Chava Pressburger stellt ihr Buch "Das Tagebuch meines Bruders" vor
In der Sendereihe "Begegnungen" haben wir Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, vor zwei Wochen das Buch mit dem Titel "Das Tagebuch meines Bruders" von Chava Pressburger vorgestellt. Das Buch enthält vor allem die Tagebuchaufzeichnungen von Petr Ginz, einem aus Prag stammenden Jungen, der mit 16 Jahren im KZ Auschwitz ermordet wurde. Seine Schwester Chava Pressburger lebt in Israel. Sie entschied sich, die Tagebücher, die durch Zufall nach fast 60 Jahren nach dem Tod ihres Bruders entdeckt worden waren, herauszugeben. Für die folgende Sendereihe "Begegnungen" habe ich mit Frau Pressburger gesprochen, die in diesen Tagen zu Besuch in Prag weilt.
Petr Ginz ist vor allem dank einer seiner Zeichnungen bekannt geworden, die der israelische Astronaut Ilan Ramon vor zwei Jahren bei dem tragisch geendeten Raumflug der Raumfähre Columbia mit ins Weltall genommen hatte. Frau Chava Pressburger, die in diesen Tagen zu Besuch in Prag weilt, fragte ich zuerst nach den Beweggründen für die Veröffentlichung der Tagebücher ihres Bruders:
"Diese Tagebücher sind in Tschechisch geschrieben, mein Bruder schreibt darüber, was geschehen ist - bei uns zu Hause, in Prag, in der Schule. Ich war dafür, dass das Buch zuerst in Tschechien erscheint.
Die Tagebücher wurden per Zufall entdeckt. Wie haben Sie davon erfahren?
"In Jerusalem gibt es die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, und die Leute dort haben mich darüber informiert, dass sie eine Mail aus Prag bekommen haben. In der Mail stand, dass ein unbekannter Mann diese Tagebücher bei sich hat und dass er sie verkaufen möchte. Sie haben sich an mich gewandt, und als ich die Tagebücher sah, habe ich sofort erkannt, dass es sich um die Handschrift meines Bruders handelt. Er beschreibt dort Zwischenfälle und Dinge, die mir bekannt waren - ich war sehr außer mir."
Wussten Sie damals, dass Ihr Bruder die Tagebücher hatte?
"Nein, das wusste ich nicht. Ich konnte mich daran nicht erinnern. Denn er hat viele Sachen gemacht, von denen ich nicht gewusst habe, dass er sie gemacht hat. Ich wusste nur, dass er immer viel geschrieben, gezeichnet und gemalt hat, aber über diese Tagebücher habe ich nichts gewusst."
Worin besteht Ihrer Meinung nach die Bedeutung, der Aussagewert dieser Aufzeichnungen, vor allem für die jungen Leser? Ihr Bruder beschreibt so viele Alltagsereignisse, aber hinter der Oberfläche kann man schon spüren, in was für einem Milieu sich das alles abspielte...
"Ich meine, wenn mein Bruder seinen Alltag und das, was er in der Schule und zu Hause gemacht hat, beschrieben hat, und auch andere Sachen, die geschehen sind, z. B. dass er als Jude seine Skischuhe abgeben musste, die Mutter kein Obst kaufen durfte, dann gewinnen die Aufzeichnungen ihre Bedeutung als Zeugnis, was damals geschehen ist. Sie zeigen auch, wie ein Kind das alles durchlebt, wie sein Leben mit den gemachten Erfahrungen weitergeht. Petr spricht in einem Atemzug darüber, dass er eine gute Note in Mathematik in der Schule bekommen hat und dass er an demselben Tag aus der Tram geworfen wurde, weil er Jude war."
Haben Sie damals seine kleinen literarischen Werke gekannt? Er war ein großer Fan von Jules Verne und war selbst ein Science-Fiction-Schriftsteller, kann man sagen.
"Seine literarischen Werke habe ich gut gekannt, über die wusste ich Bescheid. Ich weiß, dass er viele Bücher vom französischen Schriftsteller Jules Verne gelesen hat und dass er von ihm sehr stark beeinflusst war. Er hat sogar einen Roman geschrieben - er selbst als Jules Verne. Es geht darin um ein Monster, ein Ungeheuer in Afrika, und es ist eine Allegorie auf Hitler."
War es damals klar, dass es eine Allegorie ist?
"Ja, ich wusste es damals, denn er hat es geschrieben, als die Persekutionen schon begonnen haben. Dieser Roman ist der einzige, der in meinen Händen geblieben ist. Er ist von meinem Bruder auch reichlich illustriert."
Die wahrscheinlich bekannteste Illustration von Ihrem Bruder ist die Mondlandschaft, die der israelische Astronaut Ilan Ramon mit ins Weltall genommen hat. Für welches Werk hat sie Ihr Bruder gezeichnet?
"Diese Mondlandschaft - vielleicht ist es ein Missverständnis, das gesagt wird, er sie in Theresienstadt gezeichnet - denn er hat sie noch zu Hause in Prag gezeichnet, als er zwölf oder dreizehn Jahre alt war. Er hat die Zeichnung nach Theresienstadt mitgenommen und dort hat man sie gefunden. Ich erinnere mich daran, dass er mir die Bedeutung erklärt hat. Er fragte mich: Weißt du, Eva, warum diese Berge auf dem Mond so spitz sind? Dies kommt von der großen Gravitation der Erde, aus dem Grund sind sie so spitz geworden. Das war seine wissenschaftliche Erklärung. Als er dann nach Theresienstadt gehen musste, hat er viele Sachen von zu Hause mitgenommen - oft auf Kosten vieler praktischer Dinge. Er hat Papier und einige seiner Romane mitgenommen und eben auch diese Zeichnung."
Viele seiner Zeichnungen werden jetzt in Yad Vashem aufbewahrt. Ihr Vater hat sie dem Museum geschenkt, oder wie kam es dazu?
"Ja, das stimmt. Als mein Vater 1956 nach Israel kam, hat er alle Sachen, die von Petr übrig geblieben sind - seine Zeichnungen sowie das, was er geschrieben hat, bis auf den Roman, der bei mir geblieben ist, und einige andere kleine Sachen - der Gedenkstätte Yad Vashem geschenkt. Es wird dort alles jetzt aufbewahrt. Bald wird ein neues großes Museum gebaut, und den Werken meines Bruders wird dort ein spezieller Platz zugewiesen."
Sie haben erwähnt, dass es auch in anderen Ländern Interesse daran gibt, die Tagebücher herauszugeben. Wie weit ist dieses Vorhaben gediehen?
"Diese Überlegungen sind noch sehr weit entfernt. Das ganze ist noch völlig neu, erst vor einigen Tagen wurde das Buch in Tschechisch herausgegeben. Wenn ich jetzt nach Hause nach Israel zurückkomme, lasse ich mir dass alles erst einmal in Ruhe durch den Kopf gehen und dann werde ich sehen, was ich zukünftig machen kann."
Frau Pressburger schreibt in ihrem Buch abschließend:
"Trotz all dem, was geschehen ist, blieb in mir der Grundgedanke bestehen, von dem Petr und ich zu Hause getragen wurden, nämlich dass die Menschheit auf dem Fundament des Guten gegründet werden soll. Auf dieser Basis soll jede Gemeinschaft oder Gesellschaft entwickelt werden. Ich glaube daran, dass die Zehn Gebote, die in der Bibel genannt sind, die Elementargesetze der Menschheit enthalten, die wichtiger als jedwede Ideologie, Nationalismus oder andere Religionsprinzipien sind."