Werkbundsiedlung Baba in Prag
Die Europäische Kommission hat am 31. März ihre Europäische Kulturerbe-Siegel verliehen. Zu den ausgezeichneten Baudenkmälern gehört auch die Siedlung Baba, ein Villenkomplex in der tschechischen Hauptstadt.
Dachterrassen und Ausblicke auf Prag
Baba wurde 1932 als eine Musterhaussiedlung im Prager Stadtteil Dejvice eröffnet. Es handelt sich um einen Komplex von 33 funktionalistischen Einfamilienhäusern. Unter den sechs genannten Werkbundsiedlungen ist sie die einzige ohne Wohnblöcke, sie besteht ausschließlich aus Villen. Als Bauland bot sich ein nördlich von Prag gelegener Südhang an. Mit einem Gefälle von zirka 20 Prozent zur Moldau hin liegt die Stadt Prag der Siedlung praktisch zu Füßen. Dies wurde zu einem der Hauptkriterien in der städtebaulichen Anlage.Charakteristisch sind die Dachterrassen und Fensterbänder, die herrliche Ausblicke auf Prag bieten. Die Kunsthistorikerin Kateřina Racková findet die Siedlung in jeder Jahreszeit schön, wie sie gegenüber dem Kultursender Vltava des Tschechischen Rundfunks sagte:
„Im Frühling, wenn hier die Bäume blühen und Blätter bekommen, wenn alles grün und erneuert wird, ist es ein tolles Erlebnis, hier zu sein. Der größte Vorteil ergibt sich aber erst im Winter, wenn das Laub bereits herrunter ist. Die Bäume sind mittlerweile sehr hoch, nicht so wie einst. Im Winter sind daher Ausblicke möglich, die es im Frühling und Sommer nicht gibt.“
Jede der 33 Villen steht an einer erhöhten Stelle und bietet einen einzigartigen Blick auf die Stadt. Diesen können aber auch die Passanten genießen, konkret von der Straße Nad Paťankou im unteren Teil der Siedlung aus. Und das, obwohl die Straße von einer Hecke gesäumt ist:„Manchmal sind die Hecken geschnitten, manchmal nicht. Nach den Idealen des tschechischen Werkbund-Architekten Otakar Fierlinger sollten die Hecken geschnitten werden, damit man aus den Villen hinausblicken kann. Dieses Anliegen wurde auch durch die Rahmenplanung von Architekt Pavel Janák unterstützt. Er schlug eine Bebauung in schachbrettartiger Weise vor. Die Villen am Hang sind so angelegt, dass sie den Ausblick aus den anderen Häusern nicht verdecken.“
Architekt Pavel Janák
Der Architekt Pavel Janák hat nicht nur für die Rahmenplanung gesorgt, sondern auch selbst einige der Villen entworfen. In der Straße Nad Paťankou steht sein eigenes Haus mit seinem Atelier. Kateřina Racková:„Oben hinter dem vierteiligen Fenster befand sich Janáks Atelier. Für diese Villa wurden gleich mehrere Projekte ausgearbeitet. Interessant ist, dass Janák sich für die minimalistischste Variante entschieden hat. Im Gespräch war auch eine Doppel-Villa, also zwei vereinigte Häuser. Schließlich wählte er ein minimalistisches Prisma.“
Kateřina Racková beschreibt den Aufbau folgendermaßen:
„In der Mitte der Villa gibt es eine Wendeltreppe. Unten befanden sich die Wohnräume, die die ganze Familie teilte, das heißt ein Wohnzimmer, eine kleine Küche und ein Speisesaal. Sie waren in einem offenen Raum vereint. Der Speiseraum liegt einen halben Meter höher als das Wohnzimmer. In der oberen Etage befanden sich mehrere Schlafzimmer und das Gästezimmer. Im Halbsouterrain waren die Autos geparkt. In einigen anderen Villen gab es dort auch ein Zimmer für das Dienstmädchen beziehungsweise für den Hausmeister. Dieser arbeitete häufig auch als Chauffeur, vorrangig kümmerte er sich aber um den Garten und die Heizung. In der Siedlung stehen noch drei weitere Villen von Pavel Janák, die leicht zu erkennen sind. Zwei Häuser haben grüne und eines hat gelbe Fensterläden.“
