Tschechische Pressestimmen zur Abhöraffäre und dem Staatsfeiertag am 28. Oktober
Auch heute haben wir wieder eine neue Ausgabe von Im Spiegel der Medien für sie vorbereitet. Am Mikrophon begrüßt Sie dazu Robert Schuster.
Dennoch ging es dem Feiertag zum Trotz in Tschechiens Politik in den letzten Tagen nicht besonders besinnlich, sondern eher turbulent zu. Im Zuge der seit mehreren Wochen dauernden Affäre um den angeblichen Versuch einen Abgeordneten der Regierungsparteien zu bestechen, damit er bei der Vertrauensabstimmung gegen die Regierung stimmt, sind nicht nur neue Zusammenhänge aufgetaucht. Offensichtlich wurde insbesondere, dass die tschechische Polizei in den vergangenen Jahren bei ihren Ermittlungen in verschiedenen Fällen massiv Telefongespräche abhörte. Zu den Personen, die indirekt von diesen Lauschangriffen erfasst wurden, gehörte übrigens auch der tschechische Präsident Vaclav Klaus.
Der tschechische Polizeipräsident Jiri Kolar versuchte diese Praxis zu verteidigen in dem er meinte, unbescholtene Bürger hätten ohnehin nichts zu befürchten. Das wiederum erzürnte Präsident Klaus derart, dass er umgehend Innenminister Frantisek Bublan und später auch Premierminister Stanislav Gross zu sich bat. Er verlangte von beiden nicht nur eine Erklärung, warum die Polizei so stark in die Privatsphäre auch jener Bürger eingreife, die sich nichts zu Schulden kommen ließen, sondern forderte in erster Linie die Entlassung des Polizeipräsidenten Jiri Kolar. Diesem Anliegen des Staatsoberhaupts widersetzten sich sowohl der Regierungschef, als auch sein Innenminister, womit höchstwahrscheinlich der Konflikt mit dem Präsidenten in den nächsten Wochen und Tagen noch an Vehemenz zunehmen wird. Für Klaus war es übrigens das erste Mal seit seiner Wahl im Februar vergangenen Jahres, dass er in einer Sachfrage derart stark mit der Regierung in Konflikt geriet.Angesichts der Zuspitzung auf die Person des Polizeipräsidenten, der die hohe Zahl der abgehörten Telefongespräche zu verantworten habe, versuchten einige Kommentatoren das auf diese Weise entstandene Bild ein wenig gerade zu rücken. So fanden wir zum Beispiel in der Tageszeitung Lidove noviny in einem Kommentar von Milos Cermak folgenden Standpunkt:
"Eigentlich hätte Kolar schon längst gehen sollen. Gründe dafür gäbe es viele, in erster Linie natürlich die schlechte Arbeit der Polizei. Die Öffentlichkeit wurde ja in den vergangenen zwei Jahren fast ununterbrochen mit Fehlern bei Ermittlungen konfrontiert, oder sogar mit Fällen, in denen Polizisten selber gegen geltende Gesetze verstoßen haben. Dennoch sind die jetzt gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen der vielen Lauschangriffe fadenscheinig. Es ist zwar völlig unbestritten, dass die Zahl der abgehörten Telefonanrufe vor allem im Vergleich zu vielen anderen Ländern alarmierend hoch ist und es kann auch kein Zweifel bestehen, dass das in Tschechien oft missbraucht wird, aber über den Einsatz von Wanzen entscheiden auch hierzulande immer noch die Richter und nicht etwa einzelne Polizisten, oder deren Präsident."
Eine Erklärung, warum gegenwärtig in Tschechien mit vielen Politikern oft ihre Emotionen durchgehen, sind die Regional- und Senatswahlen, die in einigen Wochen stattfinden werden. Vor allem für die Chefs der beiden größten Parteien des Landes, also Premier Gross von den Sozialdemokraten und Oppositionschef Mirek Topolanek von der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei geht es auch ums persönliche Prestige. Topolanek steht seit der ominösen Bestechungsaffäre, in die einer seiner Berater verwickelt ist, trotz der relativ guten Umfragewerte seiner Partei ebenfalls stark unter Druck und auch Gross muss einige Monate nach seinem Antritt beweisen, dass er die Partei wirklich aus der demoskopischen Talsohle führen kann.
