Tschechien und die euro-atlantischen Beziehungen

Sitz des Europäischen Rates  (Foto: Autor)

Während auf der politischen Bühne Tschechiens seit Wochen die wohl schwerste Regierungskrise dieser Legislaturperiode ausgefochten wird, wird hinter den Kulissen in vielen Bereichen Business as usual gemacht - wenigstens so gut es halt geht. Das gilt vor allem für das Parkett der Außenpolitik, und erst recht dann, wenn Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika den Versuch unternehmen, ihrer zuletzt etwas holprig gewordenen Beziehung neuen Schwung zu geben. In der Debatte um eine Neugestaltung der transatlantischen Partnerschaft, die durch den Europa-Besuch von US-Präsident George W. Bush vorige Woche neue Nahrung bekommen hat, kann das EU-Mitglied Tschechien schließlich kein Zaungast bleiben. Welche Stellung aber nimmt Prag in dieser transatlantischen Achse zurzeit ein? Spielen die Begriffe "Altes" und "Neues Europa" dabei noch eine Rolle? Und wie werden diese Fragen innerhalb Tschechiens diskutiert? Hören Sie dazu den nun folgenden "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Sitz des Europäischen Rates   (Foto: Autor)
Während auf der politischen Bühne Tschechiens seit Wochen die wohl schwerste Regierungskrise dieser Legislaturperiode ausgefochten wird, wird hinter den Kulissen in vielen Bereichen Business as usual gemacht - wenigstens so gut es halt geht. Das gilt vor allem für das Parkett der Außenpolitik, und erst recht dann, wenn Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika den Versuch unternehmen, ihrer zuletzt etwas holprig gewordenen Beziehung neuen Schwung zu geben. In der Debatte um eine Neugestaltung der transatlantischen Partnerschaft, die durch den Europa-Besuch von US-Präsident George W. Bush vorige Woche neue Nahrung bekommen hat, kann das EU-Mitglied Tschechien schließlich kein Zaungast bleiben. Welche Stellung aber nimmt Prag in dieser transatlantischen Achse zurzeit ein? Spielen die Begriffe "Altes" und "Neues Europa" dabei noch eine Rolle? Und wie werden diese Fragen innerhalb Tschechiens diskutiert? Hören Sie dazu den nun folgenden "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Die Europäische Union war gerade mit der größten Erweiterung ihrer Geschichte beschäftigt, da erschütterte der Irakkrieg die Weltpolitik. Die Vorgehensweise der Bush-Administration warf neue, dringliche Fragen auf, aus den Mitglieds- und Beitrittsländern der EU kamen jedoch durchaus unterschiedliche Antworten. Es gebe eben ein Altes und ein Neues Europa, konstatierte damals US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nicht ohne Häme - eine Unterteilung, die problemlos in altbekannte rhetorische Muster zu passen schien, wie etwa: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Die Tschechische Republik war von Anfang an nicht so recht einzuordnen in dieses Weltbild. Die Amtszeit des Langzeitpräsidenten Václav Havel, der stets beste Verbindungen ins Weiße Haus hatte, war Anfang 2003 zu Ende gegangen, sein Nachfolger Václav Klaus stand dem Krieg gegen Bagdad äußerst reserviert gegenüber. Und damit hatte er ausnahmsweise einmal etwas gemeinsam mit der sozialliberalen Regierung in Prag. Die tschechische Haltung damals war: Unsere weltweit anerkannten ABC-Waffenabwehrspezialisten stehen in Kuwait bereit, einen Einsatz im Irak gibt es jedoch nur unter einer von zwei Voraussetzungen: Entweder es gibt ein UN-Mandat, oder Saddam Hussein setzt Massenvernichtungswaffen ein. Beides war nicht der Fall. Die tschechischen Soldaten beteiligten sich nicht an den Kampfhandlungen, das Land gehörte nicht zur so genannten "Koalition der Willigen", die in Washington proklamiert wurde.

George W. Bush  (Foto: CTK)
Zwei Jahre später ist der Ton in den transatlantischen Beziehungen hörbar sanfter geworden. Und damit hat sich auch der Druck auf Tschechien merklich verringert, sich entweder der einen oder der anderen Seite zuzuschlagen. Vorige Woche absolvierte George Bush die erste Europareise seiner zweiten Amtsperiode. Innerhalb eines einzigen Tages traf er sich in Brüssel nicht nur mit seinen NATO-Partnern, sondern schaute auch beim Gipfel der EU- Staats- und Regierungschefs vorbei. Tschechien wurde dort von Präsident Václav Klaus vertreten. Welchen Eindruck er vom transatlantischen Klima gewonnen hatte, das sagte er auf seiner abendlichen Pressekonferenz:

"Ich kann nur das wiederholen, was bereits auf dem Treffen der NATO mehrmals zu hören war, und dann auch auf dem Gipfel der EU: Immer wieder hat Präsident Bush gesagt, dass Europa bei der Sicherung von Prosperität und Frieden der wichtigste Partner der Vereinigten Staaten ist, und dass die USA mit Europa zusammenarbeiten wollen. Das war der Grundgedanke, der in den verschiedensten Schattierungen wiederholt wurde, und der die Haltung von Bush in dieser Frage wohl am besten zusammenfasst."

