Werner Nowak: Ludvík nahm ich anstelle meines ermordeten Bruders an

Werner Nowak (Foto: Autorin)
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In unserer Miniserie anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes bringen wir heute die Erinnerungen von Werner Nowak. Dr. Nowak, ist heute Präsident der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft, er ist deutsch-tschechisch in Prag aufgewachsen. Er war 13, als der Krieg zu Ende ging:

Werner Nowak  (Foto: Autorin)
"Jetzt im Mai habe ich ganz tiefe Erinnerungen an diese Zeit vor 60 Jahren, als ich noch hier in Prag gewohnt habe und als wir meine Mutter, mein Bruder und ich dann am 7. Mai abgeholt wurden - angeblich zu einem Verhör - und nie wieder unsere Wohnung, unsere Heimat wieder gesehen haben. In der gleichen Nacht vom 7. auf 8. Mai mussten wir in Prag-Sedlec, wo wir gewohnt haben, an der Kreuzung nach Suchdol lebende Panzersperre stehen. Gegen Morgen, als es sich abzeichnete, dass keine Kampfhandlungen bei uns stattfinden und dass die deutschen Truppen entweder nicht oder auf einem anderen Weg nach Westen ziehen, dann ging es richtig los. Dann hat man meinen Bruder ausgewählt, sie haben ihn misshandelt, bis er zu Boden fiel und als er sich aufrichtete, dann gab es einige Feuerstöße aus der Maschinenpistole, und mein Bruder brach zusammen und blieb liegen. Wir wissen auch nicht, wo er beerdigt ist und das mussten wir - meine Mutter und ich - damals in der Nacht alles ansehen."

Werner Nowak ist mit seiner Mutter nach einem langen Weg im Frühjahr 1946 nach Stuttgart gekommen, wo er sich niederließ. Am Anfang wollte er mit Tschechisch nichts zu tun haben, erst 1968 sollte sich seine Einstellung ändern:

"Obwohl ich deutsch-tschechisch aufgewachsen bin und in Prag tschechische Freunde hatte und mir die tschechische Sprache wie die zweite Muttersprache vertraut war, hatte ich dann nach der Vertreibung einen derartigen Hass. Das war mehr oder weniger auch ein Schock. Ich konnte die Sprache einfach nicht mehr hören, denn das, was wir zuletzt hörten, waren ja nur Schimpfworte.

Ich kam dann viel später beruflich in diese Situation: Ich bin als Jurist beim Innenministerium in Stuttgart gelandet, und zwar habe ich mich in die Abteilung gemeldet, wo Flüchtlinge und auch politische Flüchtlinge betreut wurden. Ich kam dort 1968 mit einer Familie in Kontakt, die aus Pilsen kam. Das war Professor Císar -ein hoch intelligenter, feiner, sensibler Mensch. Er saß unter den Kommunisten im Gefängnis - wegen seiner christlichen Überzeugung. Dem konnte ich helfen, dass die Familie wieder Fuß fassen konnte, Wohnung bekam, er bekam eine Anstellung als Physiklehrer in einem Gymnasium in Stuttgart. Und aus dieser Bekanntschaft wurde dann eine Freundschaft, und als er erfuhr, welches Schicksal ich hatte - nämlich, dass ich einen Bruder verloren habe durch den tschechischen Aufstand - erzählte er mir dann, dass er auch seinen älteren Bruder verloren hatte, der einer der Anführer dieser Studentenrevolte von 1939 war, als die Studenten gegen die deutsche Protektoratserrichtung protestiert haben und wo dann sehr viele Studenten verhaftet und die tschechischen Hochschulen geschlossen wurden. Diesen Bruder verlor er in einem deutschen Zuchthaus. Er beendete diese Erzählung und sagte zu mir: ´Werner, ich biete dir an, dass du jetzt die Stelle meines verstorbenen Bruders einnimmst und ich wäre dir dankbar, wenn du meine Person als deinen Bruder anstelle deines ermordeten Bruders annehmen würdest.´ Das war ein solches Erlebnis! Und das war der Durchbruch, da habe ich wirklich etwas erlebt, was man mit Worten gar nicht beschreiben kann. Mit einem Schlag war mir klar, so wie ich vorher der tschechischen Seite gegenüber eingestellt war, so kann es ja nicht sein. Denn es gibt ja auch andere Menschen, es gibt Ludvík Císar - meinen Ersatzbruder! Von dem Augenblick an habe ich mich dann für die Verständigung voll eingesetzt."