Vor 140 Jahren erbaut, vor 30 Jahren abgerissen: Bahnhof Těšnov
Er galt als einer der schönsten Bahnhöfe Mitteleuropas: Vor 140 Jahren wurde der Prager Bahnhof Těšnov erbaut, vor 30 Jahren wurde er abgerissen. Die Beseitigung des historischen Gebäudes gilt mittlerweile als abschreckendes Beispiel dafür, wie man nicht mit dem Kulturerbe umgehen sollte. Der Bahnhof, der einige Male seinen Namen wechselte, stand in der Nähe des Prager Stadtmuseums. Im Park vor dem Museumsgebäude wurde diese Woche eine Ausstellung über die Geschichte des abgerissenen Bahnhofs eröffnet.
„Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen war Prag keine Festung mehr. Um das Jahr 1870 wurde damit begonnen, die Stadtbefestigung abzureißen. Dadurch wurden große nicht bebaute Grundstücke frei. Das österreichische Handelsministerium beschloss, dass auf einer nach dem Stadtmauerabriss frei gewordenen Fläche der Bahnhof der Nordwestbahn erbaut werden soll. Zudem sollte er nahe des kurz zuvor erbauten Bahnhofs der Kaiser-Franz-Josef-Bahn stehen.“
Zu der Zeit damals wurde das Bahnnetz in den Ländern der Böhmischen Krone ausgebaut. Innerhalb von zehn Jahren entstanden damals über 2500 Kilometer Bahnstrecke. Beim Bau wurden nur Schaufel und Spitzhacke sowie Pferdegespanne genutzt. Heute ist das kaum mehr vorstellbar.Auf den Schautafeln vor dem Gebäude des Stadtmuseums ist die Geschichte des Bahnhofs Těšnov dokumentiert – vom Baubeginn bis zum Augenblick im Jahr 1985, als das Gebäude gesprengt wurde. Tomáš Dvořák vom Stadtmuseum hat die Ausstellung konzipiert. Er sei dabei von den Museumssammlungen ausgegangen, sagt er.
„Zu sehen sind historische Fotos, Baupläne und Graphiken. Zudem zeigen wir alte Fahrpläne. Das Bahnhofgebäude war sehr großzügig gestaltet. Die Österreichische Nordwestbahn achtete darauf, dass sie entsprechend repräsentiert wurde. Es handelte sich um ein Neorenaissancegebäude von Architekt Karl Schlimp und war mit mehreren Skulpturen geschmückt. Am wichtigsten davon war die allegorische Statue der Austria an der Stirnwand des Gebäudes, unter ihr standen an den Seiten zwei Statuen, von denen die eine den Ackerbau symbolisierte und die andere die Industrie. Diese Plastiken befinden sich zum Glück heute in den Sammlungen des Stadtmuseums.“ Aus der k. u. k. Monarchie stammt ein Foto einer Pferde-Straßenbahn, die gerade am Bahnhof vorbeifährt. Zudem hat sich eine Bahnsteigkarte aus der Zeit erhalten.„Auf einem Stadtplan aus dem Jahr 1885 ist zu sehen, dass Prag damals schon über ein dichtes Pferde-Straßenbahnnetz sowie ein Eisenbahnnetz verfügte. Auf einer weiteren Schautafel ist der Bahnhof zur Zeit der Ersten Republik dargestellt. Damals wurde der Nordwestbahnhof in Denis-Bahnhof umbenannt – nach dem französischen Historiker und Politiker Ernst Denis. Er war ein großer Experte im Bereich Slawistik und unterstützte die selbständige Tschechoslowakische Republik sehr stark.“
