Zierde Zebrastreifen
Ein bekanntes Problem im Prager Straßenverkehr ist Gegenstand des heutigen Radiofeuilletons von Gerald Schubert:
Schauplatz Prag: Der Fußgänger, der die Straße überqueren will, scheint oft nicht zu wissen, dass er Vorrang hat. Wenn er es weiß, dann kann er nicht davon ausgehen, dass der Autofahrer es ebenfalls weiß. Und wenn dieser es ebenfalls weiß, dann bedeutet das noch lange nicht, dass er es auch respektiert. Meist endet die Szene dann damit, dass der Fußgänger mit demütiger Selbstverständlichkeit am Straßenrand stehen bleibt und wartet, bis das stolze Auto vorbei ist. Und nach diesem das nächste, und das nächste, bis endlich der Fußgänger scheu auf die Straße treten kann, auf dieses verbotene Terrain, das ihm doch eigentlich gar nicht gehört.
Zugegeben: Manchmal macht es Spaß, den Vorkämpfer für die Rechte der Fußgänger zu spielen und keck auf die Fahrbahn zu steigen. Ungläubig wird man dann von den Wartenden bestaunt, manche schließen sich spontan an, andere bleiben lieber stehen und warten, bis die Autos weg, und sie wirklich an der Reihe sind.
Sich derart in die Rolle des Fußgängerguerilleros zu begeben kann aber gefährlich sein. Und natürlich liegt darin auch kein systematischer Lösungsansatz für das Problem, dass die Zebrastreifen in Prag meist als hübsche Verzierung des Straßenbildes wahrgenommen werden. Eine solche Lösung zu finden wäre unter anderem Aufgabe der Politiker. Was könnten diese also tun? Sie könnten sich beispielsweise um verstärkte Aufklärung kümmern, etwa durch eine Kampagne in den öffentlich-rechtlichen Medien. Sie könnten die Polizei anweisen, besonderes Augenmerk auf Zebrastreifenmissachter zu legen. Sie könnten auch den Strafrahmen für Zebrastreifenmissachtung erhöhen.
Doch noch eine Idee gibt es, einen Vorschlag, den diese Woche ein Abgeordneter des tschechischen Parlaments eingebracht hat: Fußgänger sollen durch ein neues Gesetz verpflichtet werden, Straßen künftig nur noch in Gruppen zu überqueren. "Durch das zögerliche Verhalten einzelner Fußgänger auf dem Zebrastreifen kommt es oft zu überflüssigen Todesfällen", sagte der Abgeordnete, und meint, eine "Rudelbildung" hätte einen flüssigeren und übersichtlicheren Verkehr zur Folge.Haben wir es doch geahnt: Die Fußgänger sind selbst schuld, wenn sie am Zebrastreifen überfahren werden. Diese Erkenntnis sollte nicht ohne Konsequenzen für den tschechischen Arbeitsmarkt bleiben. Rudelbildung erfordert schließlich Rudelführer, ansonsten ist nicht einzusehen, warum ein Rudel weniger unschlüssig sein sollte als ein Einzelner. Und wenn es keine offiziellen Rudelführer geben sollte, dann wenigstens inoffizielle Mehrheitsbeschaffer am Fußgängerübergang, die Gehgemeinschaften ermöglichen.
Darüber, ob Autofahrer dann überhaupt noch vor Zebrastreifen halten müssen, wird freilich noch zu diskutieren sein.