„Ich campierte im Schlafsack in der Botschaft“

Dominik Furgler (Foto: Ondřej Tomšů)

Dominik Furgler ist neuer Botschafter der Schweiz in Prag. Früher war er unter anderem in London und Kairo.

Dominik Furgler  (Foto: Ondřej Tomšů)
Herr Botschafter Furgler, Sie sind seit September in Prag. Haben Sie sich bereits ein bisschen einleben können?

„Eigentlich sehr gut. Es ist ja auch nicht allzu schwierig hier in Prag, der wunderschönen Stadt mit sehr netten Leuten. Vom Beruflichen her: Die Verwaltung ist sehr offen und zugänglich, was natürlich sehr hilft, aber nicht überall so ist. Und im diplomatischen Korps habe ich sehr freundschaftliche Verhältnisse vorgefunden.“

Haben Sie Prag schon vorher gekannt?

„Nicht wirklich. Ich war kurz nach der Wende als Tourist hier und dann eigentlich erst wieder im Frühling dieses Jahres für ein paar Tage, um mich auf mein neues Mandat vorzubereiten. Ansonsten habe ich einiges gelesen. Als Erstes hole ich Geschichtsbücher hervor, wenn ich irgendwo neu ernannt werde, und lese sie. Aber ich beschäftige mich auch mit der Geographie des Landes. Das hat sicher auch geholfen und vor allem meine Neugier geweckt. Ich möchte vieles noch entdecken. Ein Beispiel: Ich bin aus St. Gallen und habe mit Erstaunen festgestellt, dass es hier die Gallusstadt –Havelské město – gab oder gibt sowie eine Galluskirche. Dem möchte ich noch ein bisschen mehr auf den Grund gehen.“

„Was man in Krisenseminaren gelernt hat, wird plötzlich Realität – und ist doch anders.“

Sie waren zuletzt Schweizer Botschafter in London und davor in Kairo. Sie haben den Arabischen Frühling erlebt und den Brexit-Entscheid – also vergleichsweise bewegte Zeiten. An was erinnern Sie sich im Zusammenhang mit diesen Ereignissen am intensivsten?

Arabischer Frühling in Kairo  (Foto: Mona,  CC BY 2.0)
„In Kairo waren die Tage des sogenannten Arabischen Frühlings, Ende Januar bis Mitte Februar 2011, sehr intensiv. Die Arbeit einer Botschaft ändert sich total in solch einer Krisensituation. Was man in Krisenseminaren gelernt hat, wird plötzlich Realität – und ist doch anders. Primär ging es darum, Schweizer Interessen zu schützen, dafür zu sorgen, dass Schweizer Bürgerinnen und Bürger das Land unbeschadet verlassen können. Das geschah, während um die Botschaft herum demonstriert, zum Teil direkt vor dem Gebäude sogar gekämpft wurde. Ab drei Uhr galt eine Ausgangssperre. Das heißt, man konnte nachmittags die Botschaft nicht mehr verlassen. Ich war drei Wochen lang praktisch rund um die Uhr dort, kam nur zweimal in der Zeit nach Hause. Ansonsten habe ich im Schlafsack auf einer Matratze in der Botschaft campiert und dafür gesorgt, dass das Krisenteam rund um die Uhr einsatzfähig ist. Sicher werde ich nie vergessen, wie ich einige Male selbst auf dem Tahir-Platz unter Hunderttausenden Menschen war. Das wirklich hautnah zu erleben, war doch sehr speziell. Und ein Zweites waren die anschließenden Diskussionen über die Zukunft Ägyptens. Eine gewisse Zeit herrschte ein unglaublicher Enthusiasmus, leider währte er nicht allzu lang. Ich erinnere mich da an informelle Treffen bei Freunden zu Hause mit sogenannten Revolutionären, die darüber diskutiert haben, wie sie denn diese Demokratie aufbauen wollen. Diese Diskussionen wurden zum Teil sehr undemokratisch geführt, man sich manchmal gar nicht zuhören wollen. Da habe ich dann ein bisschen die Schweizer Sicht eingebracht.“

Foto: Jeroen van Oostrom,  FreeDigitalPhotos.net
Und der Brexit-Entscheid: Wahrscheinlich war er nicht ganz so hautnah, wie Sie es aus Kairo geschildert haben, aber sicher auch bewegend…

„Sehr bewegend. Ich muss sagen, ich war einer der wenigen Botschafter, die den Brexit vorausgesagt haben. Als ich aber dann am frühen Morgen das Resultat sah, war ich echt geschockt. Ich würde das nie kritisieren, schon gar nicht das Volk, obwohl ich den Entscheid nicht gut finde für Großbritannien, für die EU und auch für uns als Nicht-EU-Land, aber es ist ein demokratischer Entscheid. Als Schweizer, der Referenden gewohnt ist, würde ich nie sagen, dass das Volk dumm sei. Wenn man jemanden kritisieren muss, dann wohl die Politiker, denen es nicht gelungen ist, die Leute davon zu überzeugen, dass man in der EU bleiben sollte. Sehr erstaunlich war danach das schiere Nicht-Wissen, was zu tun ist. Obwohl es so erstaunlich auch wieder nicht ist. Denn vor Verwaltung und die Politik steht eine gewaltige Aufgabe. Dabei gibt es nicht nur die zentralen Verhandlungen mit der EU, sondern auch jene mit Drittstaaten, die ebenfalls zahlreiche Verträge mit Großbritannien anpassen müssen. Das gilt vor allem für die Schweiz. Sie hat über 120 Verträge mit der EU, die alle jetzt auch noch für Großbritannien gelten. Am Tag des Brexit verlieren auch diese ihre Gültigkeit. Die Financial Times schätzt, dass die Briten über 750 bilaterale Verträge mit sogenannten Drittstaaten aushandeln müssen und setzt die Schweiz an erste Stelle, weil wir so eng mit der EU verbunden sind.“

