Miroslav Ondříček: In Hollywood habe ich 1971 zum ersten Mal gedreht
Der weltberühmte tschechische Kameramann Miroslav Ondříček ist am 28. März im Alter von 80 Jahren gestorben. Er stand bei etwa 40 Filmen hinter der Kamera, und zwar nicht nur in seiner Heimat, sondern auch im Ausland. Zwei Mal war er für den Oscar nominiert, 1982 für „Ragtime“ und 1985 für „Amadeus“. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter beim Karlsbader Filmfestival den Kristallglobus für sein Lebenswerk. Eben dort, in Karlsbad entstand im Jahr 2008 ein Gespräch mit Ondříček, das im Archiv des Tschechischen Rundfunks aufbewahrt wird. Zur Erinnerung an den verstorbenen Künstler bringen wir nun einen Auszug daraus.
„Einen Film zu machen, kann für den einen sehr leicht sein, ein anderer hingegen geht das eher auf ernste Weise an. Ich habe immer Angst, dass ein Film nicht gelingt. Wenn ich mir einen Film anschaue, schalte ich den Ton lieber aus. Ich verfolge die Erzählung anhand der Bilder. Dabei bemerkt man auf einmal Aufnahmen, die nicht in den Film gehören. Bei einem Film steht die Geschichte immer an erster Stelle. Wir, die wir die Bilder erschaffen, lassen uns manchmal von der Geschichte mitreißen. Wenn der Film viel Musik oder viele Dialoge enthält, nimmt man die Bilder nicht so intensiv wahr.“
Miroslav Ondříček wurde 1934 in Prag geboren. Als Sohn eines Gewerbetreibenden durfte er in den 1950er Jahren nicht studieren. Er machte daher eine Lehre zum Film-Laborant und besuchte später eine Abendschule bei der Filmhochschule FAMU in Prag.
„Ich liebe Filme sehr. Angefangen habe ich in den Prager Filmstudios Barrandov als Labor-Assistent, und zwar am 1. September 1950. Meine Mutter war damals nicht mehr am Leben. Meine Großmutter sagte damals, was, du willst zum Film gehen? Weißt du, dass in Barrandov jeder mit jedem schläft? So hat damals die ältere Generation die Filmwelt und die Filmleute gesehen.“Ondříček begann seine Karriere beim Dokumentarfilm. 1965 war er Kamera-Assistent bei seinem ersten abendfüllenden Film – der „Intimen Beleuchtung“ von Ivan Passer. Im selben Jahr drehte er zum ersten Mal einen abendfüllenden Film mit dem Regisseur Miloš Forman. „Die Liebe einer Blondine“ war der Auftakt zu einer langjährigen Zusammenarbeit. In den 1960ern machten Ondříček und Forman in der Tschechoslowakei gemeinsam Filme, nach Formans Emigration auch in den USA. Ondříček verdankte Forman auch seine erste Filmkamera:
„Ich habe mit allen möglichen Kameras gedreht. Meine erste eigene Kamera hat Miloš Forman gekauft. Es war eine AK aus der DDR. Sie kostete damals etwa 12.000 Kronen, was schrecklich viel Geld war, die Summe entsprach dem ganzen Honorar für unseren Film. Das war unsere erste Kamera. Damit haben wir den Umzug des Theaters Semafor aus der Straße Ve Smečkách in die Alfa-Passage festgehalten. Aus den Aufnahmen haben wir einen Dokumentarfilm für die Theaterleute Suchý und Šlitr gemacht. Ich habe die Kamera bis heute in einem Koffer in meinem Arbeitszimmer. Seither sind 50 Jahre vergangen.“Die Arbeit mit der Kamera hat sich seit den 1960er Jahren völlig verändert, erinnerte sich Ondříček.
„Ich weiß nicht, ob meine Erinnerungen an die Zeit vor einem halben Jahrhundert heute noch Interesse hervorrufen. Denn die Filmkultur entwickelt sich außerordentlich schnell. Mann schafft es fast nicht, alles zu verfolgen. Ich habe eine Theorie: Meiner Meinung nach nähert sich der Film sehr der Literatur an. Die Kamera ist heute so klein, und kann sogar den Ton aufnehmen. Man braucht nur einen halben Tag, um die Arbeit damit zu beherrschen. Das ist wie wenn man in einem Hotelzimmer einen Bleistift klaut, Papier findet und einen Roman verfasst. Die Ausdrucksweise ist heute sehr schnell.“Nicht nur das eigentliche Film-Handwerk hat sich verändert, sondern auch die Lage in der Filmbranche. An der Entstehung der Filme sind wesentlich mehr Menschen beteiligt.
