Mähren, dreh dich und sing!
Das Internationale Folklorefestival in Strážnice ist viel mehr als nur eine Trachtenschau. Eigentlich zeigt es die Seele einer ganzen Region.
Doch nicht nur auf dem weitläufigen Schlossgelände von Strážnice wurde vorvergangenes Wochenende laut gesungen, sondern auch im Büro von Martin Šimša. Er leitet das Institut für Volkskultur in Brno / Brünn, ist Hauptorganisator des Festivals und selbst begnadeter Sänger. Früher soll am Ufer des Baťa-Kanals aber noch viel mehr los gewesen sein:
„Die Besucherzahl war früher sehr hoch. Zehntausende, ja bisweilen auch Hunderttausend Menschen sind nach Strážnice gekommen. Heute kann ich mir das nicht mehr vorstellen, aber die Amphitheater waren damals riesig. Es waren Holzbauten, die jedes Jahr ein wenig erneuert wurden. Man ist damals auf Motorrädern hierher gefahren, also gab es auch große Parkplätze. Geschlafen wurde im Zelt irgendwo auf den Feldern in der Umgebung, wenn man sich denn überhaupt hingelegt hat. In Strážnice wird nämlich nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht getanzt und gesungen.“
Wie viele Folkloregruppen tatsächlich auf dem Schlossgelände in Strážnice auftreten, weiß nicht einmal der Organisator. Manchmal würden auch kleine Gruppen aus den umliegenden Dörfern kommen, ihre Instrumente auspacken und einfach zum Spaß aufspielen, so Šimša. Das sei aber gerade das Schöne an Strážnice und Mähren, denn hier lebe die Folklore noch wirklich:„Unsere größte Leistung in den vergangenen 20 Jahren ist, dass wir das Festival am Leben halten konnten, vor allem für die jungen Leute. Das finde ich sehr wichtig, denn in den 1990er Jahren gab es die Befürchtung, dass mit dem Rückzug der bis dahin aktiven Tänzer auch unser Publikum nach und nach verschwinden würde. Doch genau das Gegenteil ist heute der Fall. Der Nachwuchs kann hier alles auf eigene Faust erleben und genießen. Es ist nichts Künstliches oder Elektronisches, sondern ein unmittelbares Erlebnis von Tanz und Gesang.“
Das Festival ist ein Spiegelbild der Kultur Mährens und der angrenzenden Gebiete in der Slowakei. Eigentlich würden auch die Weinviertler zu dieser Familie gehören, meint Martin Šimša. Aber nur eigentlich:
„Vor 20 Jahren wollten wir hier eine Sektion aus dem Marchfeld haben. Das ist eine Region, die Teile Mährens und des Weinviertels umfasst und in der seit Generationen Mährer, Österreicher und Kroaten leben. Es hat uns viel Kraft und Überredungskunst gekostet, hier tatsächlich irgendwelche Landler-Tänzer herzubekommen. Von Anfang an haben die aber gesagt, dass wir doch lieber irgendwelche Vereine aus dem Alpenraum nehmen sollten, da dies die echte österreichische Kultur repräsentieren würde. Man erachtet die Marchfelder Kultur einfach als Randerscheinung.“
Folklore lebt vor allem im Osten und Übersee
Dass man vor allem im Westen Probleme hat, Folkloregruppen für das Festival in Strážnice zu begeistern, das weiß auch Markéta Lukešová. Sie ist beim Festival sowie beim Institut für Volkskultur für internationale Beziehungen zuständig und holt die Folkloreklubs aus dem Ausland nach Strážnice:„In Westeuropa geht der Trend leider in eine ganz andere Richtung als hier. Kürzlich erst war ich auf einem Treffen in Luxemburg. Dort gibt es nur zwei Folkloregruppen, und der Altersdurchschnitt dort ist sehr hoch.“
Strážnice war schon immer eine Brücke Mährens in ferne Länder, es ist so etwas wie eine Insel der Exotik im Südosten Tschechiens. Seit den späten 1950er Jahren kommen Folkloregruppen aus aller Welt in den kleinen Ort und präsentieren die Traditionen ihres Landes. Laut Markéta Lukešová kann das auch ganz schön bunt werden:
„Was das bisher Exotischste war, ist schwer zu sagen. Wir hatten hier schon Vereine von nahezu allen Kontinenten. Die afrikanischen Ensembles zum Beispiel waren sehr naturalistisch. Sie haben auf der Bühne Bräuche und Rituale vorgeführt, die für uns sehr ungewohnt sind. Für unsere Besucher gilt aber: Je exotischer die Gruppe ist, desto zufriedener ist man.“
