Zwischen Vertauensabstimmung und Glaubwürdigkeitsverlust
Die üblicherweise nachrichtenarme Sommerzeit wurde in Tschechien in diesem Jahr zum größten Teil von der Regierungskrise ausgefüllt, die sich nach dem Rücktritt des Kabinetts unter Vladimir Spidla über rund zwei Monate hinzog. Die letzte Sommerferienwoche brachte nun auch den letzten Akt des Dramas. Wie die tschechischen Medien die Ereignisse bewerten, erfahren sie im folgenden Medienspiegel, den Thomas Kirschner zusammengestellt hat.
"Nach siebeneinhalb Stunden politischen Streites und zwanzig Minuten Abstimmung bekam Premierminister Stanislav Gross das, wofür er sich an dem Abend unter die Abgeordneten begeben hatte - das Mandat, dass er mit seinem Team zwei Jahre regieren darf. Gemäß der allgemeinen Erwartung bekam er nicht um eine Stimme mehr als die 101, über die die Koalition verfügt. (...) Wer gehofft hatte, in der Fernsehübertragung der Parlamentsdebatte Antwort auf die Frage zu finden, ob das Regierungsprogramm gut ist, oder wer gar erwartet hatte, dass die Opposition in einem Duell der Argumente zu zeigen versucht, um wie viel besser sie regieren würde, der musste enttäuscht sein. Koalition und Opposition schlugen nur wechselseitig aufeinander ein."
Nach wochenlangen Beratungen über das Programm sowie gegebenen und wieder zurückgenommenen Versprechungen bleiben die Zeitungen abwartend-kritisch. "Gross hat die Regierung. Wir haben seine Versprechen", titelte etwa die Mlada Fronta DNES. Auf die unerfüllten Versprechungen und die mangelnde Konkretheit des Regierungsprogramms weist auch der BBC-Redakteur Petr Fischer hin, den die Lidove noviny in ihrer Mittwochsausgabe in einem Gastkommentar zu Wort kommen lässt."Premier Stanislav Gross hat versprochen, dass die Programmerklärung, mit der er gestern im Abgeordnetenhaus zur Vertrauensabstimmung antrat, nur einige Seiten umfassen werde, damit sie verständlich, klar und leicht zu kontrollieren sei. Der Text ist nun auf einige dutzend Seiten angewachsen, wofür sich der Premier berechtigte Kritik eingefangen hat. Ebenso wird ihm die Unkonkretheit und Verschwommenheit des Programms vorgehalten, kurzum, dass es "ein Geschwätz" sei, wie es jemand recht expressiv ausdrückte. (...) Das Kabinett verspricht nicht die Erreichung eines Zieles, es verpflichtet sich nur, die Richtung einzuschlagen, in der sich das Ziel befindet. Diese Unvollkommenheit ist offensichtlich beabsichtigt. Sie ist einerseits das Alibi im Falle des Versagens, denn immer wird sich sagen lassen, wir sind auf dem Weg, aber wir wussten, dass es nicht so schnell gehen wird, andererseits aber paradoxerweise zugleich eine Abschätzung der Möglichkeiten, die Gross im kurzen Rest der Legislaturperiode haben wird."
Begleitet wurde die Vertrauensabstimmung von einer Affäre, die wenige Tage zuvor an die Öffentlichkeit getragen worden war. Der Abgeordnete der in der Regierungskoalition vertretenen Freiheitsunion (US-DEU) Zdenek Koristka warf der oppositionellen ODS vor, dass sie ihm über Mittelsmänner 10 Mio. Kronen (etwa 325 000 Euro) geboten habe, wenn er die Regierung in der Abstimmung nicht unterstütze. Da die Koalition nur über eine Mehrheit von einer Stimme verfügt, würde ein solcher Bestechungsversuch durchaus Sinn machen - beweisen konnte Koristka seine Anschuldigungen allerdings nicht. Die ODS reichte umgehend eine Verleumdungsklage gegen Koristka ein und erhob ihrerseits Bestechungsvorwürfe in umgekehrter Richtung. Unmittelbares Ergebnis war immerhin, dass bei der Abstimmung beide Seiten die Fraktionsdisziplin hielten, da jeder Abweichler sich unweigerlich dem Verdacht ausgesetzt hätte, bestochen worden zu sein. Die Affäre ist damit aber nicht aus der Welt, meint auch die Mlada Fronta DNES, ohne jedoch die Schuld nur auf einer der beiden Seiten zu sehen:"Der Koalitionsabgeordnete Zdenek Koristka beschuldigt die ODS, dass sie versucht habe, ihn zu kaufen. Es ist nicht möglich, dazu ein abschließendes Urteil zu fällen. Allerdings: Haben wir auf Grund der vorangegangenen Erfahrungen Grund, der einen oder anderen Seite mehr zu glauben? Sicher nicht.
