Wenn es nicht nur ums Geld geht - Bewusster Kapitalismus in Tschechien
Wer Geschäfte betreibt, will Geld verdienen. So lautet eine der wichtigsten Regeln der Marktwirtschaft. Viele Tschechen haben sich diesen Grundsatz nach der politischen Wende sehr schnell angeeignet. In den vergangenen Jahren sind aber auch solche Unternehmer hinzugekommen, die nicht mehr in der ewigen Jagd nach dem Geld das Glück sehen. Sie haben den sogenannten „Bewussten Kapitalismus“ entwickelt – auch in Tschechien ist diese Bewegung aktiv.
Dies ist, in knappe Worte gefasst, die These von Fred Kofman, einem amerikanischen Managercoach und Autor des Weltbestsellers „Conscious Business“. Auf Tschechisch erschien dieses Buch vor vier Jahren und gab damit den Anstoß zur Gründung einer gleichnamigen Bewegung. Das sogenannte „Forum des bewussten Business“ vereint Unternehmer, die Kofmans Ideen teilen. Firmencoach und Berater Jan Bílý ist Mitbegründer des Forums. In seinen Augen reicht der bewusste Kapitalismus noch weiter, als der oft benutzte Begriff „gesellschaftliche Verantwortung.“
„Die gesellschaftliche Verantwortung ist in diesem Fall noch um eine Art emotionaler und spiritueller Intelligenz erweitert. Emotionale Intelligenz bedeutet, dass man im Einklang mit seinen Gefühlen eine Firma leitet. Spirituelle Intelligenz verstehe ich als die Verbindung zu dem, was größer ist als ich, was mich also transzendiert. Das ist nicht nur die Umwelt oder die soziale Gerechtigkeit, aber das Universum oder Gott, könnte man sagen. In meinen Seminaren sprechen die Unternehmer immer häufiger davon, dass ihnen der Erfolg der Firma und die eigene gesellschaftliche Anerkennung nicht genügen. Sie machen sich Gedanken über den Sinn ihrer unternehmerischen Tätigkeit“, so Bílý. Das „Forum des bewussten Business“ hat mittlerweile etwa 50 Mitglieder, meist sind es Unternehmer. Bei den Wirtschaftsbereichen bestehen keine Grenzen, man findet da Manager aus Produktions-, Beratungs- oder Handelsfirmen, aber auch zum Beispiel die Inhaber eines Modesalons. Alle treffen sich regelmäßig zweimal im Jahr, um über ihre Erfahrungen und Ideen zu sprechen. Jedes Treffen hat zwar ein bestimmtes Thema, oft passiert es aber, dass in der informellen Diskussion andere Prioritäten hervortreten.Am häufigsten drehen sich die Gespräche um die Verhältnisse und die Atmosphäre innerhalb der Firmen. So haben sich beispielsweise fünf Mitinhaber einer Logistik-Beratungsfirma dem Forum angeschlossen, weil sie ihre Beziehungen zueinander regeln wollten. Doch letztlich seien sie dann noch weiter gegangen, sagt Tomáš Formánek, einer der Mitinhaber:
„Wir entschieden uns dafür, in der Firma eine solche Atmosphäre zu schaffen, dass sich alle Arbeitnehmer dort wie in einer Familie fühlen und wissen, dass sie sich mit ihren Problemen an uns wenden können. Dann haben wir definiert, was dafür gemacht werden muss. In erster Linie ging es darum, den Arbeitsstress abzubauen. Auf Termine zu hetzen, bis in den Abend zu arbeiten, das zählt bei uns nicht mehr. Übrigens ist bekannt, dass dauerhafter Stress die Produktivität senkt. Daher vermeiden wir jeden Druck auf unsere Arbeitnehmer. Es ist auch sinnlos, zu jedem Zeitpunkt volle Leistung zu fordern. Der eine ist Frühaufsteher, der andere wird erst nachmittags munter – wir respektieren diese Individualität. Und schließlich hat jeder bei uns das Recht, einen Kunden abzulehnen, wenn dieser zum Beispiel einen schlechten Ruf hat oder in einem Bereich tätig ist, den unser Mitarbeiter problematisch findet. Würde er den Auftrag dennoch annehmen, brächte dies zwar Geld ein, aber niemand hätte dabei ein gutes Gefühl.