Vor dem Tod noch einmal verliebt sein - Widerstandskämpferin Marianne Golz

Marianne Golz (Foto: Archiv von Ronnie Golz)

Vor dem Zweiten Weltkrieg flüchteten viele Menschen vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach Prag. Marianne Golz war eine von ihnen. Hitler zerschlug jedoch die Tschechoslowakei und ließ 1939 das Protektorat Böhmen und Mähren ausrufen. Zu dieser Zeit half Marianne Golz, die Juden vor der Verschleppung in Konzentrationslager zu retten. Dafür bezahlte sie mit ihrem Leben.

„Mein Liebling, ich freue mich über deinen Brief, den ich schon viermal gelesen habe. Jedes Mal bin ich dabei rot geworden, wie mir die anderen gesagt haben. Alle meine Gedanken und Gefühle gehören dir. Tief in deinen Augen kann ich eine wahre Liebe und Freundschaft erkennen. Und so soll es auch bleiben, bis uns der Tod scheidet. Ich küsse dich, Deine M.“

Marianne Golz  (Foto: Archiv von Ronnie Golz)
Solche Briefe schrieb Marianne Golz an ihren Geliebten Richard Mácha, das sogar mehrmals täglich. Man könnte glauben, es seien banale Liebesbriefe gewesen, wie sie täglich geschrieben werden. Doch diese sind weltweit einzigartig. Marianne Golz schrieb sie 1943 im Prager Gefängnis Pankrác, nachdem sie zum Tode verurteilt worden war. Richard saß in einer Zelle auf demselben Gang, wo auch er auf seine Hinrichtung wartete. Beide hatten sich nur einmal kurz gesehen, trotzdem entwickelte sich eine platonische Liebe zwischen ihnen. Die Briefe mussten sie als Kassiber schreiben und geheim über den tschechischen Gefängnisfotografen Karel Rameš einander schicken. So sprachen sie sich Mut zu, obwohl dies angesichts des nahenden Todes immer schwerer gewesen sein dürfte. Für Ronnie Golz ist es der Beweis dafür, dass seine Stiefmutter eine außerordentlich starke Frau gewesen sein musste. Er ist 1947 geboren, nachdem sein Vater eine andere Frau heiratete.

Richard Mácha
„Man ist zum Tode verurteilt und sagt, man wolle jetzt nicht einfach aufgeben. Man werde jetzt irgendetwas machen, was das eigene Leben glücklicher macht in den letzten Tagen, die man noch hat. Diese Idee ist doch verrückt, einmalig, unglaublich. Das zeigt, dass Marianne eine sehr ungewöhnliche Frau war. Richard Mácha hat immer gesagt, er sei doch verheiratet und werde seine Frau nicht verraten. Aber er hat in den Briefen ganz komisch geantwortet. Manchmal schrieb er, er könnte Marianne eine Stunde lang in seine Arme nehmen und mit ihr zusammen träumen. Manchmal ließ er also seine Liebe zu. Als sie hingerichtet wurde, schrieb er schrecklich traurige Briefe an Karel, was Marianne für ihn bedeutet habe. Aber er fand, dass er seine Frau verrät, wenn er mit Marianne etwas anfängt. Die Liebe war zwar rein platonisch, aber er focht einen innerlichen Konflikt aus.“

Marianne Golz wurde unter dem Künstlernamen Marianne Tolska die erste Operettensängerin am Stadttheater Salzburg  (Foto: Archiv von Ronnie Golz)
Marianne Golz wurde 1895 in Wien als Maria Belokosztolszky geboren. Ihr Vater kam aus Polen und ihre Mutter aus Böhmen. Sie absolvierte ein Studium zur Tänzerin und Schauspielerin und war in diesem Beruf sehr erfolgreich. Unter dem Künstlernamen Marianne Tolska wurde sie die erste Operettensängerin am Stadttheater Salzburg. 1929 heiratete sie den Journalisten Hans Goldlust, der jüdischer Abstammung war. Die Familie zog nach Berlin, wo sie beide bekannte Persönlichkeiten waren. Nachdem aber die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht ergriffen, fühlten sich Hans und Marianne bedroht. Unter dem Decknamen Golz flüchteten sie ein Jahr später nach Prag. 1939 besetzte Hitler aber die Hauptstadt der Tschechoslowakei und ließ das Protektorat Böhmen und Mähren ausrufen. Hans flüchtete nach London, Marianne blieb und schloss sich einer Widerstandsgruppe an, die Juden und anderen bedrohten Menschen zur Flucht verhalf. Im November 1942 wurde die Gruppe verraten und verhaftet. Was die Gruppe tatsächlich getan hat, lässt sich nur schwer nachverfolgen. Außer der Anklageschrift bestehen heute keine Quellen mehr über ihre Tätigkeit. In der Schrift steht unter anderem:

„Seit 1940 war die Angeklagte mit dem Angeklagten Goldschmidt gut bekannt und häufiger bei ihm zu Gast. Dort lernte die Angeklagte den Angeklagten Zapotecky kennen. Sie erfuhr, dass er Juden dazu verhalf, illegal über die Protektoratsgrenze zu gelangen. Weil er sich einem Transport nicht stellen wollte, hat sich der Angeklagte Goldschmidt nach Wien abgesetzt. Etwa zwei Wochen später erhielt die Angeklagte aus Wien einen Anruf ihrer dort lebenden Schwester Haala, die ihr mitteilte, dass der Angeklagte Goldschmidt bei ihr vorgesprochen habe. Von diesem Zeitpunkt an wurden zwischen den beiden Angeklagten mehrere Briefe gewechselt.“

