Was feiern Sie an Weihnachten? Erkundungen in Tschechien
Die Tage und Wochen vor Weihnachten sind für viele Menschen mit viel zusätzlicher Arbeit verbunden, mit der Bemühung, Weihnachten so schön wie möglich vorzubereiten. Dazu gehört, dass viele Menschen zu Hause Plätzchen backen, aber auch durch die Straßen der Stadt laufen, um Geschenke einkaufen, oder über die Weihnachtsmärkte bummeln. Für den folgenden Beitrag hat sich Oliver Engelhardt einerseits unter die Menschen gemischt und ein paar Prager bei ihren Weihnachtsbesorgungen angesprochen und befragt, wie und warum sie Weihnachten feiern. Außerdem hören sie zugleich ein Gespräch mit dem Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, Joel Ruml, über das Weihnachtsfest im Bewusstsein der Menschen in Tschechien.
"Natürlich. Ja. Ich werde feiern."
Ob jemand Weihnachten feiert, das ist eigentlich keine Frage. Hier sind sich die Tschechen einig, Weihnachten muss gefeiert werden. Kein anderes Fest ist so präsent und so populär wie das christliche Weihnachtsfest. Grund genug, dem Fest und seinem Wesen in Tschechien etwas nachzuspüren. Joel Ruml ist Synodalsenior, also theologisches Oberhaupt der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, der größten evangelischen Kirche in Tschechien. Ich habe ihn danach gefragt, worin er den Grund sieht, warum Weihnachten so beliebt ist.
Kehren wir noch einmal auf die Straße zurück und fragen ein paar Leute. Ist es tatsächlich das Feiern um des Feierns willen, das vor allem Essen und Trinken bedeutet? Ist den Menschen der Grund zum Feiern abhanden gekommen? Neben Fragen nach Weihnachtstraditionen und was den Menschen am besten gefällt, wollte ich wissen Was feiern Sie an Weihnachten? Co slavíte o Vánocích?
"Mit den Kindern zusammen vor allem die Geschenke."
"Was wir feiern? Na, den Heiligen Abend an Weihnachten."
"Wir feiern ... Ich weiß nicht, ob sie jetzt irgendwelche Traditionen hören wollen?"
"Ich werde natürlich die Geburt von Jesus Christus feiern, so wie jeder, nicht wahr?"
Offensichtlich war diese Frage etwas unerwartet. So mancher mußte erst einmal überlegen oder nachfragen, wie das denn gemeint sei. Eher verschämt erinnert sich jemand an einen religiösen Grund, ansonsten sind es die Geschenke, der Heilige Abend als Feiertag an sich oder die familiäre Atmosphäre, die gefeiert werden. Die Familie, darin sind sich dann wieder die meisten Befragten einig, ist das wichtigste an Weihnachten.
"Ich werde bei meiner Tochter sein und wir werden gemeinsam zu Abend essen. Am ersten Feiertag kommen dann die Enkel und Urenkel."
Ruhe, Frieden, die gemütliche Atmosphäre, all das nennen die Leute bei der Frage, was ihnen an Weihnachten wichtig ist. Keineswegs also das Essen und die Geschenke oder andere Traditionen. Die werden - so scheint es - eher für selbstverständlich genommen.
Rund um alle Weihnachtstraditionen und die Art, wie Weihnachten in Tschechien in der Öffentlichkeit erscheint, habe ich mit Synodalsenior Joel Ruml gesprochen. Gibt es dabei Dinge, die ihm dabei nicht gefallen?
"Ich war im Jahr 1995 in Schottland. Ende September war ich an einem Wochenende in Edinburgh, um Bekannte zu besuchen. Ich ging in ein Kaufhaus und dort wurden - Anfang Oktober! - Weihnachtslieder gespielt und da stand ein Weihnachtsbaum und ich fand das abscheulich. Langsam kommt dies zu uns und das stört mich. Diese hektischen Bemühungen. Jetzt wird wieder Weihnachten, wir müssen ... Nicht wir wollen, sondern wir müssen! Dabei geht es beim biblischen Weihnachtensfest um etwas anderes. Unser Leben hält an. Gott handelt, schickt einen Engel, der Erlöser ist für Euch geboren und nun reagiert ohne Vorbereitung! Das ist das eigentliche ursprüngliche Ereignis. Das lässt sich nicht noch einmal wiederholen, das gab es nur einmal. Aber man kann sich daran erinnern und demzufolge das eigene Weihnachtsfest etwas abspecken, etwas einfacher machen. Aber erklären Sie das mal den Monopolisten, die nur auf Ihr Geld warten."
Und wie feiern die Leute in Tschechien Weihnachten? Die Menschen, die ich auf der Straße getroffen habe, waren natürlich gerade mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, haben eingekauft oder die Weihnachtsmärkte besucht. Ich habe sie gefragt, wie die Weihnachtsfeiern bei Ihnen zu Hause ablaufen?
"Normal. Klassisch. Wie man hier eben feiert. Einfach traditionell."
Das würden wir aber gerne etwas genauer wissen. Was sind denn die tschechischen Weihnachtstraditionen? Wie feiern Sie?
