Brisante Spekulation: War Masaryk ein Sohn des österreichischen Kaisers?
Tomáš Garrigue Masaryk war der Gründer der Tschechoslowakei und ihr erster Staatspräsident. Bis heute gilt der Philosoph als moralische Autorität. Sein Leben und Wirken wurde in unzähligen Büchern behandelt. Man könnte meinen, über Masaryk sei alles bekannt. Doch ein Rätsel scheint weiter zu bestehen: Wer war sein biologischer Vater? Vor kurzem ist in Tschechien ein Buch erschienen. Es stellt eine unglaubliche Hypothese auf, von der seriöse Historiker allerding nichts halten. Ein Bericht über den möglicherweise „größten Scherz der tschechischen Geschichte“.
Viele Geliebte und acht oder neun uneheliche Kinder
Glockner stellte zum Beispiel fest, dass Franz Josef in der betreffenden Zeit tatsächlich in Mähren war. Am 2. Dezember 1848 nahm er an der Abdankung seines Vorgängers Ferdinand I. im Olmützer Erzbischofspalast teil, nach der er selbst den Thron bestieg. Zugleich beteiligte er sich an einer großen Truppenübung in der Nähe von Hodonín, mit der die Armee gegen ungarische Aufständische mobilisiert werden sollte. Teresia Kropaczek arbeitete damals in Hodonín an einem der kaiserlichen Güter als Chefköchin. Wann und wie sie den jungen Kaiser hätte kennenlernen können, darüber existieren keine Nachweise. Indirekte Indizien lassen dies aber nicht völlig ausgeschlossen erscheinen:„Franz Josef hatte während seines Lebens mindestens sechs, vielleicht aber auch acht Geliebte. Praktisch alle waren einfache, manchmal ältere Frauen, genau wie Theresia Kropaczek. Nur eine bekannte Schauspielerin hat diesem Schema nicht entsprochen. Einige der Geliebten hielt sich der Kaiser jahrelang und führte auch Notizen über sie. Später ließ er die Frauen auch von der Geheimpolizei überwachen. Darüber hinaus hatte Franz Josef acht oder neun uneheliche Kinder – und alle diese Frauen und Kinder hat er großzügig versorgt.“
Für eine schwangere Frau über 30, die schon Erfahrungen als ledige Mutter hatte, bedeutete Versorgung vor allem eins: Sie brauchte einen Ehemann. Für solche Geschäfte hatte der Kaiser natürlich seine Bediensteten. Zwischen Wien und Hodonín pendelte daher laut Glockner ein gewisser Herr Mahly. Die Wahl fiel schließlich auf den phlegmatischen Kutscher Josef Masaryk, kaum des Lesens und Schreibens mächtig und zehn Jahre jünger als die Braut. Sofort begann sein Aufstieg: Alois wurde Herrnkutscher mit Livree am kaiserlichen Hof, dann Kammerdiener und schließlich sogar Wirt. Den erhaltenen Quellen zufolge war er brav, lustig, dem Alkohol zugeneigt, aber absolut ambitionslos und gleichgültig gegenüber einer Karriere. Zwei seiner Söhne wurden ihm in dieser Hinsicht ganz ähnlich – nicht aber Tomáš. Dieser war sehr lebhaft und auffällig, betont David Glockner.„Als Tomáš mit 14 oder 15 Jahren langsam selbständig wird, gibt es Probleme. Doch jedes Mal erscheint eine Art guter Engel, der alles in Ordnung bringt. Als Tomáš zum Beispiel statt in die Schule in Hodonín in eine Schmiede geht, hält ‚unerwartet‘ ein Schulinspektor auf dem Marktplatz an, der dem Jungen zuredet und ihn in die Schule zurückbringt. Vor dem Abitur wird Masaryk vom Gymnasium in Brünn geworfen – der Legende nach, weil er mit dem Schürhaken auf den Direktor losging, nachdem dieser ihm vorgeworfen hatte, kein Interesse am Religionsunterricht zu haben. Da kommt Anton Le Monnier, der Polizeidirektor von Brünn, zu Hilfe. Er ermöglicht Masaryk, an einem Elitegymnasium in Wien sein Abitur zu schreiben, und wird selbst zur gleichen Zeit zum Polizeidirektor von Wien erhoben.“Einflussreiche Fürsprecher für Schule und Studium
