Metternichs Rotstift in der Literatur
Österreichs Außenminister Klemens Wenzel Metternich (1773-1859) war einer der bedeutendsten Staatsmänner seiner Zeit. Vor allem auf dem Wiener Kongress (1814/15) spielte er eine tragende Rolle. Das Treffen in der Hauptstadt leitete eine Epoche der Restauration ein. Metternich hat aber auch das literarische Leben seiner Zeit mitbestimmt. Er wird gleichgesetzt mit der damaligen Zensur. Daher haben viele Literaten ihn kritisiert. Der österreichische Germanist Wynfrid Kriegleder befasst sich mit dem Thema. Am Mittwoch hat er dazu einen Vortrag im Österreichischen Kulturforum in Prag gehalten.
„Das liegt zum Teil schon an den Zeitgenossen. Die meisten Zeitgenossen Metternichs haben sich entweder nationalistisch definiert, oder sie haben sich als liberal und demokratisch verstanden. Und Metternich war natürlich ein Gegner von jedem Nationalismus und von jeder demokratischen Bestrebung, weil er das eigentlich gleichgesetzt hat. Im Nachhinein erhielt Metternich deshalb ein schlechtes Bild, weil die Demokraten und die Nationalisten gesiegt haben. Das ganze 19. Jahrhundert ist von der Idee bestimmt, dass Demokratie und Nationalismus die Zukunft seien. Deshalb gilt Metternich als ein Mann der Vergangenheit, der eine schlechte Ordnung vertreten hat.“
Hat Metternich wirklich persönlich in die Herausgabe von Literatur eingegriffen und sie beeinflusst?
„Es gibt einige wenige Beispiele, die ich als Literaturhistoriker kenne, bei denen Metternich als Person eingegriffen hat. Im Allgemeinen hat er sich damit aber nicht beschäftigt, weil sein Gebiet die Außenpolitik gewesen ist. Für die Zensur war die Polizei zuständig. Aber wir können sagen, dass das System Metternich nicht ihn als Person meint, sondern die ganze politische Ordnung.“
Das heißt, der Name Metternich ist zu einem Symbol geworden?„Ja, Metternich ist zur Symbolfigur für das ganze System geworden, das System, das viel größer war als er. Typisch war dann auch, dass 1848 die Revolutionäre in Wien zunächst den Rücktritt Metternichs forderten. Das war eine symbolische Sache, damit war das System noch nicht zu Ende. Aber als Metternich zurücktrat, haben alle gejubelt und sich gefreut.“
Sie haben den Schriftsteller Charles Sealsfield (oder auch Carl Postl) erwähnt, der unter anderem in seinem Österreich-Reisebuch „Austria as it is“ Metternich kritisiert hat. Der Schriftsteller stammte aus Südmähren, lebte Jahre lang in Prag, aber reiste später in die USA. Worin ist sein Schicksal einzigartig?
„Sealsfield war als Student und als Priester lange in Prag. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er dort auch Kontakt zu der liberalen josefinischen Aristokratie hatte. Wir denken, dass Sealsfield den Liberalismus bei seiner Flucht in die USA mitgenommen hat. Er glaubte, dass in politischer Hinsicht die Zukunft in den USA liegt. Da er als Schriftsteller in Amerika keinen Erfolg haben konnte, ist er nach Europa zurückgekehrt. Es mag aber auch damit zusammenhängen, dass Sealsfield in den USA nach einer landwirtschaftlichen Idylle gesucht hat. Er hat gesehen, dass sich die Welt auch in Amerika ändert. Er wollte nicht wahrhaben, dass sich diese ländliche Welt hin zu einer großstädtischen wandelt, wo Industrialisierung und Finanzkapitalismus immer wichtiger werden. Das mag der Grund sein, dass er am Ende seines Lebens sehr skeptisch gegenüber den USA gewesen ist.“Im Literaturunterricht wird Charles Sealsfield hierzulande kaum erwähnt. In seinem Geburtsort Popice / Poppitz in Südmähren wird zwar an ihn erinnert, aber sonst wurde er fast vollkommen vergessen. Wie ist es in Österreich?
„Sealsfield hat das Problem, dass sich keine Nationalliteratur für ihn zuständig fühlt. Im 19. Jahrhundert haben wir begonnen, Literatur unter nationalen Gesichtspunkten zu betrachten. Die tschechische Literatur interessiert sich nur für Schriftsteller, die in tschechischer Sprache schreiben, die ungarische für die ungarisch schreibenden Autoren. In der österreichischen Literaturgeschichte hat man sich immer als Teil des deutschsprachigen Raums gesehen und für Texte interessiert, die in deutscher Sprache geschrieben werden. Und jetzt haben wir den Charles Sealsfield, der aus Böhmen kommt und einiges auf Englisch und einiges auf Deutsch geschrieben hat. Er hat gesagt aber, er sei Amerikaner. Wo geben wir ihn hin in der Literaturgeschichte? Wir müssen endlich von dem nationalen Modell der Literaturgeschichte wegkommen.“