Alltag anstatt Disneyland
Die Künstlerin Kateřina Šedá hält das südböhmische Krumau für ghettoisiert. Sie möchte nun wahres Leben in dieses und weitere Touristenziele zurückbringen. Doch wie soll das geschehen?
„Zum einen führt das dazu, dass die Bewohner aus dem Stadtzentrum ziehen, so wie das zum Beispiel auch bereits in Venedig geschehen ist. Zum anderen teilt das die Bewohner in zwei Gruppen, sie sprechen daher von einer schizophrenen Stadt. Die eigentlichen Krumauer wohnen nämlich am Stadtrand und gehen nicht gerne ins Zentrum.“
Die Künstlerin glaubt aber, dass auch die vielen Besucher nicht sonderlich glücklich sind über diesen Zustand:
„Man sieht kaum wahres Leben auf den Straßen, auch wenn dies in geringem Umfang weiter existiert. Rund 300 Menschen leben noch dauerhaft im Zentrum von Krumau. Viele Touristen dürften die Authentizität vermissen. Das zeigt sich auch darin, dass sofort die Fotoapparate gezückt werden, wenn nur jemand am Fenster eine Decke ausschüttelt.“Wer braucht 37 Juweliere?
Seitdem Krumau im Jahr 1992 zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sind die Besucherzahlen explodiert. In den vergangenen Jahren kamen regelmäßig jeweils rund anderthalb Millionen Touristen in die Stadt. Für Kateřina Šedá, die im Übrigen aus Brno / Brünn und nicht aus Krumau stammt, hat sich die Stadt aber sogar zu einer Art Ghetto entwickelt.
„Ich habe mich früher viel mit sozialen Brennpunkten hierzulande beschäftigt und sehe bestimmte Parallelen. Es mag zwar auf den ersten Blick absurd erscheinen, eine der schönsten Städte in Tschechien mit einem Ghetto zu vergleichen. Aber zum Beispiel gibt es hier wie dort Häuser, in denen niemand wohnt. Oder Geschäfte, die niemand braucht. Oder braucht man etwa wirklich 37 Juweliere in solch einer Stadt? Und in einigen Straßen weichen die Menschen eher einander aus, als dass sie aufeinander zugehen“, so Šedá.Diese Überlegungen haben die 40-jährige Künstlerin zu einem Projekt geführt, das sie in diesem Jahr auch bei der Architektur-Biennale in Venedig vorstellen wird, also bei der kleinen Schwester der großen venezianischen Kunstveranstaltung. Denn mit ihrem Vorschlag hat Šedá die entsprechende Ausschreibung der Nationalgalerie in Prag gewonnen. Das Projekt nennt sich UNES-CO und hat einen Bindestrich zwischen „unes“ und „co“. Das könnte man im Tschechischen auch als Frage interpretieren, im Sinne von: „Was hältst du aus?“
Wie dieses soziokulturelle Projekt funktionieren soll, erläutert Kateřina Šedá in folgenden Worten:„Ich biete den Einwohnern aus anderen Stadtteilen sogenannte Erstwohnungen mitten im Zentrum an – also Wohnungen, wie sie sonst meist für junge Familien oder sozial Schwächere bereitgestellt werden. Zudem habe ich für die Mieter neue Arbeitsstellen – und zwar in dem Bereich, den Krumau am meisten braucht. Diesen Bereich habe ich definiert als das ‚Ausüben normalen Lebens‘. Wir suchen also Singles und Familien, die mitten in der touristischen Hochsaison ins Stadtzentrum ziehen und dort gegen Bezahlung ein normales Leben führen.“
Bewusst wolle sie diese absurde Situation bis zur letzten Konsequenz ausreizen, so Šedá. So sollen Stadtbewohner auch stundenweise entlohnt werden, wenn sie ganz normale Alltagstätigkeiten im Zentrum verrichten. Jegliche Ideen seien willkommen, sagt die Künstlerin. Die Bewerbungsfrist für die neuen Bewohner des Zentrums läuft noch bis 20. April.
