Dominierende Themen tschechischer Medien: Landkreiswahlen und Präsidentenwahl in den USA
Wie jeden Freitag bringen wir heute wieder einen Überblick darüber, was die tschechischen Medien in der letzten Woche beschäftigt hat. Die heutige Folge unserer Sendereihe "Im Spiegel der Medien" hat Oliver Engelhardt vorbereitet, es lesen Jitka Mládková und Gerald Schubert:
"Das neue Prinzip der Mehrheitsabstimmungen bei einer Reihe wichtiger Fragen bringt die Union in die Nähe des Modells einer modern funktionierenden Aktiengesellschaft. Eben das gefällt denjenigen Politikern und Bürgern nicht, die sich als Eigentümer der Minderheitenaktien fühlen. Dadurch kommt ein unerklärliches subjektives Element ins Spiel. Die Vertreter welcher Interessen sich wirklich bedroht fühlen können, das ist nämlich objektiv nicht leicht festzustellen. Es ist kein Zufall, dass die neue Ordnung von Vertretern gegensätzlicher Lager angegriffen wird. Die Verfechter der 'nationalen Interessen' empören sich über den verstärkten Brüsseler Zentralismus. Die 'Euroföderalisten' hingegen stört, dass die neue Funktion des ständigen Ratsvorsitzenden in der EU den Einfluss der nationalen Regierungen stärkt."
Die EU-Verfassung muss nach der Unterzeichnung durch die Staats- und Regierungschefs von allen Mitgliedsländern ratifiziert werden. Es gilt als hoch wahrscheinlich, dass dies in Tschechien durch ein Referendum geschieht. Dazu schreibt die Tageszeitung Mladá fronta dnes in ihrer Ausgabe vom vergangenen Wochenende:
"Es ist übrigens das erste Mal, dass die Tschechen über eine Verfassung werden abstimmen dürfen. Bisher genügten sich die Politiker immer selbst, egal ob sie ihren Verfassungen das Attribut 'bürgerlich-demokratisch' oder 'sozialistisch' oder sonst eines gaben. Mit der EU, der die 'Eurorealisten' einen Mangel an Demokratie vorwerfen, erhalten die tschechischen Bürger eine demokratische Verantwortung, die ihnen ihre Politiker nie zugestanden, als es um eine Verfassung des eigenen Landes ging. Dahinter verbirgt sich keine Liebe zur Demokratie. Es beweist nur die Konflikte, die es um die erste EU-Verfassung in Tschechien gibt. Die beginnen beim Detail, wie dem Datum des Referendums, und setzen sich in fast jedem Punkt der Verfassung fort, der sich auf Zuständigkeiten und Rolle des Staates bezieht."Von Europa geht nun der Blick nach Amerika. Unübersehbar häufig und ausführlich haben sich die tschechischen Medien mit den Wahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika beschäftigt. Die Tageszeitungen hatten vor den Wahlen mehrfach ihre Titelseiten mit Photos der beiden Präsidentschaftskandidaten John Kerry und George W. Bush aufgemacht. Neben Informationen aus dem Wahlkampf, zum Wahlsystem in den USA und den unvermeidlichen Prognosen, wurden auch tschechische Themen behandelt.
Beispielsweise war schon lange bekannt, dass der Großvater des demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry aus dem kleinen Ort Horní Beneov bei Bruntál/Freudenthal in Mährisch-Schlesien stammt. Das Städtchen wurde nun von Journalisten und Kamerateams belagert, wobei sich das Bild, das sich der unerwartet großen Öffentlichkeit bot, nicht von jenem in anderen tschechischen Kleinstädten unterscheidet: in den Wirtshäusern wird zwar über die Wahl in Amerika gesprochen, doch vieles - auch das Medieninteresse am eigenen Städtchen - hält man für übertrieben. In Horní Benesov gibt es ein Wettbüro der Firma Tipsport, die Wetten zum Ausgang der Wahl in den USA annimmt. Einer ihrer Mitarbeiter sagte der tschechischen Nachrichtenagentur CTK, dass sich bislang nur zwei Personen aus Horní Benesov an dieser Wette beteiligt haben. Das Städtchen hat übrigens Kerry die Ehrenbürgerschaft angeboten, und zwar unabhängig vom Ausgang der Wahl. Kerry selbst war bislang verständlicherweise zu beschäftigt, das Angebot entgegenzunehmen.Die auflagenstarke Tageszeitung Mladá fronta dnes besorgte das Gegengewicht für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten und bisherigen US-Präsidenten George W. Bush. In ihrer Wochenendausgabe wurden auf einer ganzen Seite Forschungen zum Stammbaum von George Bush vorgestellt. Interessant für den tschechischen Leser, dass man auch dort tschechische Vorfahren findet, ja sogar Fürsten und einen tschechischen König. Man muss dazu allerdings 32 Generationen bis ins 11. Jahrhundert zurückgehen. Die Zeitung schreibt dazu:
"Auch wenn wir all diese höchstinteressanten Behauptungen einiger Genealogen hundertprozentig ernst nehmen würden: nach fast 40 Generationen beträgt der Anteil tschechischen Bluts im Kreislauf von George Bush Fachleuten zufolge höchstens ein Promille."
