Erinnerungen an das Kriegsende
Dieses Jahr erinnert man überall in Europa an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor sechzig Jahren. Auch die Tschechische Republik bildet dabei keine Ausnahme. Im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte sind die Frühjahrsmonate des Jahres 1945 Thema - Katrin Bock unterhielt sich über diese mit Josef Skrabek, der diese Zeit als 17jähriger erlebt hat.
Das Leben des heute 77jährigen Josef Skrabek könnte als Lehrbuch der bewegten Geschichte der Böhmischen Länder im 20. Jahrhundert dienen. Als Kind einer deutschen Mutter und eines tschechischen Vaters verbringt er die ersten zehn Lebensjahre im überwiegend von Deutschen bewohnten Städtchen Valec - Waltsch in Westböhmen. Nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 flieht die Familie nach Prag. Das Kriegsende erlebt der damals 17jährige auf den Barrikaden der böhmischen Hauptstadt. Einige Wochen später wird er in seinem Heimatstädtchen Zeuge der Vertreibung der Deutschen. Nach dem Krieg besucht Josef Skrabek die Handelsakademie, 1958 wird er wegen angeblicher Verschwörung gegen den Staat zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1960 amnestiert. Jahrelang beschäftigen ihn die tschechisch-deutschen Beziehungen. Schließlich macht er sich daran, ein Buch darüber zu schreiben. Dieses enthält persönliche Erinnerungen, politologische Erwägungen, politische und wissenschaftliche Zitate. Das Buch "Vcerejsi strach - die gestrige Angst" finanziert Josef Skrabek mit der Entschädigungszahlung, die er für seine in kommunistischen Gefängnissen verbrachten Jahre erhielt. Dieses Jahr erschien bereits die zweite Auflage des Buchs, das sowohl die tschechische als auch die deutsche Seite zu verstehen versucht. Im Folgenden erzählt Josef Skrabek, wie er das Kriegsende vor 60 Jahren erlebt hat:
"1939 war ich 11 Jahre alt beim Kriegsanfang. Bei Kriegsende war ich schon 17 Jahre - das war schon eine andere Sache. Im letzten Schuljahr wurde auch schon die Schule gesperrt und ich musste in einer Fabrik arbeiten, das war sehr schwere Arbeit. Und dann im März auf einmal der Jahrgang 28 und 27 - haben die uns nach Mähren transportiert und wir mussten Schützengräben bauen und von dort aus sind wir nach Prag geflüchtet, Ende April war das."
In den Böhmischen Ländern, die man damals als Luftschutzbunker des Deutschen Reichs bezeichnete, lebten viele ausgebombte Familien aus zerstörten Städten des Reiches. Auch die Nachbarn der Familie Skrabek waren Reichsdeutsche:
"In dem Haus, in dem wir wohnten, wurde eine deutsche Familie aus Berlin einquartiert ein Jahr vor Kriegsende. Wir haben überlegt, die Leute sollten doch schon längst verschwinden von hier, das Kriegsende wird schlecht sein. Am 1. Mai früh haben wir mit meiner Mutter gesagt, dass wir zu ihnen hinmüssen und ihnen sagen müssen, dass sie fortfahren sollen. Früh sind wir hingegangen. Wir haben gesagt, Frau Kubentz, so lange die Züge noch fahren, fahren Sie doch nach Deutschland, dass sie nicht hier bleiben. Das Kriegsende wird hier schlecht sein und sie hat gesagt "Meinen Sie?" Und dann öffnete sich die Tür und Herr Kubentz kam und der hat gesagt. "Was ist das für ein Quatsch, ihr denkt doch nicht, das Deutschland den Krieg verliert." Das war am 1. Mai 1945.""Wir wohnten in Hostivar, das ist heute Prag 15. Am 5. Mai schon vormittags sind durch diese Gegend schon kleine tschechische Gruppen herumgegangen und haben gesagt, die Leute sollen sich vorbereiten, das Kriegsende wird schon bald sein und dass von Südböhmen die Schörner Armee durch Prag ziehen wird. Und die Deutschen haben ja bis zum letzten Augenblick behauptet, sie werden Prag verteidigen, von Stein zu Stein kämpfen. Die Prager wollten nicht, dass aus Prag ein Kriegsschauplatz wird - darum war auch dieser Aufstand."
