Ausstellung in Pilsen: Das spannende Drama von „Bild und Wort“

Dalibor Chatrný „Niemand - Jemand“, 1977 (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)

Wir können Schriftzeichen lesen und Bilder betrachten. Doch Bilder „sagen“ uns auch etwas, und manchmal sprechen wir „durch die Blume“, also in Bildern. Die Wechselbeziehung von Wort und Bild stand besonders in den 1960er Jahren im Brennpunkt des Interesses vieler Künstler. Zugleich wurde damit die scharfe Trennung der Kunstsparten hinterfragt. Und in der damaligen ČSSR auch der manipulative Gebrauch der Sprache. Die Ausstellung „Bild und Wort“ in der Ausstellungshalle Masné krámy – Fleischbänke der Westböhmischen Galerie in Plzeň / Pilsen blickt nun auf diese künstlerischen Trends zurück.

Václav Boštík „Das All“,  1957  (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)
Gestaltet wurde die Ausstellung von der Kunsthistorikerin Alena Pomajzlová, die sie in sechs Abschnitte gegliedert hat.

„Der erste Teil trägt den Titel ‚Das Bild als Zeichen‘. Es geht hier um die Reduktion des visuellen Gehalts des Bildes, der so sehr vereinfacht und abstrahiert wird, dass davon nur noch ein Zeichen bleibt. Das können Sie am Beispiel von Václav Boštík sehen, der bei einer Ausstellung, die er Anfang der 1960er Jahre hatte, sagte, dass die Bilder, die er male, den Gegenstand nicht mehr abbildeten, sondern nur mehr repräsentierten.“

Ein Beispiel hierfür ist Boštíks Ölgemälde „Das All“, das an Paul Klee erinnert. 1966 gab es schon einmal eine Ausstellung mit dem Titel „Bild und Schrift“, in der renommierten Prager Galerie Václav Špálas. Damals ging es um lettristische Werke, also Kunstwerke, bei denen Buchstaben vorkommen. Die jetzige Ausstellung „Bild und Wort“ betrachtet das Thema breiter. Die in ihr gezeigten Werke spiegeln und hinterfragen die kommunikativen Möglichkeiten beider Medien. Richtungweisend war hier in den 1960er Jahren ein französischer Kunsttheoretiker und Philosoph.

Jiří Balcar „Dekret I“,  1961  (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)
„‚Die sichtbare Schrift muss unverständlich sein‘. Das ist ein Zitat von Roland Barthes. Er analysierte die Gemälde eines amerikanischen Malers und kam zu dem Schluss, dessen Zeichensystem sei eine „unentzifferbare Handschrift“. Und wenn Sie eine Ihnen unverständliche Schrift vor sich haben, dann konzentrieren Sie sich eben auf die visuelle Seite des Textes.“

Ein Text kann also daherkommen wie ein Bild, Bilder wiederum weisen eine verborgene, doch bedeutungsvolle Struktur auf. Diese Schnittpunkte von Bild und Wort thematisiert der zweite Abschnitt der Ausstellung. Die rhythmischen Zeichen und Linien der Werke dieser Gruppe gleichen Texten, doch sie sind nicht lesbar. Dennoch bedeuten sie etwas: durch die Geste, den schöpferischen Akt an sich. Auch das Gekritzel von Analphabeten enthalte einen Sinn, fand der junge Dichter und Maler Jiří Kolář damals und schuf „Analphabetogramme“. Und Jiří Balcar wies mit seinen „Dekreten“ auf die kafkaeske Unsinnigkeit mancher amtlicher Anordnungen hin. Ein Werktitel von Jiří Kolář ist das Motto des dritten Abschnitts der Ausstellung: „Wie Nüsse im Sack“.

„Den Text unlesbar machen, diesmal den fertigen, gedruckten Text. Das war sowohl für Ladislav Novák als auch Jiří Kolář ein Thema. Das gehörte alles zu der Suche nach einem neuen Sinn abseits der Konventionen, die nicht mehr intakt waren. Bei einem Kunstwerk von Ladislav Novák sind Wörter mit Stacheldraht umwickelt, als ob sie gefangen wären. Oder Novák steckte zerrissene Texte in eine Schachtel oder einen Flakon, um auszudrücken, dass die Mitteilung, die sie enthielten, unzugänglich bleibe.“