Es gibt zweifellos einige Merkwürdigkeiten an Koristkas Verhalten, zum Beispiel die Verzögerung der Meldung oder ihre Verbreitung in den Medien statt einer Anzeige bei der Polizei. Die beleidigte Ehrbarkeit der ODS ist allerdings auch wenig glaubwürdig. Unter anderem deshalb, weil die ODS noch vor Koristkas Vorwürfen selbst die Koalition beschuldigt hatte, dass sie versuche, entweder die Stimmen von Abgeordneten der ODS oder von Rebellen in den eigenen Koalitionsreihen zu kaufen. Koristka trägt nun wenigstens seine eigene Haut zu Markte. Die ODS verbirgt sich hinter noch schwieriger nachweisbaren Andeutungen. Jetzt erinnert sie an jemanden, dem - zu seiner größten Überraschung - seine Schläge auch einmal heimgezahlt werden."
Eine Reaktion auf die Affäre aus Kreisen der Politik ist der Vorschlag, einen ethischen Verhaltenskodex für Abgeordnete auszuarbeiten. Die Tageszeitung Lidove noviny kann sich dafür allerdings nicht erwärmen und sieht darin im Gegenteil nur oberflächlichen Populismus.
"Die Abgeordneten sehen ihre Glaubwürdigkeit bedroht. Und sie wollen diesem Mangel abhelfen, indem sie einen Ethik-Kodex aufstellen. Einen solchen gibt es in einer ganzen Reihe von Berufen, Journalisten mit eingerechnet. So etwas ist praktisch. Geschriebene Regeln nimmt man stärker wahr als ungeschriebene. Und wenn jemand dagegen verstößt, kann er nachher nicht behaupten, er habe von nichts gewusst. (...) Aber zugleich: jeder weiß doch, was die Öffentlichkeit an dem Verhalten ihrer Parlamentarier irritiert: Dass sich - einige - während der Arbeit betrinken, nach Verkehrsverstößen mit ihrer Immunität winken oder in staatlich bezuschussten Luxuswohnungen wohnen. Den ganzen Kodex könnte man in einen Satz fassen: Verhaltet euch wie normale Menschen. Das klingt zwar populistisch. Aber genauso populistisch ist ja auch die Idee, einen Kodex aufzustellen."Mit unserem letzten Thema in der heutigen Presseschau verlassen wir schließlich den Umkreis der Regierungsbildung. Präsident Vaclav Klaus hat in der vergangenen Woche für Aufsehen gesorgt und sich neuerlich als Euro-Skeptiker profiliert, indem er gegen ein Gesetz zur Einführung des Europäischen Haftbefehls sein Veto einlegte. Der Kommentar von Pavel Verner in der linksliberalen Tageszeitung Pravo zeigt Verständnis, aber keine Zustimmung:
"Das ganze präsidiale Veto gegen den europäischen Haftbefehl lässt sich in einem einfachen Slogan zusammenfassen: Unsere tschechischen Verbrecher bestrafen wir selbst! Warum aber ein solches Beharren um jeden Preis? (...) Sicher, nach unseren Gesetzen darf ein tschechischer Staatsbürger nicht dazu gezwungen werden, sein Land zu verlassen - auch nicht, wenn er verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben. Auch hat der Präsident darin Recht, dass der Schutz der eigenen Bürger zu einer der grundsätzlichen Verpflichtungen eines jeden Staates gehört. (...) Klaus achtet die Verfassungsprinzipien. Dazu spende ich ihm Beifall. Zugleich aber erinnere ich daran, zu welchen Verirrungen es in der Geschichte immer dann gekommen ist, wenn die Prinzipen über den gesunden Menschenverstand gesiegt haben."
Neben Italien, wo Premierminister Berlusconi seine eigenen Gründe hat, die europaweite Strafverfolgung abzulehnen, ist Tschechien damit das einzige Land in der Europäischen Union, das sich gegen den Europäischen Haftbefehl sperrt. Das Pikante an der Sache: Zu dessen Einführung hat sich die Tschechische Republik mit dem EU-Beitritt ausdrücklich verpflichtet. Das Gesetz wird nun dem Parlament noch einmal zur Beratung vorgelegt. Dort kann das Veto des Präsidenten dann wieder überstimmt werden.