchen kosten nicht das zehnfache, die Wochenendhäuser in Südböhmen sind nicht von mürrischen Ausländern besetzt und das Land hat sich noch nicht in einem kontinentalen Babylon aufgelöst."
Die Erklärung, wie es kommt, dass sich all diese pessimistischen Vorhersagen nicht erfüllt haben, liefert die Kommentatorin gleich mit: Man habe einfach Angst gehabt vor dem Unbekannten. Und Angst sei bekanntlich irrational. Zwar könne man nun erst einmal aufatmen, aber man dürfe nicht vergessen, dass die eigentliche Feuerprobe noch bevorstehe - nämlich die ersten wichtigen Entscheidungen der EU, an denen nun auch Tschechien beteiligt ist.
Ohne die 100-Tage-Frist zu erwähnen, berichtete Mlada Fronta DNES unter der Überschrift "Tschechien verdient am EU-Beitritt" über die erfreuliche ökonomische Entwicklung im 2. Quartal des laufenden Jahres:
"Das Ende der Ein- und Ausführbeschränkungen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai bringt dem Land mehr Geld. Die Ausfuhr von Waren "Made in Czech" ist im Mai und Juni sprunghaft gestiegen. Einen noch stärkeren Zuwachs gab es zuletzt vor sechs Jahren."
Weiter zitiert Mlada Fronta DNES den Volkswirtschaftler Pavel Sobísek, der die Entwicklung als nachhaltig beurteilt:
"Der Anstieg der Exporte ist nicht nur damit zu erklären, dass man bestimmte Produkte in den Lagern angehäuft hat, um mit der Ausfuhr bis zur Grenzöffnung zu warten. Der Anstieg ist großflächig und kann einen dauerhaften Charakter gewinnen."
Große Aufmerksamkeit fand in den tschechischen Medien in der letzten Woche ein älterer Herr, der seine vierjährige Haftstrafe in der Prager Strafanstalt Pankrác antreten musste. Nicht nur, weil Karel Hoffmann mit seinen 80 Jahren der bei weitem älteste Häftling Tschechiens ist, sondern vor allem, weil er zugleich nach jahrelangen Untersuchungen der einzige von ursprünglich 187 führenden Vertretern des ehemaligen kommunistischen Regimes ist, der für seine Rolle bei der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Hoffmann war damals Direktor der zentralen Telekommunikationsverwaltung und hatte versuchte, durch das Abschalten der Sendeanlagen zu verhindern, dass die tschechoslowakische Regierung eine Verurteilung des Einmarsches verbreiten konnte. Die tschechischen Medien treten größtenteils für eine Begnadigung des greisen Ex-Funktionärs ein und sehen seinen Fall vorwiegend als Ausdruck größerer Zusammenhänge. So auch der Kommentator der Tageszeitung Právo:"Ich bin für Gnade für Karel Hoffmann. Nicht nur, weil ´wir nicht sind wie sie damals´. Es wäre lächerlich, wenn Hoffmann als einziger als Sündenbock herhalten müsste, der, mit den Sünden seiner Genossen beladen, nun in die Wüste geschickt wird."
Právo betont, dass es nicht nur um 1968 gehe, sondern darum, dass ein ganzes Land von seiner Regierungsclique systematisch unterdrückt und abgewirtschaftet wurde."Darüber aber kann kein demokratisches Gericht richten. Karel Hoffmann gebührt Gnade. Schon aus Gründen des Alters und der Gesundheit. Alles andere wäre eine Farce."
Auch die Mlada Fronta DNES sieht das eigentliche Thema nicht in Hoffmann, sondern in der Haltung der kommunistischen Partei KSCM, die sich in ihrer bedingungslosen Unterstützung für den Altfunktionär wieder einmal als Fürsprecher des alten Regimes offenbart hat.
"Das Schlimmste sind keineswegs die lächerlichen Strafen für Breschnews Satrapen. Das Schlimmste, und eigentlich das einzig Schreckliche sind die zwanzig Prozent erwachsener Mitbürger, die nichts verstanden haben und weiter die Kommunisten wählen."
Präsident Václav Klaus hat bereits angekündigt, eine Begnadigung Hoffmanns zu erwägen. Während er in der Sache Zustimmung erhält, stößt der joviale Ton, in dem er dies in Aussicht stellte, jedoch auf einhellige Ablehnung. Klaus hatte gesagt, dass es ihm seltsam erscheine, dass nach 36 Jahren jemand wegen der Übertretung des Telekommunikationsgesetzes ins Gefängnis geschickt werden solle. Dazu die Wirtschaftszeitung Hospodarské noviny:
"Die Kommunisten werden sich nicht ändern, darüber steht aber die Vernunft des Staates, und das heißt auch das Verhalten des Staatsoberhauptes. Vielleicht hat er recht damit, dass wir Breschnew nicht mehr verurteilen können. Aber Hoffmanns Verhalten in der Nacht zum 21. August 1968 als "Verletzung der Telekommunikationsgesetze" zu bezeichnen, ist den Leuten gegenüber, die sich erinnern, was nach dieser Nacht folgte, eine sittliche Entgleisung."
Letztes Thema im heutigen Medienspiegel ist das Programm der neuen Regierung unter Stanislav Gross, das derzeit ausgearbeitet wird. Am 24. August will sich die Regierung damit der Vetrauensabstimmung stellen. Erste Einzelheiten sind schon an die Öffentlichkeit gelangt. Die Hospodarské novinyäußern sich in ihrer Mittwochsausgabe kritisch dazu:
"Schon mit der ersten Version der Programmerklärung der neuen Regierung wird deutlich, dass man eine Mischung aus Reform- und Gegenreformschritten schaffen wird und weiterhin ein Allerlei aus unerfüllbaren Versprechungen, Evergreens und farbloser Wortsoße. (...) In der Kategorie der unerfüllbaren Versprechungen finden wir in der ersten Version der Erklärung mindestens drei Dinge: Es werden 100 000 Arbeitsplätze in den benachteiligten Regionen versprochen, 50 000 staatlich finanzierte Wohnungen im Jahr und außerdem günstige Kredite für Jungverheiratete. Bleiben wir aber auf dem Boden: Für nichts davon wird jemals Geld da sein. Und der Finanzminister wird es uns allen zum Schluss erklären. Wenn nicht im Rahmen der Programmdiskussionen, dann eben später in der Praxis."
Soweit die Ereignisse der Woche im Presserückblick. Die nächste Ausgabe von "Im Spiegel der Medien" erwartet Sie wie gewohnt am kommenden Freitag.