Normales Leben gegen Bezahlung
Dass Kateřina Šedá mit einem Wohnprojekt zur Architekturbiennale in Venedig geht, ist allzu konsequent. Vergangenes Jahr wurde sie bereits zur tschechischen Architektin des Jahres gekürt, obwohl sie ja Künstlerin ist, zugleich erhielt sie den Literaturpreis Magnesia Litera. Das Festival in Venedig eröffnet Ende Mai und dauert bis Ende November. Der gemeinsame tschechisch-slowakische Pavillon soll dann Sitz der fiktiven Firma UNES-CO sein.„Das ist eine kleine Parodie auf die Unseco. Im Pavillon sollen Live-Bilder aus den Straßen Krumaus gezeigt werden, in denen – so nenne ich es – Stadterwärmung mithilfe unser Aktivitäten betrieben wird. Auch einer unserer Angestellten wird in Venedig sein und erklären, wofür wir die Familien und weitere Freiwillige angestellt haben. Mir war aber auch wichtig, einen direkten Bezug zur Unesco herzustellen. Denn Venedig ist beim Fremdenverkehr noch schlechter dran als Krumau. Und ich denke, beide Städte leiden unter etwas Ähnlichem: einer Reizflut. Deswegen sollen die Besucher des Pavillons schnell und einfach den Gedanken erfassen können, um den es mir geht“, so Šedá.
Doch nicht der Biennale-Auftritt ist Ziel des Gesamtprojektes. Er ist allenfalls ein Teil davon. Kateřina Šedá ist sich erstmals im Sommer vergangenen Jahres bewusst geworden, wie es um Krumau steht. Damals kamen sie und ihre Familie auf Einladung des Egon Schiele Art Centrums in die Stadt:„Bis wir am Centrum angelangt waren, haben wir uns schon mehrfach so aufgeregt, dass wir am liebsten wieder weggefahren wären, obwohl die Stadt so schön ist. Den ganzen Weg in die Stadt hat meine Tochter damit genervt, dass sie ein Eis wollte. Mein Mann hat sich die Preise angeschaut und jedes Mal gesagt: ‚Hier kaufe ich kein Eis, das sind alles Verbrecher.‘ Meine Mama fand, in der Stadt könne man überhaupt nicht leben. So war auch meine erste Frage an die Leiterin des Egon Schiele Art Centrums: ‚Wohnen Sie hier wirklich?‘“
In den zurückliegenden Monaten hat die Künstlerin zudem auch die Bewohner von Krumau befragt. Die Meinungen seien stark auseinandergegangen, sagt sie. Wer im Zentrum unternehmerisch tätig sei, profitiere von den Zuständen. Doch die dort lebten, oder am Rande der Stadt, würden dies meist anders sehen, sagt Kateřina Šedá.
„Nur ein Bruchteil der Befragten hat die Situation als die bestmögliche beurteilt. Natürlich gibt es aber solche Leute, die sagen, sie würden Touristen lieben – denn diese würden durch die Stadt schlendern und lächeln. Die Krumauer selbst seien hingegen nicht so, wie mir eine Frau sagte. Andere wiederum geben zu, Touristen sogar zu hassen. Sie sagen, sie würden fremden Besuchern nur in die Augen schauen, wenn sie von ihnen Geld erhalten.“Kein Schauspiel für Touristen
Deswegen geht es in dem Projekt letztlich darum, einen Weg heraus aus diesem Dilemma zu finden. Die Stadt wieder lebenswerter und authentischer zu machen. Aber kann dabei ein Projekt helfen, dass selbst ein Kunstprodukt ist? Kateřina Šedá sieht da keinen Widerspruch:
„Authentizität sieht natürlich anders aus. Das Projekt soll aber zur Diskussion anregen und Fragen aufwerfen. Ich möchte die meisten Wohnungen jenen Menschen anbieten, die am Stadtrand von Krumau leben. Beim Rest denke ich an Leute von außen. Sie verlassen damit die Position eines Besuchers, der durch die Stadt geht und sich häufig keine Gedanken macht, ob da auch jemand lebt. Mich interessiert, wie ihre Reaktion ist, wenn sie zum Beispiel einkaufen müssen und kein Geschäft finden. Oder wenn sie vergeblich ein Postamt suchen. Das Projekt ist – und das möchte ich betonen – sicher kein Schauspiel für Touristen. Ich möchte viel mehr herausfinden, welche Erfahrungen die Bewohner vom Stadtrand machen und welche die Auswärtigen. Und ob sich dort ein normales Leben führen lässt und wenn ja, unter welchen Bedingungen.“Nach anfänglichem Zögern machen mittlerweile auch die Stadtoberen mit. Außerdem ist Krumau auch nicht der einzige vom Tourismus gezeichnete Ort in Tschechien. Als Weiteres nennt Šedá vor allem das Prager Stadtzentrum – das steht genauso lange auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes wie die Kleinstadt in Südböhmen.