Über die Art und Weise, wie vor allem der junge tschechische Regierungschef in diesen Tagen auf Stimmenfang geht und dabei weniger auf Argumente oder politische Themen, sondern auf Shows mit bekannten Persönlichkeiten setzt, machte sich der Kommentator der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny Jiri Leschtina so seine Gedanken, die wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten wollen.
"Von jungen Politikern würde man erwarten, dass sie unvoreingenommen sind und eine weitaus größere Verantwortung gegenüber künftigen Generationen verspüren, als ihre lang gedienten Vorgänger, die zwar auch Reformen in Angriff nehmen wollten, dann aber vor der eigenen Courage zurückschrecken. Gross, sowie eine ganze Reihe seiner Regierungskollegen haben noch eine lange politische Karriere vor sich und könnten es sich leisten, auch etwas zu riskieren und einige wichtige Veränderungen im Gesundheitswesen, in der Bildungs- oder Rentenpolitik einleiten. Das würde aber bedeuten, die Wähler nicht mit den Arien populärer Sänger einzulullen, sondern es einmal mit der bitteren Wahrheit zu versuchen, dass Sparen notwendig sei. Anstelle dieser Ehrlichkeit präsentieren uns die Sozialisten jedoch quälende Stagnation."
Wie eingangs bereits kurz erwähnt, wurde letzten Donnerstag der Staatsgründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 gedacht. Seit ihrer Auflösung im Jahr 1993, als Tschechen und Slowaken getrennte Wege gingen, wird gerade in der Tschechischen Republik die Sinnhaftigkeit dieses Feiertages von vielen Bürgern in Frage gestellt, denn schließlich ist das Argument, warum der Gründung eines Staates gedacht werden soll, den es ohnehin nicht mehr gibt, nicht von der Hand zu weisen. Seit einigen Jahren erscheinen deshalb in den tschechischen Medien relativ regelmäßig Meinungsartikel, deren Verfasser sich an einer Erklärung versuchen, warum am 28. Oktober immer noch im ganzen Land die Staatsfahnen ausgehängt werden. Im Folgenden haben wir für Sie einige Gedanken aus einem Kommentar des Publizisten Vladimir Kucera herausgesucht, der in der Mlada fronta Dnes erschienen ist:"Der Jahrestag der Republikgründung eignete sich schon immer sehr gut dafür um über die Befindlichkeiten der Nation zu sinnieren, ihren Charakter und andere Eigenschaften. Manchmal hatten diese Auseinandersetzungen auch den Charakter von physischen Konflikten. Erinnern wir uns an den Verlauf des 28. Oktober 1989, als die Demonstration des Widerstands gegen das kommunistische Regime auf dem Prager Wenzelsplatz nur einen Tag nach der offiziellen, das Regime glorifizierenden Kundgebung stattfand. Viele von uns nahmen seinerzeit an beiden Demonstrationen teil. An der ersten aus bequemer Angst oder bedrückender Neugier, an der zweiten aus Überzeugung. Dennoch war das zweifellos ein Aufeinandertreffen von historischer Erfahrung."
Am Abend des 28. Oktober wurden dann im Rahmen eines feierlichen Aktes auf der Prager Burg vom Präsidenten traditionell die höchsten tschechischen Orden an Persönlichkeiten vergeben, die sich um das Land verdient gemacht haben. Eine Tradition hat aber in diesem Zusammenhang auch die öffentliche Debatte über die Persönlichkeiten, denen diese Ehre erwiesen werden soll.Dazu schrieb Martin Komarek in der Mlada fronta Dnes einen Kommentar, aus dem wie Ihnen abschließend einige Textstellen näher bringen wollen:
"So, wie jedes Jahr, weckt das Verzeichnis derer, die eine Auszeichnung bekommen sollen, Emotionen. Einige Namen wecken Zweifel, bei anderen fragt man sich, warum sie jetzt erst geehrt werden sollen. Wie stehen wir aber zur Frage, ob aktive Spitzensportler ausgezeichnet werden sollen? Die heutigen Sportler bekommen für ihre Leistungen viel Geld und Medaillen, warum dann noch eine staatliche Auszeichnung? Sollte der Präsident an einem solchen Tag nicht eher die Helden des Alltags dekorieren, die außerhalb der Reichweite der Fernsehkameras stehen."