Das war aber nicht alles. Als Student hatte Masaryk ein paar sehr großzügige Gönner, die ihm ein sorgloses Leben ermöglichten. Anton le Monnier gehörte dazu, wie auch der Bankier und Unternehmer Rudolf Schlesinger, der im staatlichen Auftrag Eisenbahnlinien baute. Es waren Menschen, die direkten Zugang zur kaiserlichen Familie hatten. Masaryk erwähnt in seinem Tagebuch, wie sehr sie ihm halfen. Während seines Studiums an der Wiener Universität betrug sein Taschengeld 100 Gulden pro Monat – so viel Geld verdiente damals zum Beispiel auch ein Bezirkshauptmann. Als Belohnung für die Erlangung des Doktortitels bezahlte ihm Schlesinger eine Reise nach Italien und ein Stipendium für ein Studium in Leipzig. Historiker begründen dies mit Masaryks außergewöhnlicher Begabung und seinem Charisma. Was Masaryk selbst darüber dachte, weiß natürlich niemand. Vermutlich war ihm aber bewusst, dass er einen „sehr hohen“ Beschützer hatte. Für David Glockner gibt es noch einen weiteren Hinweis:„1876 kam Masaryk zu einem einjährigen Studienaufenthalt nach Leipzig. Dort wirkte damals ein anerkannter Professor für Ägyptologie, Georg Ebers. Er war durch seine Verschlossenheit, ja seinen Hochmut bekannt. Wer ihn in seinem Kabinett besuchen wollte, der musste zum Teil Monate lang warten. Masaryk hat er aber gleich einen Tag nach seiner Anreise empfangen! Das Treffen endete aber für Masaryk mit einem Schock: Wie er brieflich seinen Freunden anvertraute, habe ihm der Professor ‚unglaubliche Sachen‘ über den Kaiser erzählt. Was damit konkret gemeint war, darüber lässt sich nur spekulieren. Es ist aber eine Tatsache, dass Masaryk danach nicht an den Vorlesungen dieses Professors teilgenommen hat und mehrere Monate lang krank war. Zu dieser Zeit hat er auch eine Studie zum Thema Selbstmord geschrieben.“„Sie sind also der Masaryk?“
Wurde der junge Masaryk zu diesem Zeitpunkt also mit der Wahrheit konfrontiert? Und wenn ja – wie sah diese aus? Wenn man die Fantasie weiter laufen lässt, hatte der Kaiser wohl gute Gründe für eine Zuneigung zu Masaryk. Franz Josefs einziger legitimer Sohn Rudolf litt an Syphilis und nahm sich 1899 zusammen mit seiner Geliebten das Leben. Mit seinem eher stürmischen Charakter war er ohnehin kaum als Thronfolger geeignet. Tomáš war anders: intelligent, zielstrebig, diszipliniert – und erstgeboren… Die damaligen Regeln machten solche Gedankenspielereien aber unmöglich. Wer weiß, was dem Kaiser durch den Kopf ging, als er 1907 dem neu gewählten Abgeordneten des Reichsrates die Hand reichte. „Sie sind also der Masaryk?“– soll er damals gesagt haben. Das war der einzige Moment, als die beiden Männer einander gegenüberstanden.Ob Masaryk wirklich ein Sohn von Franz Josef war, dafür gibt es keinen direkten Beweis. Laut David Glockner sind es viele indirekte Indizien, die dafür sprechen – und keine, die es eindeutig ausschließen würden. Seriöse Historiker distanzieren sich allerdings von den Spekulationen. Und wäre es doch die Wahrheit, an der Größe von Masaryk könnte sie nichts ändern. Wie ein Journalist geschrieben hat: Es wäre dann der größte Scherz der tschechischen Geschichte.