Das Entgegenkommen der Europäer sei dieser Tauwetterpolitik des Weißen Hauses gewiss, meint Klaus:

"Von unserer Seite, also vonseiten der europäischen Mitglieder dieser Debatte, kamen ganz ähnliche Äußerungen. Stellvertretend für alle anderen Stellungnahmen möchte ich die des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder nennen, der sinngemäß gesagt hat: Ein starkes Europa ist kein Gegenspieler der Vereinigten Staaten, sondern ein umso besserer Mitspieler."

Und auch Václav Klaus selbst war sichtlich bemüht, die früheren, und damit wohl auch seine eigenen Differenzen mit der US-Administration rhetorisch zurechtzustutzen:

"Ich würde die Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit nicht dämonisieren, so wie das die Medien meiner Ansicht nach getan haben. Und ebenso wenig hochspielen würde ich die Einigkeit, die heute in Brüssel zu erkennen war. Es ist hier kein Wunder geschehen, und es konnte auch keines geschehen. Aber: Präsident Bush sagte, der Mythos, dass die Vereinigten Staaten wegen gelegentlicher Differenzen die Partnerschaft mit Europa als solche gering schätzen würden, dieser Mythos müsse zerstört werden. Ich glaube, das waren klare Signale, und die Reaktionen der anderen Seite waren ähnlich."


Am Rande des Brüsseler Gipfels hat Radio Prag auch den österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel um eine Einschätzung der politischen Großwetterlage über dem Atlantik gebeten:

"Ich habe das Gefühl, dass die Europäer und die Amerikaner heute sehr einheitlich aufgetreten sind. Es gab nur wenige Risse oder Streitpunkte. Insgesamt war das ein sehr vernünftiges, fruchtbares Aufeinander-Zugehen. Und das hat Mut gemacht."

Wie sieht der Regierungschef eines schon etwas älteren EU-Landes das Konstrukt eines Alten und eines Neuen Europa? Haben solche Begriffe heute noch eine Bedeutung? Oder wäre ein Keil zwischen den EU-Staaten auf lange Sicht auch hinderlich für eine starke außenpolitische Position der USA? Wolfgang Schüssel:

Vladimir Spidla | Foto: Freddy Valverde,  Radio Prague International
"Die Union selbst ist jetzt ungefähr 50 Jahre alt, und Europa als größeres Ideenkonstrukt wahrscheinlich schon 1000 Jahre. Alt oder neu, diese Dinge spielen keine Rolle. Das war ein Wortspiel, das Donald Rumsfeld einmal gespielt hat. Jetzt hat er sich selber zu 'neuen Rumsfeld' umdefiniert. Und ich selbst hatte eigentlich nie ein Problem damit, mich als alt oder neu zu qualifizieren."

Einer, der damit ebenfalls keine Probleme hat, ist der tschechische EU-Kommissar Vladimír Spidla. In Brüssel ist er nun verantwortlich für das Ressort Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit. Doch schon während seiner Zeit als Regierungschef in Prag konnte der Sozialdemokrat die tschechische Haltung relativ gut argumentieren: Die eingangs erwähnte Regierungslinie gegenüber dem Irakkrieg war, nicht zuletzt dank der gut ausgebildeten Anti-ABC-Spezialisten, sowohl innen- als auch außenpolitisch durchaus herzeigbar. Nun, anlässlich des Besuchs von George Bush beim Brüsseler EU-Gipfel, sagte Spidla gegenüber Radio Prag:

"Ich war immer der Meinung, dass die transatlantische Achse nicht nur eine Sicherheitsachse ist. Sie ist eine zivilisatorische Achse. Ich bin ganz sicher, dass die Vereinigten Staaten ohne Europa in Zukunft marginalisiert wären, und Europa ohne die Vereinigten Staaten ebenso. Also meiner Meinung nach brauchen wir uns gegenseitig. Dabei ist die Sicherheitsachse zwar wichtig, aber es geht eben auch um diese zivilisatorische Achse, um die Fähigkeit, innovativ zu sein und die Zivilisation auch in die Zukunft zu tragen. Der Besuch von George Bush ist ein gutes Zeichen."


Zum Abschluss werfen wir nun doch noch einen Blick auf die Regierungskrise in Tschechien. Vor dem Hintergrund der Wirren in Prag war nämlich bis zuletzt nicht klar gewesen, wer eigentlich zum Brüsseler Doppel-Gipfel anreisen würde. Schließlich nahmen sowohl Premierminister Stanislav Gross als auch Präsident Václav Klaus am NATO-Treffen teil, am EU-Gipfel wurde Tschechien dann nur noch von Klaus vertreten, der allgemein als Euro-Skeptiker bekannt ist. Sorgt so etwas bei den europäischen Partnern für Kopfzerbrechen? Eher nicht, sagt der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gegenüber Radio Prag:

"Das war heute überhaupt kein Thema. Neben mir saß übrigens der tschechische Staatspräsident Václav Klaus. Wir haben uns intensiv unterhalten - aber ausschließlich über europäische und transatlantische Beziehungen. Was in den einzelnen Ländern passiert, das ist Sache des jeweiligen Staates. Wenn Sie rund um den Tisch blicken, dann finden Sie keinen Staats- oder Regierungschef, der nicht irgendein Problem zu Hause hat. Da ist eigentlich jeder heilfroh, wenn er einmal über etwas anderes reden kann."