Hrabyne - Schauplatz einer der härtesten Schlachten des Zweiten Weltkrieges auf tschechischem Gebiet

Gedenkstätte in Hrabyne (Foto: Stepan Cernousek)
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In der letzten Folge unseres Regionaljournals haben wir einen historischen Exkurs in die Region Südostmährens, rund um die Stadt Uhersky Brod unternommen, wo sich vor 60 Jahren, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, schwere Kämpfe abspielten, nachdem die Sowjetarmee, aus dem Osten kommend, im April 1945 die nahe mährisch-slowakische Grenze überschritten hatte. Im Zeichen desselben Jubiläums steht auch die neue Ausgabe des Regionaljournals, in der diesmal Jitka Mladkova und Gerald Schubert Ihr Augenmerk auf das damalige Geschehen in Nordmähren richten wollen. Eine Station machen Sie in Hrabyne, das zu jenen Orten der Region gehört, in denen eine der schwersten Schlachten des Zweiten Weltkrieges auf dem Boden der ehemaligen Tschechoslowakei tobte. An die Kämpfe und die zahlreichen Todesopfer erinnert hier eine Gedenkstätte.

Gedenkstätte in Hrabyne  (Foto: Stepan Cernousek)
"Der Sturmwind des Zweiten Weltkrieges fegte im April 1945 über Schlesien hinweg und hinterließ hier Schutt und Asche. Auch in Hrabyne machte sich Vernichtung breit. Die Gemeinde wurde zu 90 Prozent zerstört, weil die Hölle der Kriegsfront ganze 13 Tage dauerte. Beinahe zwei Wochen lang wurde in schweren Gefechten um Hrabyne gekämpft. 13 Tage lang, als der Krieg über ihren Köpfen wütete, blieben die Anwohner vor Ort und verließen nicht ihr Zuhause. Sie lebten in den Kellern ihrer Häuser, litten unter Hunger und Durst, während der Krieg ihr geliebtes Hrabyne in einen Trümmerhaufen verwandelte. Die Häuser stürzten ein, das ganze Dorf stand in Flammen."

Petr Jordan - Chronist von Hrabyne  (Foto: Stepan Cernousek)
Mit diesen Worten hat seinerzeit der Chronist von Hrabyne das dramatische Kriegsgeschehen in und um die Gemeinde beschrieben. Sein Pathos ist nur vermeintlich, denn die Wirklichkeit hat offensichtlich jede Vorstellung übertroffen. In Hrabyne, das in der Mitte des heftig umkämpften Gebietes zwischen dem schlesischen Opava/Tropau und dem nordmährischen Ostrava/Ostrau lag, war zwei Wochen lang die Hölle auf Erden präsent.

Foto: Stepan Cernousek
Zu dem Zeitpunkt war es noch nicht lange her, dass das Leben in dieser Region ein multikulturelles Geflecht darstellte. Hier koexistierten Jahrhunderte lang die tschechische, die deutsche, die polnische und auch die slowakische Kultur, wobei auch mal die eine oder die andere die Oberhand gewann. Hrabyne, das heute rund 1 200 Einwohner hat, ist nicht etwa durch besondere kunsthistorische Werte zum Begriff der Regionalgeschichte geworden. Durch seine Lage jedoch, nämlich auf einem Hügel inmitten eines umliegenden Plateaus, war es aus kriegsstrategischer Sicht seit jeher als günstiger Punkt für einen Verteidigungs- bzw. Angriffskampf vorbestimmt. So war es auch während der insgesamt 57 Tage andauernden Kriegsoperation, bei der die Städte Opava und Ostrava im April 1945 befreit wurden, und die auch unter dem Namen der beiden Städte in die Geschichte eingegangen war. Bei den Kampfhandlungen standen sich Truppenverbände gegenüber, die von Anfang an über enorme Stärke verfügten und etappenweise auch beiderseits der Kampflinie aufgestockt wurden. Der ursprüngliche Plan der aus Polen nach Nordmähren vorstoßenden 4. Ukrainischen Armee, dieses Gebiet in kurzer Zeit von den deutschen Besatzern zu befreien, zeigte sich als unrealistisch. Warum? Das erläutert für Radio Prag die Historikerin und Leiterin der Gedenkstätte des Zweiten Weltkrieges in Hrabyne, Jana Horakova:

Leiterin der Gedenkstätte des Zweiten Weltkrieges in Hrabyne,  Jana Horakova  (Foto: Stepan Cernousek)
"Der Feind baute hier bereits seit Januar 1945 ein Fünf-Zonen-Verteidigungssystem auf. Es wurden Tausende junge Menschen aus dem damaligen Protektorat Böhmen und Mähren einberufen, um sich am Aufbau von Schützengräben, Bunkern und Panzersperren zu beteiligen. Es waren meistens sehr junge Männer aus Böhmen und Südmähren, nicht jedoch aus Nordmähren. Das war kein Zufall. Man holte sich für diese Zwecke Menschen, die nicht in der Region zu Hause waren, um möglichen Sabotageakten vorzubeugen. Diese waren zwar nicht ganz zu verhindern, doch der Feind verfügte über ein äußerst strenges System entsprechender Zwangsmaßnahmen."