„Vielleicht könnten die Schweiz und Tschechien im Rahmen der Uno noch stärker zusammenarbeiten.“

Das heißt: jetzt ruhigere Zeiten in Prag – freuen Sie sich darauf?

„Ja, aber ganz ruhig werden sie nicht, weil wir hier auch viel spannende Arbeit haben. Wir wollen bilateral einiges erreichen. Und auch das gesellschaftlich-diplomatische Leben in Prag ist sehr intensiv. Aber: Ein bisschen ruhiger als London wäre meiner Frau und mir durchaus genehm – etwas mehr Zeit für uns.“

Sie haben die bilateralen Beziehungen angesprochen. Können Sie vielleicht auch schon Ziele formulieren?

„Generell sind die Beziehungen ausgezeichnet, und wir haben keine bilateralen Probleme. Politisch möchte ich aber gerne schauen, aufbauend auf der Arbeit meiner Vorgänger, wo es vielleicht noch zusätzliche gemeinsame Themen gibt. Wir haben ja grundsätzlich dieselben Werte. Also ließe sich vielleicht im Rahmen der Uno bei gewissen Themen noch stärker zusammenarbeiten. Gerade kleinere Staaten wie die Schweiz und Tschechien können durchaus mit Ideen in der Uno etwas bewirken, aber sie brauchen natürlich Verbündete. Ich denke an alle Themen, die mit Rechtstaatlichkeit, Rule of Law und internationalem Recht zu tun haben. Vor allem wir Kleinstaaten sind darauf angewiesen, dass internationales Recht gilt. Ein weiterer Bereich ist die Wirtschaft. Der tschechische Staatspräsident hat mir bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens ausdrücklich gesagt, er hoffe, wir könnten bilateral wirtschaftlich noch mehr machen. Für ihn gehöre es zu den Prioritäten, die tschechische Wirtschaft weiterzuentwickeln und sie auch technologisch auf einen höheren Stand zu bringe. Und ich denke, mit unserer Schweizer Spitzenindustrie haben wir gute Voraussetzungen, dazu beitragen zu können. Dann gibt es den sogenannten Erweiterungsbeitrag. Mit diesem wurden in den vergangenen zehn Jahren bilaterale Programme aufgelegt. Und ich hoffe, dass die Schweizer Regierung schon bald einen zweiten Beitrag an Kohäsionsgeldern ankündigen kann. Dieser würde uns erlauben, auch in den weiteren Jahren bilaterale Programme durchzuführen.“

Ich möchte gerne mit einer etwas persönlicheren Frage schließen. Sie kommen, wie Sie gesagt haben, aus St. Gallen. Wie häufig haben Sie denn Zeit, in Ihre Heimat zurückzukehren? Und was bedeutet Heimat für Sie als Botschafter?

„Mein Zuhause ist jedes Mal dort, wo ich bin. Aber meine Heimat ist die Schweiz.“

„Ich kehre eigentlich relativ selten zurück. Ein Grund ist sicher, dass ich in meiner Freizeit gerne noch mein Gastland besser kennenlernen möchte. Und es ist natürlich auch hier fantastisch: Prag, ganz Tschechien, und dann ist man so nahe an Wien, Berlin und Polen. Ich hoffe, wir werden möglichst viel reisen können. Ja, was bedeutet Heimat für mich? Es ist die Schweiz. Das ist eher untypisch, bei uns ist man normalerweise zuerst ein Zürcher oder Basler zum Beispiel, und erst dann Schweizer. Ich bin teilweise aber im Ausland aufgewachsen. Was mir ein Gefühl von Heimat vermittelt, sind unter anderem die Werte, die das Land vertritt: das multikulturelle Zusammenleben, die direkte Demokratie, die uns wirklich zusammenschweißt. Die Schweiz ist multikulturell eine Willensnation, wie wir sagen. Ich denke, die politischen Rechte halten uns – bei allen Verschiedenheiten – sehr zusammen. Klar gehört aber auch dazu, dass die Familie dort ist: die Kinder, die Eltern. Das macht die Schweiz als meine Heimat aus. Mein Zuhause ist aber jedes Mal dort, wo ich bin. Ich habe immer das Gefühl – und das wird sicher auch so sein, wenn ich das erste Mal nach Prag zurückkehre –, dass ich nach Hause komme, wenn ich dorthin zurückkehre, wo ich wohne, meine Frau ist, und wo ich auch dann neue Freunde habe. Aber meine Heimat ist sicher die Schweiz.“