In der Nacht zum Mittwoch, in der Zeit also, als nach und nach die amerikanischen Wahllokale schlossen, brachte das zweite Programm des Tschechischen Fernsehens eine Sondersendung. Von ein Uhr bis acht Uhr morgens konnte man in Tschechien die Auszählungen und Ergebnisse in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten am Bildschirm verfolgen.Wegen der Zeitverschiebung zur USA konnten die ersten Zeitungskommentare erst am Donnerstag erscheinen. Nun aber ist das Resultat der US-Präsidentenwahl bekannt und wurde in allen Medien des Landes ausführlich und aus allen denkbaren Blickwinkeln beleuchtet. So schrieb etwa der Kommentator der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny, Tomas Klvana:
"Warum haben sich die Amerikaner letztlich dazu entschlossen, dem Präsidenten und seiner Partei trotz aller Vorbehalte ihr Vertrauen zu schenken? Während der zwei Jahre, in denen mit unterschiedlicher Intensität Wahlkampf geführt wurde, war dessen zentrales Thema die nationale Sicherheit. Kerry gelang es nicht, die Wähler davon zu überzeugen, dass er diese besser schützen kann als Bush. Sicherheit ist ein traditionell republikanisches Thema, und auch der Held des Vietnam-Kriegs Kerry konnte, Auge in Auge mit seinen Gegnern, die sich vor 30 Jahren dank ihrer Beziehungen vor dem Krieg gedrückt hatten, diese Tatsache nicht umdrehen. Und das, obwohl seine Kriegsrhetorik in den letzten Wochen durchaus überzeugend war."
Die Amerikaner, so der Autor weiter, entschieden sich eben doch dafür, dass sie das Kommende mehr interessiere als das Gewesene. Und in dieser Hinsicht müsse man die Kaltblütigkeit der Wähler bewundern, schreibt Klvana.
"Warum hat George W. Bush wieder triumphiert?" titelte am Donnerstag die auflagenstärkste seriöse Tageszeitung Mlada fronta Dnes. Ihr Kommentator Jan Rybar konstatiert u.a., Amerika habe eine ungeheuer ausgeglichene Wahlschlacht hinter sich, Bush habe allerdings viele Unentschlossene davon überzeugt, der richtige Mann am richtigen Ort zu sein. Nun, wie kommt diese Auffassung in Europa an? Dazu Jan Rybar:"Europa hat für so 'einfache' Haltungen geringes Verständnis. Amerikanische Anhänger von Bush schätzen an ihm vor allem das, dass er ein entschlossener Mann ist, der zu seinen Grundsätzen steht. Auch dies hat das Wahlergebnis grundlegend beeinflusst. Wenn Europa wählen würde, hätte Bush keine Chance. Denn es ist auf unserem Kontinent oft nicht einfach, seine Kompromisslosigkeit und seine 'geradlinigen' Haltungen zu verdauen."
Im Vorfeld der an diesem Wochenende in Tschechien stattfindenden Landkreiswahlen hat sich ein scharf geführter verbaler Schlagabtausch zwischen den mitregierenden Sozialdemokraten (CSSD) und den oppositionellen Bürgerdemokraten (ODS) abgespielt. Die Regionalwahlen, die nach vier Jahren nun erst zum zweiten Mal in der Geschichte Tschechiens abgehalten werden, gelten als Stimmungsbarometer für die Parlamentswahl 2006. Seinen Höhepunkt hat der brutaler gewordene Wortschatz von Politikern wohl mit der Äußerung von Petr Bendl, Vorsitzender der mittelböhmischen Landesregierung, erreicht. In Anspielung an die nationalsozialistische Gestapo bezeichnete er die von Stanislav Gross angeführten Sozialdemokraten als "Grosstapo". Der Kommentator der linksliberalen Zeitung Pravo, Jiri Franek, nahm die Präsidentenwahl in den USA zum Anlass, die politische Kultur im Überseemammutland und dem mitteleuropäischen Zwerglandland zu vergleichen. Hier ein Zitat:"Ich bin nicht der Meinung, dass Amerika uns in allem als Vorbild gelten muss. Es bietet jedoch zumindest einen aktuellen vergleich. Bei den Fernsehduellen haben sich Bush und Kerry immer korrekt begrüßt und sich zum Schluss dann auch Hände gereicht. Zweifellos liegt dem ein immer gleiches Szenario zugrunde, doch geübte Korrektheit ist besser als geübte Bosheit. In der eigentlichen Debatte hatten die beiden einander natürlich nichts geschenkt, doch so etwas wie Bushtapo war nie zu hören. Offensichtlich gehört so etwas nicht zu den amerikanischen Gepflogenheiten. Dabei geht es dort um den Thron des mächtigsten Mannes der Welt, hierzulande hingegen um ein paar Sesselchen an der Spitze von Regionalverwaltungen."