"Das Abendessen am Heiligen Abend mit Karpfen und Salat. Dann stoßen wir miteinander an und es gibt Geschenke."
"zuerst schmücken wir denn Baum, dann gibt es Abendessen, dann schaltet Mama den kleinen Weihnachtsmann ein und dann gehen wir zum Weihnachtsbaum zu den Geschenken..."
"Am Heiligen Abend nachmittags laufen die Abschlussarbeiten beim Weihnachtsbaumschmuck. Aus dem Klingeln wenn das Christkind kommt, sind wir ja herausgewachsen, weil der jüngste schon 28 ist. Aber wir werden wohl beim Abendessen auf das Jahr zurückblicken. Was ist passiert und was ist uns nicht passiert. Wir packen die Geschenke aus, von denen wir zu 50 Prozent sowieso wissen, was drinnen ist."
Auch in meinem Gespräch mit Joel Ruml, dem Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, habe ich nach Weihnachtstraditionen gefragt.
"Ich gebe zu, dass mein Vater Pfarrer war, und wir hatten keinen Weihnachtsbaum zu Hause. Weil das etwas Heidnisches ist. So hat er das wirklich uns gegenüber begründet. Ich hatte damit kein Problem. Wir hatten eben keinen Baum. Ich habe mich dadurch aber nie ärmer gefühlt. Geschenke hatten wir natürlich, Kerzen, einen Karpfen auch das Tannengrün auf dem Tisch. Wir hatten einen Kranz. Keinen Adventskranz, sondern einen Weihnachtskranz, den meine Mutter gemacht hat, mit Kerzen und so weiter. Und plötzlich haben wir gemerkt, dass die Atmosphäre doch noch mehr ist als nur ein Weihnachtsbaum, Apfelschneiden, Bleigießen und was es da noch so an Bräuchen gibt."
Heidnische Traditionen, eine christliche Botschaft, der Kommerz der Moderne - viele Einflüsse, Bräuche und Moden kommen an Weihnachten zusammen und die wenigsten haben einen Überblick. Und doch ist Weihnachten mit starken Emotionen, mit Erlebnissen verbunden. Auch der Theologe Joel Ruml hat seine Vorlieben, die bei weitem nicht nur mit der biblischen Weihnachtsbotschaft, sondern mit einer besonderen weihnachtlichen Atmosphäre zusammen hängen. Anschaulich beschreibt er die Mitternachtsstimmung beim Spaziergang durch die stille verschneite Landschaft:"Diese mitternächtliche Atmosphäre: Finsternis - Stille - und dann beginnen auf einmal die Glocken zu läuten. Als Zeichen für irgendein Ereignis. Und wenn nun dazu noch das Licht kommt ist das ein Zeichen, dass vor der Kulisse der dunklen Stille Gottes Erlösung zu dämmern beginnt"
Joel Ruml gibt zu, dass man diese weihnachtliche Atmosphäre, den Kontrast von Stille und Licht in Prag nicht so schön erleben kann, wie andernorts. Stille und Dunkelheit findet man in der Großstadt kaum. Dennoch ändert das nichts am Wesen des Weihnachtsfestes. Was von der christlichen Botschaft ist für die Tschechen heute besonders wichtig?
"Der Mensch ist nicht gern allein und isoliert. Er ist nicht gern der Einsamkeit ausgesetzt, ohne Schutz. Und dann sucht er sich so seinen Weg, sucht Hilfe. Wir brauchen jemanden, auf den wir uns stützen, von dem wir wissen, dass wir zu seiner Sphäre, zu seinem Kreis gehören. Weihnachten - ich spreche natürlich von der Stillen Nacht von Bethlehem - ist so ein greifbares Zeichen, dass dies wirklich so geschehen ist: Hier ist für Euch der Erlöser geboren und wird jetzt eine zeitlang bei Euch sein, damit ihr die Art seiner Erlösung seht. Für die Tschechen, für jeden Menschen ist Weihnachten heute nichts besonderes, nichts Überraschendes. Sie sind nur die logische Fortsetzung von Gottes Sorge für uns. Und wenn dieser Mensch in der Lage ist, Gottes Erlösung in diesem Moment für sich zu fassen, dann muss er wissen, dass er nicht alle Tage allein ist, dass Gott mit ihm ist. Deswegen habe ich auch diesen Kontrast von stiller Dunkelheit und Licht betont, von Finsternis und dem Stern. Unser menschliches Leben hat oft dunkle Kulissen und wir suchen das Licht."Zum Abschluss des Gesprächs habe ich Joel Ruml um einen Weihnachtsgruß in deutscher Sprache gebeten:
"Ich muss mich ein bisschen entschuldigen, dass ich nicht gut deutsch sprechen kann, aber ich kann mich mühen, am Ende dieses Gespräches etwas zu sagen: Ich wünsche Ihnen allen wirklich gesegnete Weihnachten und Weihnachten voller Frieden und Freude und selbstverständlich wünsche ich Ihnen auch ein schönes Jahr 2005"