Illustrationsfoto: Barbora Kmentová
Josef Goldschmidt wurde in Wien verhaftet und später auch als „Feind des Reiches“ in Prag hingerichtet. Sich dem „Transport“, das heißt der Deportation ins Konzentrationslager zu entziehen, das war nämlich laut nationalsozialistischer Logik ein Schwerverbrechen. Als Verbrecher galt auch jeder, der von einem fliehenden Juden wusste und diesen nicht verpfiff. Dies hatte sich der Anklage nach auch Marianne zu Schulden kommen lassen:

„Ein ganz anderer Rassentyp ist die Angeklagte Golz-Goldlust. Diese hat sich mit einer agilen Geschäftigkeit in den jüdischen Kreisen umgetrieben und sich für ihre jüdischen und halbjüdischen Freunde eingesetzt. Sie hat nicht aus einer Zwangslage, sondern aus innerer Neigung heraus gehandelt. Ihrem Bestreben, sich ihren jüdischen Freunden gefällig zu erweisen, entspricht ihre feindselige Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat.“

Ronnie Golz  (Foto: Archiv von Ronnie Golz)
Von insgesamt 18 Angeklagten wurden Marianne und neun weitere Menschen zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil hingerichtet. Marianne wollte jedoch in keinem Fall hinnehmen, dass ihr der Körper geraubt wird. Sie beschaffte sich Gift, um ihren Mördern zuvorzukommen. Das gelang nicht ganz, vor der Vollstreckung der Todesstrafe war sie nur bewusstlos. An ihrem tragischen Ende war paradoxerweise auch eine ihrer jüdischen Bekannten schuld, diese hatte die Existenz der Gruppe der Gestapo verraten. Ronnie Golz:

„Ich verstehe das ganz einfach. Es gibt viele Geschichten über Juden, die im Dritten Reich kollaboriert haben. Diese bildeten zwar nur eine kleine Gruppe, aber es gab sie. Diese Emilie Synek hat sie, wie Marianne schrieb, verraten, um natürlich ihre Familie zu retten. Sie hatte also einen Grund zu kollaborieren, weil die Gestapo ihr versprach: Wenn du das machst, dann wird deine Familie nicht deportiert. Ich bin mir sicher, dass es noch viel zu entdecken gibt in den Akten der Staatsicherheit im Nationalarchiv.“

Karel Rameš: „Ich klage an“  (Foto: Verlag Orbis Prag)
Die letzten Monate von Marianne Golz im Prager Gefängnis Pankrác sind relativ gut dokumentiert. Dies ist vor allem dem erwähnten Gefängnisfotografen Karel Rameš zu verdanken. Unter dem Titel „Ich klage an“ veröffentlichte er 1946 ein Buch, in dem er die Zustände in der Nazi-Hinrichtungsstätte ausführlich beschrieb. Dort fanden sich auch Ausschnitte aus Briefen zwischen Marianne und Richard. Dann aber geriet der Name Golz für längere Zeit in Vergessenheit. 1988 wurde allerdings Marianne Golz die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ verliehen. Mit dieser Auszeichnung würdigt der Staat Israel jene Nichtjuden, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Juden zu retten. Renate Kosmala, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin:



Yad-Vashem-Gedenkstätte  (Foto: Archiv Yad Vashem - The Holocaust Martyrs' and Heroes' Remembrance Authority)
„Die Akten der Gerechten sind in der Yad-Vashem-Gedenkstätte in Jerusalem erhalten. Jeder, der Interesse hat, zum Beispiel über tschechische Gerechte zu forschen, kann dort ins Archiv gehen und die entsprechenden Akten finden. Im Fall von Marianne Golz hatte sich Ronnie Golz, der spätere Sohn ihres damaligen Mannes, von sich aus für seine Familiengeschichte interessiert und kam mit seiner Geschichte zu uns. In Deutschland verdankt man Ronnie Golz das genauere Wissen über Marianne.“

Ronnie Golz ist in seinem Einsatz konsequent. Er macht auch darauf aufmerksam, dass kein Mitglied des Prager Sondergerichts, das zwischen 1942 bis 1945 mehr als 1000 Menschen aus politischen Gründen zum Tode verurteilte, sich für seine Verbrechen verantworten musste. Im Gegenteil, nach dem Zweiten Weltkrieg bekleideten alle Mitglieder noch viele Jahre lang verschiedene Posten in der Justiz der Bundesrepublik Deutschland. An die tschechische Adresse äußert Ronnie Gold aber auch noch einen Wunsch:

Gedenkstätte in Pankrác  (Foto: Archiv des Gefängnisdienstes der Tschechischen Republik)
„Ich finde es unglaublich traurig, dass die Gedenkstätte in Pankrác hinter verschlossener Tür ist. Wichtig wäre aber, dass dieser Bereich des Gefängnisses herausgeschnitten wird, so dass jeder Mensch und jede Schulklasse dorthin gehen kann. Dies könnte eine ganz wichtige Wirkung für die Menschen haben.“


Die Geschichte von Marianne Golz ist derzeit bei einer Ausstellung im Österreichischen Kulturforum in Prag auch zu sehen – und zwar noch bis zum 9. Januar.