Wie bekommt man aber eine Gruppe beispielsweise aus dem Kongo in die mährische Provinz. Gute Netzwerke seien alles, meint Markéta Lukešová:„Unser Festival hier ist Teil des sogenannten Cioff-Netwerks. Das ist ein Verband, der die Schirmherrschaft über Folklorefestivals in der ganzen Welt hat. Ich persönlich bin die Cioff-Delegierte für Tschechien und fahre zu den jeweils zwei Jahrestreffen, die gerne auch in den entlegensten Winkeln der Erde stattfinden. Dort bemühe ich mich um eigene Kontakte, denn das ist viel wirksamer als ein Networking beispielsweise übers Internet.“
Am weitesten hatten es in diesem Jahr Vereine aus Indonesien, China und Mexiko nach Strážnice. Man hat jedoch genauso eine Truppe aus der unmittelbaren Nähe eingeladen, nämlich aus Ungarn. Wer aber die Bühne richtig zum Glühen brachte an dem Festivalwochenende, das waren junge Kuban-Kosaken aus Russland, und zwar mit Säbeltanz und Kasatschok. Auch Ilija Tschepajew steht mit seiner Fellmütze und seinen Reiterhosen auf den Brettern, für den Gymnasiasten ist es eine Premiere im Ausland:
„Wir sind hierhergekommen, um unsere Kultur und unsere Bräuche im Ausland zu zeigen. Bei uns lebt das alles, wir geben unsere Traditionen tatsächlich von Generation zu Generation weiter.“Gaumenfreuden mit Tradition
Zurück aber nach Mähren: Folklore ist nicht nur was für die Augen, Ohren und Beine, sondern geht auch richtig durch den Magen. Ein Teil des Festivals in Strážnice ist der sogenannte „Markt der Geschmäcker und Düfte“, dort präsentieren echte mährische Großmütter ihre Koch- und Back-Künste. Eine von ihnen ist Frau Anička, sie brät an ihrem Stand sogenannte Baleše:
„Das ist ein ganz einfaches Freitagsessen, meist gibt es dazu Bohnensuppe. Bestrichen sind die Baleše mit Powidl und Mohn. Die Zubereitung ist ganz simpel – die Fladen bestehen aus Mehl, Ei, Hefe und Milch.“
Wie alt ihr Rezept eigentlich ist, dass kann Anička aber nicht sagen:„Das Rezept kommt von unseren Tanten, Großmüttern und Urgroßmüttern. Jeder macht die Baleše auf seine Weise, am Ende schmecken sie aber immer gleich gut.“
Anders als bei den Trachten- und Tanzensembles habe man bei den Küchenmeisterinnen doch ein bisschen Angst um die Zukunft, so Jarka, die ebenfalls am Ofen mit den Baleše steht:
„Das ist in jeder Familie anders. Wenn man Glück hat, dann hält die Großmutter das Ganze noch am Leben. Die jungen Frauen heute haben aber meist keine Zeit mehr für diese Dinge. Erst sind sie den ganzen Tag in der Arbeit, dann müssen sie die Kinder zu den ganzen Freizeitgruppen bringen. Es fehlt heutzutage einfach die Zeit.“
Für die Ehre und die Frauen
Absolutes Highlight des Festivals ist aber der Wettstreit im mährischen Rekrutentanz Verbuňk. Von insgesamt über 100 Bewerbern und letztlich 19 Tänzern im Finale setzte sich Antonín Žmola aus Babice / Babitz bei Uherské Hradiště / Ungarisch Hradisch durch. Für den 29-Jährigen war es jedoch nicht der erste Auftritt in Strážnice.„In den vergangenen Jahren war ich schon zweimal Dritter und einmal Zweiter“, so der gelernte Versicherungskaufmann. Tatsächlich ist der Antonín Žmola ein alter Hase unter den Wettkämpfern, die Mehrheit seiner Mitbewerber war noch keine 20 Jahre alt.
So auch Karel Vlašic. Er selbst behauptet von sich, dass er den Verbuňk einfach im Blut hat:
„Natürlich habe ich viel von meinen Eltern mitbekommen, größtenteils liegt das aber in meiner Natur. Ich komme aus Lochovce bei Břeclav. Meine Vorfahren sind Kroaten, die ihre Kultur irgendwie in die Region gebracht haben. Bei meiner Geburt war also klar, dass ich die Folklore im Herzen haben werde.“
Auch Karel Vlašic bestätigt, dass die Folklore quicklebendig in der Region. Man treffe sich, trinke und genieße die Trachten und Musik, so der mährische Kroate. Für die jungen Männer ist aber auch noch etwas anderes wichtig, wenn sie die typischen Hemden mit Stickereien und weiten Hosen anziehen und sich den charakteristischen Hut mit Fasanenfeder aufsetzen:
„Es kommt sehr gut bei den Mädels an. Über Details will ich jetzt aber nicht sprechen.“