Jiří Kolář,  Chiasmage,  1960er Jahre  (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)
Man könne die Welt, aber auch sich selbst aus tausend und einem Blickwinkel betrachten. Zu dieser Erkenntnis gelangte Jiří Kolář durch eine weitere Kunstform, die er entwickelte – die Chiasmage. Kolář klebte Collagen aus Papierschnipseln mit Texten in unterschiedlichsten Sprachen und Schriften. Doch die winzigen Papierstückchen ordnete er nicht kreuzweise an, wie das Wort Chiasmus, also Kreuzstellung, vermuten lassen würde, sondern er ging noch einen Schritt weiter. Wahrhaft kreuz und quer, bunt durcheinander wirkt die optische Anordnung der Elemente von Kolářs Chiasmagen – vermischt wie Nüsse im Sack. Texte haben aber noch kleinere Elemente als Wörter, nämlich Buchstaben. Auf diese konzentrierten sich die Künstler in der nächsten Phase.

„Auch das hing wieder mit der Zerstörung von Wörtern und von deren Sinn zusammen. Auf einer Collage von Jiří Kolář aus dieser Schaffensperiode explodieren die Wörter, und die Buchstaben zerstieben in alle Richtungen, auf einer anderen zerstört ein Feuer die Wörter, und wieder haben wir einzelne Buchstaben.“

Nichts weniger als die Sprache neu erfinden wollten die Künstler und „Alles anders sagen“, wie der Titel eines Typoskripts von Jiří Kolář lautete. Denn die herkömmliche Sprache habe ausgedient, fanden sie. Sie sei hohl und diene vielerorts auch dazu, Menschen zu versklaven. Daher befreiten sie gleichsam die Buchstaben aus dem Kerker der Wörter. In der Literatur entwickelte sich um dieselbe Zeit die sogenannte „konkrete“ oder „visuelle“ Poesie.

Václav Havel „Vorwärts,  Anticodes I“,  1964  (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)
„Diese Art von Poesie betrieben vor allem zwei Schriftsteller und Übersetzer: Josef Hiršal und Bohumila Grögerová. In den Vitrinen sind zwei Poesiebände, die sie herausgegeben haben. Und hier sehen Sie verschiedene Typogramme. Das waren entweder rein optische Gebilde aus Wörtern, oder sie enthielten eine versteckte Sprachkritik, wie besonders die Typogramme von Václav Havel.“

Aber braucht man überhaupt eine Sprache, um sich mitzuteilen?

„Der nächste Teil der Ausstellung trägt den Titel ‚Es gibt noch eine andere Schrift‘, was eigentlich ein Werktitel von Ladislav Novák ist. In diesem Abschnitt finden Sie eine Gruppe von Werken, bei denen überhaupt kein Buchstabe vorkommt. Denn es ging den Künstlern nun darum, alternative Kommunikationsformen zu entdecken, etwa mit Bildzeichen oder Gegenständen, also einfach mit anderen Mitteln als Wörtern.“

Běla Kolářová „Abc der Dinge“,  1964  (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)
Ein solches Werk ist zum Beispiel das „Abc der Dinge“ von Běla Kolářová, der Frau Jiří Kolářs. Sie schuf Assemblagen aus einfachen Dingen, wie Knöpfen oder Sicherheitsnadeln. Um 1970 traten dann wieder neue Akzente in den Vordergrund. Nun richteten die Künstler ihr Augenmerk auf die Widersprüche zwischen der sichtbaren, also evidenten Wirklichkeit und deren unangemessener Versprachlichung. Die Künstler zeigten auf, dass Wörter und Sätze etwas anderes, ja sogar das genaue Gegenteil dessen behaupten können, was wahr ist. Einer der Konzeptkünstler dieser Phase, der Brünner Dalibor Chatrný, reagierte mit mehreren Arbeiten auf das bedeutsame Jahr 1977.

„Die Gegensätze ‚Ja – nein‘, ‚Jemand – niemand‘, ‚Weiß – Schwarz’ in Chatrnýs Collagen hängen meiner Ansicht nach mit der gesellschaftlichen und politischen Lage in diesem Jahr eng zusammen. Es handelt sich also nicht bloß um unverbindliche Experimente, sondern er hält der Zeit einen Spiegel vor.“

Dalibor Chatrný „Niemand - Jemand“,  1977  (Foto: Archiv der Westböhmischen Galerie in Plzeň)
Die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit der Sprache war ein internationales Phänomen. Die Ausstellung „Bild und Wort“ stellt den Widerhall dieser Richtung in der damaligen ČSSR dar. Sämtliche Ausstellungsstücke stammen aus inländischen Galerien und Museen.

Die Ausstellung „Bild und Wort“ ist noch bis 27. August in der Ausstellungshalle Masné krámy der Westböhmischen Galerie Pilsen zu sehen.

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