“ Durch eine Firma lässt sich die Welt verändern – zum Guten, aber auch zum Schlechten. Davon sind die Anhänger des bewussten Kapitalismus fest überzeugt. Wenn zum Beispiel jeder von 50 Mitarbeitern eine Idee an fünf Freunde weitergibt, dann erreicht sie 250 Menschen. Im nächsten Schritt wären es schon 1250 Menschen, sagt Tomáš Formánek. Er und seine Partner entschlossen sich, auf diese Weise gesunde und umweltfreundliche Ernährung zu propagieren.„Bei den Verhandlungen mit Kunden oder Partnern ist es in den Firmen üblich, Kaffee, Wasser und Kekse anzubieten. Wir haben das lange auch so gemacht. Dann hatte aber jemand die Idee, stattdessen Obst oder Gemüse der Saison vom Bauernmarkt auf den Tisch zu stellen. Kaffee lässt sich auch in Bio- und Fair-Trade-Qualität bekommen, und Wasserflaschen können durch Leitungswasser ersetzt werden. Diese Änderung ist bei unseren Partner sehr gut angekommen. Deshalb sind wir weitergegangen: Wir haben uns einem Programm namens ´die gesunde Firma´ angeschlossen, es wird von einer NGO organisiert. Dadurch bieten wir unseren Angestellten nun Mittagessen aus regionalen Lebensmitteln in Bioqualität oder vegetarisch. Außerdem können sie vieles über dieses Thema erfahren. Und das geben sie natürlich auch in ihren Familien weiter. An Ideen herrscht also kein Mangel bei uns, alles lässt sich auch in die Diskussion einbringen.“
Auf diese Weise unternehmerisch tätig zu sein, bedeutet laut Formánek nicht unbedingt eine Einschränkung im Profit. So könne die Umstellung einer Firma auch neue Kunden und Partner bescheren. Darüber hinaus würden die motivierten Mitarbeiter auch neue Impulse bringen, die dem Unternehmen neuen Aufschwung geben.Es gibt jedoch noch eine Regel im bewussten Kapitalismus: Jede Veränderung dieser Art müsse von oben kommen. Firmen sind hierarchisch organisiert, jeder Angestellte verfügt nur über beschränkte Kompetenzen. Der einzige, der in einer Firma wie ein König herrscht, ist ihr Eigentümer. Von ihm hängt in der Firma alles ab, er beeinflusst auch die Atmosphäre dort. Beim „Forum des bewussten Business“ wird dieses Thema daher häufig und lange diskutiert. Tereza Kalinová ist Beraterin in diesem Bereich und Mitbegründerin des Forums.
„Wir sind schnell zum Ergebnis gekommen, dass man an einer Umorientierung des Firmenbesitzers arbeiten muss. Er muss viele Sachen überdenken: seine Prioritäten, seine Weltanschauung und vor allem die Kommunikation innerhalb der Firma. Er muss sich darüber klar werden, wann er befiehlt und Druck ausübt – und sich die Angestellten bewusst oder unbewusst wehren - und wann er fragt und seine Mitarbeiter zu einer eigenen Entscheidung motiviert. Dabei wird er feststellen, dass er manchmal ungeduldig oder sogar wütend ist, dass er am liebsten vollkommene Menschen um sich herum hätte, die alles wie er machen. Und er muss dahingelangen, dass die Menschen frei sind, dass sie manchmal etwas besser machen als er – aber manchmal auch schlechter. Dies sieht wie eine Kleinigkeit aus, aber es ist eine riesige Veränderung, die sich wie eine Lawine verbreitet. Plötzlich herrscht dann ein anderes Klima in der Firma. Jedem ist klar, dass Menschen auch Gefühle und gute wie schlechte Eigenschaften haben und das muss man einplanen.“ Viele Wirtschaftsexperten aber auch Unternehmer sind der Meinung, dass der Kapitalismus in Tschechien an einen Scheidepunkt gekommen ist. Die wilde Ära, die nach der politischen Wende von 1989 begann und von Korruption, Rücksichtlosigkeit und Geldgier geprägt war, gehe langsam zu Ende. Stattdessen nehmen laut den Statistiken Familien- und Nachbarschaftshilfe, regionale Wirtschaft oder die Nachfrage nach Bio- und Fair-Trade-Produkten zu. Auch das Mäzenatentum erwacht langsam. Der Kapitalismus, bei dem nicht es nicht nur ums Geld geht, entspricht genau diesem Trend. Auch wenn die Gier nach Geld immer noch überall sehr stark ist.