„Filme zu machen ist heute etwas ganz anderes als früher. Als ich beim Film gearbeitet habe, gab es hierzulande 29 Kameramänner. Es war kompliziert, zur Arbeit beim Film zu kommen. Die Tschechoslowakischen Filmstudios Barrandov waren ein Staatsbetrieb, der vom Staat gefördert wurde. Die Menschen, die dort arbeiteten, mussten ein gewisses Sieb passieren. Heute gibt es wesentlich mehr Studierende an der Filmhochschule FAMU und an den privaten Filmschulen. Es ist einfacher, auf die Idee zu kommen, dass man einen Film machen will. Immer mehr junge Menschen wünschen sich das heute. Um es wirklich zu machen, dazu ist auch persönliches Glück nötig.“ Nach den Anfängen in der Tschechoslowakei kam für Miroslav Ondříček Mitte der 1960er Jahre der internationale Durchbruch:„Es gab hier eine Delegation der englischen Filmemacher auf dem Filmfestival in Karlsbad. Unter ihnen war der britische Regisseur Lindsay Anderson. Sie äußerten ihren Wunsch, Dreharbeiten hierzulande zu sehen. Unter anderem kamen sie auch nach Zruč nad Sázavou, wo wir damals ‚Die Liebe einer Blondine‘ gedreht haben. Anderson hat es dort mit uns so gut gefallen, dass er eine ganze Woche geblieben ist. Wir brauchten natürlich einen Dolmetscher, weil unsere Englisch-Kenntnisse sehr gering waren. Nachdem wir die Arbeiten in Zruč abgeschlossen haben, hat Miloš Forman Anderson ins Filmstudio Barrandov eingeladen. Er hat sich die ersten geschnittenen Aufnahmen angesehen und uns bei der Arbeit am Platz zugeschaut. Kurz darauf saß ich einmal im Filmklub mit dem Regisseur Evald Schorm. Auf einmal kam Mr. Anderson mit seiner Dolmetscherin und fragte, ob ich bereit wäre, einen Film mit ihm in England zu machen. Ich habe zu Evald gesagt, das ist Quatsch. Er hat mir einen Fußtritt gegeben und gesagt, sag mal ja. Sag mal ja, es wird irgendwie klappen. Und er hatte Recht.“
Mit Lindsay Anderson drehte Ondříček den Film „If“ sowie später „O Lucky Man“. Es folgten zahlreiche weitere Produktionen im Ausland: gemeinsam mit Forman entstanden die Filme “Taking Off“, „Hair“, „Ragtime“, „Amadeus“ und „Valmont“. Mit George Roy Hill unter anderem “The World According to Garp”, mit Penny Marshal zum Beispiel “The Awakening”. Dabei hat der Kameramann zahlreiche Filmstars kennengelernt und mit ihnen gearbeitet:„Man muss zwischen den Stars unterscheiden. Aber im Grunde habe ich freundschaftliche Beziehungen mit allen, mit denen ich gearbeitet habe. Als Robert de Niro zum Karlsbader Filmfestival gekommen ist, haben wir uns zunächst zu einem Abendessen in Prag getroffen. Ich habe mit ihm eigentlich die Samtene Revolution 1989 in New York erlebt. Wir drehten damals den Film ‚The Awakenings‘ mit Penny Marshall. Und auf meine Einladung kam er 1991 nach Karlsbad. Ich habe eine schöne Beziehung zu Meryl Streep und vielen anderen. Ich war in China mit Pavarotti. Anthony Hopkins stand bei mir zum ersten Mal vor der Kamera. Ich bin doch schon seit so vielen Jahren beim Film, und zwar hierzulande, in Frankreich, Deutschland, England, in den USA. In Hollywood habe ich 1971 zum ersten Mal gedreht.“ Laut Ondříček sind sich die wirklich großen Filmstars in einer Beziehung alle sehr ähnlich.„Es liegt an der jeweiligen Persönlichkeit. Menschen, die viel arbeiten, tragen eine große Ruhe in sich. Das gilt vor allem für die Schauspieler. Wer etwas kann, spielt sich nicht groß auf und fällt seiner Umgebung nicht auf die Nerven. Er arbeitet und interessiert sich nur für seine Arbeit. Solche Persönlichkeiten sind hervorragend.“
Auch Ondříčeks Sohn David ist heute ein anerkannter Filmkünstler – er ist als Filmregisseur und –produzent tätig. Doch eine Zusammenarbeit mit dem Sohn hat der Vater immer ausgeschlossen.
„Er macht Filme aus seiner eigenen Perspektive. Er gehört einer anderen Generation an, die die Welt anders sieht und Beziehungen anders versteht. Die Filmkunst befindet sich heute in einer ganz anderen Etappe. Es ist am besten, sich nicht einzumischen und die Jungen machen zu lassen, damit sie zeigen, was sie können. Außerdem ist er mein Sohn. Ich will zu ihm die beste Beziehung haben. Und da wir familiär verbunden sind, finde ich es nicht gut, mit ihm zusammenzuarbeiten. David ist zwar öfter mit der Idee auf mich zugekommen, ich habe sie aber jedes Mal abgelehnt.“