Pavel Janák war einer von mehreren hervorragenden Architekten, die sich am Bau der Kolonie Baba beteiligt haben. Dazu gehörten Josef Gočár, Hana Kučerová-Záveská, Oldřich Starý und František Zelenka. In der Straße Na Babě steht die Villa Palička. Sie ist das einzige Haus, das von einem ausländischen Architekten entworfen wurde:„Die Villa wurde für Herrn Palička errichtet, der eine Baufirma besaß, und für seine Frau, die Textilkünstlerin Emilie Paličková. Sie haben sich 1927 die Werkbund-Ausstellung in Stuttgart angesehen. Als sie zurückkehrten und erfuhren, dass auch in Prag eine vergleichbare Siedlung gebaut werden soll, kauften sie dort gleich ein Grundstück. Auf ihren Wunsch hin wurde die Villa vom niederländischen Architekten Mart Stam entworfen, den sie in Stuttgart getroffen hatten. Stam errichtete die Villa auf Pfählen. Das ist zwar eine schöne Lösung, aber nicht gerade praktisch. In den kalten Wintern kühlte die Villa von unten aus, der Wärmeverlust war relativ groß. Das mittlere Stockwerk ist zu einer Seite geöffnet, eigentlich handelt es sich um eine bedachte Terrasse. Der Wohnraum erstreckt sich also nur über das Erdgeschoss. Ganz oben befinden sich Zimmer, die an Kajüten erinnern und durch eine kleine Terrasse mit einem Geländer miteinander verknüpft sind. Der eigentliche Wohnraum ist aber relativ klein. Oben gibt es drei bis vier Zimmer, unten eine Küche, ein Wohnzimmer und einen Speiseraum, zudem die bedachte Terrasse. Und auch der Garten ist nicht besonders groß.“
33 Familienhäuser
Das größte Haus der Siedlung ist die Villa Suk. Sie wurde von Hana Kučerová-Záveská entworfen und steht in der Straße Na Ostrohu. Eine der kleinsten Villen befindet sich hingegen in der Straße Na Babě:„Diese wohl kleinste Villa hat aber ein großartiges Konzept. Sie erinnert gewissermaßen an einen kleinen Dampfer. An der Fassade finden sich nautische Elemente. Das Haus wurde vom Architekt Ladislav Žák gebaut. Er hat noch zwei weitere Häuser für die Siedlung entworfen, die später leider umgebaut wurden. Nur diese Villa hat ihr ursprüngliches Aussehen behalten. Und zwar mit Details wie etwa den roten Rändern an den Fensterläden. Im Interieur befinden sich bis heute die Originalmöbel von Žák. Das Haus wurde für Karel Herain errichtet, der später in Prag das Kunsthistorische Museum leitete.“
Bis heute sind dort auch Details erhalten wie etwa eine Durchreiche zwischen Küche und Speisesaal. Kateřina Racková erzählt weiter:„Über eine Leiter kommt man aufs Dach. Früher hat hier Herr Zachoval gewohnt, der leider nicht mehr am Leben ist. Er erzählte, dass sein Vater samstags und sonntags nach oben kletterte, dort einen Klappstuhl aufstellte und sich in Ruhe das Fußballspiel im Stadion Juliska anschaute.“
Die Kunsthistorikerin empfiehlt aber nicht nur für Fans der modernen Architektur einen Spaziergang durch die Werkbundsiedlung Baba:
„Sie ist ein interessantes Beispiel einer einzigartigen Villen-Siedlung, die in den 1930er Jahren entstanden ist. Sie bietet einen Einblick in das Leben in der Tschechoslowakei zwischen den Kriegen. Damals stand Baba für eine sehr moderne Art des Wohnens. Die Villen bedeuteten einen außerordentlichen Komfort. Ich glaube, dass die Hausbesitzer wirklich gerne hier gewohnt haben.“
Die Werkbundsiedlung Baba steht seit 1993 unter städtebaulichem Denkmalschutz. Aktuell hat der Stadtrat in Prag eine Studie in Auftrag gegeben. In ihrem Rahmen wird ein Konzept ausgearbeitet, um die Villen vor unangemessenen Umbauten zu schützen.