In den Jahren 1940 bis 1945 wurde der Bahnhof in Vltavské nádraží bzw. Moldau-Bahnhof umbenannt. Ab 1953 hieß er Prag-Těšnov. Aus dieser Zeit sind viele Fotos erhalten geblieben. Sie zeigen nicht nur die geräumige Bahnhofshalle und die Bahnsteige mit den Zügen, sondern bieten auch einen Blick in die Gaststätten im Gebäude.„Es gab dort gleich mehrere Restaurants. Früher war es üblich, dass es Restaurants für die erste und zweite Klasse sowie für die dritte und vierte Klasse gab. Das Foto zeigt eher ein nobles Restaurant. Viel Aufmerksamkeit wurde beim Bau des Bahnhofs der Gestaltung der Halle geschenkt. An den Wänden waren die Wappen der Städte dargestellt, durch die die Nordwestbahn fuhr. Die Stadtwappen sind auf den Fotos teilweise zu sehen. Hochinteressant sind aber auch die Bilder vom letzten Tag, an dem der Bahnhof im Betrieb war. Das war der 1. Juli 1972. Dank passionierter Eisenbahnfans kennen wir die Nummern der Lokomotiven und der Züge, die an dem Tag aus Těšnov abfuhren. Alle diese Bilder vermitteln die Stimmung auf dem Bahnhof, der einige Stunden später für immer geschlossen wurde.“
Zur Dokumentation der Bahnhofsgeschichte hat der Graphiker und Maler Jiří Bouda bedeutend beigetragen. Er war sogar eine Zeitlang bei den Tschechischen Bahnen angestellt. Dazu Tomáš Dvořák:
„Er kannte den Bahnhof gut, da er in den 1950er Jahren regelmäßig von dort zum Militärdienst nach Milovice fuhr. Bouda hat einen Zyklus von sechs graphischen Blättern zum Thema ‚Bahnhof Těšnov‘ gezeichnet. Interessant ist, dass er die Graphiken erst im Jahr 2002 schuf. Seinen Worten zufolge ist er dabei vor allem von seinen Erinnerungen ausgegangen.“
Nachdem der Bahnhof nicht mehr im Betrieb war, ließ man ihn 13 Jahre lang leer stehen und verkommen. Bereits in den 1960er Jahren wurde darüber nachgedacht, den Bahnhof wegen der geplanten Stadtautobahn abzureißen. Das historische Gebäude sollte nach der Vorstellung der damaligen Stadtplaner der sogenannten „Magistrale“ Platz machen. Dies war aber gar nicht notwendig. Ein Teil des Bahnhofs blieb auch nach der Errichtung der Magistrale erhalten. Das leer stehende Gebäude verkam allmählich. Dies dokumentieren auch zahlreiche Fotos auf den Schautafeln.„Der Bahnhof ist teilweise zerfallen, ohne Gleise. Die Magistrale ist bereits im Betrieb. Ich habe anhand der Fotos und der Stadtpläne versucht zu zeigen, wie sich diese Gegend innerhalb von einer relativ kurzen Zeit vollständig verwandelt hat. Das endgültige Ende von Těšnov kam 1985. Auf Befehl des Stadtkomitees der Kommunistischen Partei wurde das Bahnhofsgebäude schnell abgerissen. Es sind jedoch Entwürfe für die Rettung wenigstens des Triumphbogens erhalten geblieben. Gezeigt wird der Entwurf von Architekt Michal Brix, der sich in den Museumssammlungen befindet.“
Am 16. März 1985 wurde das Gebäude gesprengt. Einen Tag zuvor veröffentlichten die Tageszeitungen nur eine kurze Nachricht darüber, dass der ehemalige Bahnhof Těšnov am nächsten Tag um 8 Uhr abgerissen werde und aus dem Grund der Straßenverkehr in der Umgebung für etwa 10 bis 20 Minuten eingeschränkt werden müsse. Es ist kurios, dass die Sprengung damals zum Teil misslang.„Symbolisch wirkt das Foto, das damals ein gewisser Herr Bauer schoss. Es zeigt einen Trümmerhaufen, aus dem ein Teil der Mauer emporragt. An der Mauer ist ein Wandgemälde mit dem Stadtwappen Prags zu erkennen.“
Die Ausstellung mit dem Titel „Bahnhof Těšnov – 30 Jahre seit dem Abriss, 140 Jahre seit der Eröffnung“ ist im Park vor dem Eingang ins Stadtmuseum installiert. Sie ist dort bis zum 31. Mai zu sehen.