Foto: Stepan Cernousek
Anfangs gelang es den Sowjeteinheiten, etwa einen bis zwei Kilometer pro Tag vorwärts zu kommen, etwa 10 Kilometer in einer Woche. Dann aber stießen sie auf die hartnäckige Verteidigung des Gegners und mussten den Angriff einstellen. Eine ganze Woche lang wurden die Heerestruppen der Sowjets neu umgruppiert, und auch die geplante Kampfstrategie hat sich verändert. Als Oberbefehlshaber der 4. Ukrainischen Armee wurde General Petrov durch General Jeremenko abgelöst. Er entschied, die schlesische Stadt Opava an einer 100 Kilometer langen Linie zu umzingeln und von hier aus Richtung Ostrava zum Angriff aufzubrechen. Und warum war Ostrava so wichtig? Jana Horakova:

Foto: Stepan Cernousek
"Im März 1945 waren in Ostrava 35 Prozent der gesamten Industrieproduktion Deutschlands konzentriert. In Deutschland selbst waren zu dem Zeitpunkt alle Industriezentren schon von den westlichen Verbündeten besetzt, und Ostrava galt tatsächlich als die einzige Stadt, in der die Schwerindustrie, also Kohlegruben und Hüttenwerke, noch für die Waffenproduktion verwendet werden konnte. Im März 1945 kam Hitler sogar persönlich nach Ostrava und erließ anschließend den Befehl, die Positionen in Ostrava um jeden Preis zu halten."

Der zweiten Kampfphase vom 24. März - 5. April folgte noch eine dritte, in der um jeden Ort, jedes Dorf, jede Stadt der Region einzeln Kämpfe ausgefochten werden mussten. In der Nacht von 29. auf 30. April wurde dann Ostrava befreit - etwa 1000 Sowjetsoldaten sind dabei gefallen. Allein in Hrabyne waren es 283, die höchste Zahl der Todesopfer im Laufe der Befreiungskämpfe im Rahmen der ganzen mährisch-schlesischen Kampfoperation.

Stanislav Exner  (Foto: Stepan Cernousek)
Während der Kämpfe haben die die deutschen Truppen einen Teil der Häuser mit Phosphor bespritzt und angezündet, um sich in der Dunkelheit Licht zu verschaffen. Das Haus der Familie Exner gehörte dazu. Was weiter geschah, schildert der 70jährige Stanislav Exner:

"Ich habe es als Kind erlebt. Wir liefen aus unserem Keller ins Dorfzentrum. An der Schule schrieen deutsche Soldaten "Halt!" und kaum überquerten wir hier die Straße, schon schrieen wiederum die Russen dasselbe auf Russisch - "Stoj!" Die Frontlinie verlief direkt durch unsere Gemeinde, doch auf Kinder hat man nicht geschossen."

Hrabyne im Jahre 1945
Vom Hörensagen weiß Herr Exner, dass deutsche Soldaten eine günstige Position oben im Kirchenturm eingenommen haben, um sozusagen aus der Vogelperspektive auf Russen zielen zu können. Bei Bombenangriffen auf Ostrava wurde in Hrabyne Alarm geschlagen. Anstatt aus der Schule nach Hause zu gehen, lagen die Buben in einem Feld und beobachteten die Flugzeuge in der Ferne. Bei einer Luftschlacht über Opava wurde eine deutsche Messerschmitt - Maschine abgeschossen, die dann in den nahen Wald abstürzte. Herr Exner erinnert sich auch an menschliche Momente mancher Begegnung:

"Den Piloten brachten deutsche Soldaten zu uns nach Hause. Das war noch vor den schweren Kämpfen in Hrabyne. Der verletzte Pilot lag in unserem Kinderzimmer, angezogen in seinem Overall, eine Woche lang. Er hatte auch seinen eigenen Koch und der kochte gemeinsam mit meiner Mutter am Küchenherd. Für uns Kinder war das gut, denn der Koch hat uns hie und da auch etwas beiseite gereicht, mal eine Orange, mal Schokolade oder eine Banane, und das waren für uns lauter Kostbarkeiten."

Stanislav Exner kann sich noch an eine besonders spannende Episode seiner Kriegskindheit erinnern.

Chronik von Hrabyne  (Foto: Stepan Cernousek)
"Mein älterer Bruder war 13, ich zehn und der jüngere Bruder fünf. Es herrschte gerade Ruhe. Alle drei flohen wir aus dem Keller, um uns einen Panzer aus der Nähe anzuschauen. Da machte jemand das Licht an, wir erschraken und rannten weg. Den Kleinen ließen wir aber dort. Da kam ein deutscher Soldat zu uns und brachte den Bruder mit der Erklärung, der Kleine trampelte auf dem Panzer. Mein Bruder und ich kriegten dann ein paar Ohrfeigen von unserem Vater."

Krieg als Abenteuer? Natürlich nicht für die Hauptakteure inmitten des Waffenfeuers. In der letzten Phase der Befreiungskämpfe standen sich auf dem Schlachtfeld 31 sowjetische und 11 deutsche Divisionen mit unterschiedlichen Zahlen von Angehörigen gegenüber. Darüber hinaus waren auf der russischen Seite 3000 bis 6000 Kanonen, auf der deutschen 1500 - 2000 im Einsatz. Die Zahl der Panzer erreichte auf beiden Seiten 300, außerdem waren 416 sowjetische und 120-280 deutsche Flugzeuge im Einsatz. Die Kampfoperation endete mit der Befreiung von Ostrava am 30.April 1945. Vor Ostrava wurden weitere 16 Städte und über 600 Dörfer von den Hitlertruppen befreit, unter ihnen Hrabyne.