Josef Skrabek erlebte den Bau der Barrikaden in Prag mit, dieser verlief nicht immer planmäßig:
"Mit einer Gruppe anderer Leute sind wir dann mit einem LKW nach Vrsovice zum Bahnhof gefahren. Dort war ein großes Munitionslager und wir sollten von dort Waffen nach Hostivar bringen. Wir sind durch verschiedene Stadtteile gefahren und dort wurden Barrikaden gebaut. Das konnte man ja nicht organisieren - damals es gab ja keine Handy oder Telefon, dass einer gesagt hätte, baut es dort oder so. Und ich weiß, an einer Stelle wurde eine Barrikade gebaut und der Hausinhaber, der hat gestritten mit denen, der hat nicht erlauben wollen, dass man es auch auf den Garten baut, auf den Vorgarten. Der hat gesagt: "Das genügt doch hier auf der Straße, also, die werden doch nicht hierher kommen."
Das Kriegsende am 8. Mai 1945 wurde von vielen Bewohnern der Böhmischen Länder gar nicht richtig registriert:
"Am 8. Mai haben wir erfahren, das war abends spät, dass die Deutschen die Kapitulation unterschrieben haben. Aber in Prag wurde weiter gekämpft. Unweit von Prag wurde ja noch am 11. Mai gekämpft. Es war nicht auf einmal alles zu Ende. Einzelne Soldaten haben noch weiter geschossen auf Zivilisten."Ende Mai 1945 kehrte Josef Skrabek in seine westböhmische Heimatstadt Valec- Waltsch bei Karlovy Vary-Karlsbad zurück. Hier erlebte er die Vertreibung seiner deutschen Nachbarn:
"Am 24. Juni war der erste Transport von Waltsch. Das war eine problematische Sache, denn es war Kirchweih in Waltsch - und an dem Tag 80 oder ich weiß nicht wie viele Waltscher wurden von ihren Häusern auf eine der drei Sammelstellen gebracht. Einige waren im Bürgermeisterhaus, einige in der Schule oder in der ehemaligen Bierbrauerei. Auf einmal sind diese tschechischen Soldaten gekommen und haben gesagt, in 20 Minuten aussiedeln und das wussten die anderen nicht, das war eine ziemlich unauffällige Sache. Aber als ich am nächsten Tag, am 25., habe ich diesen Transport gesehen. Ich habe Kirschen gepflügt und habe vom Kirschbaum heruntergeschaut und habe diesen Transport gesehen und ich habe vorher auch die Leute gesehen, die über den Ringplatz zu einer Sammelstelle gegangen sind und ich bin - ich hatte nicht den Mut zu ihnen zu gehen und mich zu verabschieden, was hätte ich sagen sollen? So bin ich verschwunden und bin ich aufs Feld gegangen."
"Heute bin ich dankbar dafür, dass ich nie auf jemanden geschossen habe. Ich habe nicht geschossen, ich bin nie in die Situation gekommen. Aber wäre ich in die Situation gekommen, hätte ich wahrscheinlich auch geschossen, dass kann ich nicht behaupten, dass ich es nicht gemacht hätte, aber es war eben eine fürchterliche Zeit und der Hass war grausam. Es wurde immer gemeldet, was die Deutschen schlecht gemacht haben, immer eskalierten diese Angst und der Hass."
Trotz allem ist Josef Skrabek zuversichtlich, was eine Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen angeht, nicht zufällig heißt sein Buch "Die gestrige Angst":
"Und wenn ich dann später gesehen habe, wie diese Menschen wieder zusammengekommen sind, die Deutschen und Tschechen, so habe ich gespürt, dass es eine Angst gab, die so vieles schlechtes verursacht hat. Und ich denke eben, dass diese Angst hoffentlich schon eine gestrige Angst ist."
Soweit Josef Skrabek und seine Erinnerungen an das Frühjahr 1945.